Eine Reportage von Michaela Anderer
Weitere Personen kommen an den Stand und drängen neben die Frau. Unbemerkt greift eine fremde Hand nach der Tasche und so schnell wie die Hand darin verschwunden ist, so fix wird sie auch wieder herausgezogen. Nun geben sich Polizeihauptkommissar Michael Koffler und seine Kollegen zu erkennen: "Schauen Sie doch mal in Ihre Tasche", bitten Sie die überraschte Frau. Sie schaut in ihre Tasche und findet eine gelbe Plastikkarte in Form einer Hand mit der Aufschrift "Achtung Taschendieb!". Zum Glück für die erleichterte Frau, war die fremde Hand dieses Mal die eines Polizisten und statt etwas zu stehlen, hat er die "Gelbe Hand" hinterlassen.
So viel Glück haben aber nicht alle, die in der Weihnachtszeit bummeln und einkaufen gehen. Alleine an den ersten zwei Wochenenden des Weihnachtsmarktes wurden bereits 15 Taschendiebstähle in Karlsruhe gemeldet. Denn der Weihnachtsmarkt lädt nicht nur zahlreiche Besucher zum Stöbern und Verweilen ein, auch die Taschendiebe nutzen den Rummel in den festlich dekorierten Gassen und Kaufhäusern für ihre Raubzüge. Oftmals wird ihnen das aber auch nicht allzu schwer gemacht und Taschen wie auch Rucksäcke nicht gut gesichert oder einfach unachtsam abgestellt, erklärt Koffler. Im allgemeinen Gedränge fällt es nicht auf, wenn vorne gestoppt und von hinten geschoben wird, und dem Opfer in der Mitte die Tasche geleert wird.
Taschendiebstahl verkehrt? Taschen gefüllt statt geleert
Dann ist es wieder an der Zeit für die Karlsruher Polizeiaktion „Achtung fremde Finger!“. Die Karlsruher Idee entstand 1997, um der Taschendiebstähle Herr zu werden, die Bevölkerung aufzuklären und auf Gefahren hinzuweisen. Obwohl die Polizei personell knapp aufgestellt ist, sind regelmäßig sechs uniformierte Kollegen sowie zwölf Zivilbeamte auf dem Weihnachtsmarkt zur Diebstahls-Prävention unterwegs. "Für die Aktion der fremden Finger gehen wir in Dreier- und Vierer-Gruppen in Zivil über den Markt und durch die Kaufhäuser und suchen gezielt nach Personen, die ihre Handtaschen und Rucksäcke unachtsam liegen lassen oder halten. Statt etwas zu stehlen, hinterlassen wir die 'Gelbe Hand' und sorgen bei den meisten für einen Aha-Effekt", so Koffler.
Die Botschaft hinter der Aktion ist einfach (Wenn eine fremde Hand erst einmal in der Tasche ist, kann sie auch etwas herausnehmen), sorgt jedes Mal für Überraschung und Bestürzung bei den Betroffenen. "Wir möchten niemanden erziehen, sondern Verbrechen verhindern. Als wir früher die Personen nur darauf aufmerksam gemacht haben, dass ihre Tasche ungeschützt ist, haben wir oft die Antwort erhalten, dass schon nichts passieren könne. Jetzt, wenn sie unsere 'Gelbe Hand' darin finden, sind die meisten absolut geschockt, wie unvorsichtig sie doch waren. Prävention ist wichtig, denn was wir am Liebsten machen ist, Verbrechen verhindern!" Die Leichtsinnigkeit ist offensichtlich; wenn man durch den Christkindlesmarkt geht, kann man alle paar Meter eine Person sehen, deren Taschen ohne Weiteres geplündert werden könnten. "Und die Taschendiebe gehen natürlich viel professioneller vor als wir", so Koffler. "Diese bemerkt man fast nie."
"Keiner soll den Helden spielen, sondern den Notruf wählen!"
So auch eine ältere Frau, die interessiert einige Artikel in einem Kaufhaus betrachtet. Ihre Handtasche trägt sie so, dass ein Diebstahl kein großes Problem darstellen würde. Das ist die Chance für den Polizeibeamten. Während Koffler sie nach der Uhrzeit fragt und angibt schlecht zu sehen, macht sich sein Kollege auf der anderen Seite an ihrer Tasche zu schaffen und schiebt ihr die "Gelbe Hand" unter. Erst darauf angesprochen, ob sie es nicht für unsicher halte, ihre Tasche so zu tragen, bemerkt sie ihren Fehler. "Das ist eine gute und sinnvolle Aktion", so die Frau. Sie ist überglücklich, dass die Taschendiebe nicht echt waren. "Man ist einfach zu leichtsinnig."
Die Aufklärungsquote bei Diebstählen ist niedrig, da es oft keine Täterbeschreibung gibt. Viele Augenzeugen schauen einfach weg oder handeln nicht, erklärt Koffler. „Natürlich soll keiner den Helden spielen und den Täter angreifen, aber ein Handy hat jeder dabei und kann die kostenlose Notrufnummer 110 wählen und uns den wichtigen Hinweis geben. Auf diese Hinweise sind wir angewiesen", bittet Koffler um Mithilfe.
Verdächtige observiert und eingegriffen
Dass die Aktionen und Mahnungen der letzten Jahre wirken und ankommen, merkt die Polizei an den Reaktionen mancher "Opfer". Als sich Kofflers Kollegen an eine Frau heranschleichen und sich an deren Rucksack zu schaffen machen, greift diese hinter sich und nimmt den Rucksack nach vorne. Immer mehr tragen ihre Hand- oder Umhängetaschen verschlossen auf der Vorderseite, was einen Diebstahl erschwere. Dennoch hatten die Polizisten an diesem Tag wieder genug Möglichkeiten, ihre "gelben Hände" bei unachtsamen Marktbesuchern in die Taschen zu schieben. Zirka sieben "Taschendiebstähle" begehen die Polizisten heute.
Aber nicht nur Prävention wird betrieben, sondern auch Verbrechensaufklärung. Auf der Suche nach neuen "Opfern" für die Aktion „Achtung fremde Finger!“ in einem Kaufhaus geht alles plötzlich sehr schnell. Es wird nicht mehr nach potenziellen Opfern Ausschau gehalten, eine potenzielle Täterin ist ins Auge gefasst. An einer Kasse steht ein zirka 17-jähriges Mädchen, das verdächtige Mengen an Münzgeld umtauscht. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich um eine "Geldeinsammlerin" einer organisierten Bettlergruppe handelt. Die Polizisten in Zivil verteilen sich und observieren die Verdächtige. Und in der Tat geht sie vor dem Kaufhaus zu zwei Straßenmusikern und nimmt ihnen das Geld ab, um es im nächsten Geschäft zu wechseln. Die junge Frau wird erkennungsdienstlich erfasst. "Es ist schon vorgekommen, dass eine erfasste Bettlerin in einer anderen Stadt als Taschendiebin geschnappt wurde. Das muss natürlich nicht der Fall sein, aber wenn, haben wir die Personalien", so der Polizeibeamte.