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Karlsruhe: Stuttgart 21: "Wer nicht hingeht zur Abstimmung, ist selber schuld..."

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Stuttgart 21: "Wer nicht hingeht zur Abstimmung, ist selber schuld..."

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    Hans-Georg Wehling Politikwissenschaftler, Aufnahme entstand bei Vortrag im Staatsministerium / Villa Reitzenstein
    Hans-Georg Wehling Politikwissenschaftler, Aufnahme entstand bei Vortrag im Staatsministerium / Villa Reitzenstein Foto: Jan Osburg

    In Süd-Baden, Nord-Württemberg beziehungsweise Nord-Baden und in Süd-Württemberg-Hohenzollern wurde am 9. Dezember 1951 und noch einmal am 7. Juni 1970 über die Fusion von drei einstigen Landesteilen, - damals: Nachkriegsgebilde entlang der Grenzen der Besatzungszonen - zum neuen Land Baden-Württemberg abgestimmt. Beide Plebiszite wurden erfolgreich umgesetzt. Am 19. September 1971 gab es darüber hinaus den Versuch, mit über 200.000 zuvor gesammelten Unterschriften den Landtag aufzulösen: aus Protest gegen die Bestrebungen der Kreis- und Gebietsreform. Diese Abstimmung war gescheitert am Quorum.

    2,5 Millionen Bürger machen eine Mehrheit

    Das Votum, zu dem am 27. November die Bürger Baden-Württembergs aufgerufen sind, dreht sich allein um den umstrittenen Neubau des Hauptbahnhofs in der Landeshauptstadt. Die Bürger können nicht unmittelbar mit "Ja" oder "Nein" abstimmen, also nicht einfach ausdrücken, ob sie für oder gegen das Projekt sind. Die Fragestellung zielt auf die Finanzierungsvereinbarung: nach dem Votum der Bürger hat die Landesregierung gegebenenfalls den Auftrag, diese Vereinbarung zu kündigen, und aus der Mitfinanzierung des Landes auszusteigen - oder bei klarem Willen der Bürger zum Verbleib im Projekt, eben auch nicht.

    Die Mehrheit in Baden-Württemberg muss ein Drittel der Abstimmungsberechtigten umfassen, das sind 2,5 Millionen Wähler, die sich für die Fragestellung entscheiden. Stefan Jehle sprach darüber mit Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling.

    Herr Wehling, Ministerpräsident Winfried Kretschmann spricht von einem "historischen Tag", wenn am 27. November erstmals (wieder) eine Volksabstimmung stattfindet. Kann man diese Volksabstimmung jetzt mit 1951 oder 1970 vergleichen?
    Nein, meines Erachtens nicht. Die Länderneugliederung damals war ein Anliegen, das von einer breiten politischen Mehrheit getragen wurde: sowohl von Seiten der Politik, wie auch von Seiten der politischen Eliten im deutschen Südwesten. Nur in Südbaden war das anders, dort agierte man lange mehrheitlich gegen diese Fusion.

    Was bedeutet diese Volksabstimmung jetzt im November für den Status repräsentative Demokratie und - unter dem Schlagwort: "des Gehört-Werdens", eines "noch mehr an Bürgerbeteiligung"?
    Zunächst ist diese Idee mit dem Volksentscheid lanciert worden von Seiten der SPD, hier insbesondere von deren Landesvorsitzenden Nils Schmid. Absicht war vor allem, innerparteilich eine Befriedung hinzubekommen. Auch in der SPD gibt es starke Gruppierungen, die gegen Stuttgart21 sind. Da sollte ein innerparteilicher Friede erreicht werden.

    Ist das denn möglich? Weitergehend gefragt: ist eine solche Befriedung für das ganze Land möglich?
    Ich habe da meine Zweifel. Es gibt mehrere Szenarien. Ich bin mir dabei ganz sicher, dass das Quorum nicht erreicht wird. Dieses ist mit einem Drittel der Abstimmungsberechtigten ja auch beinahe unerreichbar hoch. Vergleichen Sie dazu die Situation in Bayern. Dort heißt es: "Mehrheit ist Mehrheit." Und so steht es dort auch in der Verfassung.

    Viel ist geredet worden von der komplizierten Fragestellung. Gab es da Alternativen?
    Das ist wohl weniger das Problem. Ich glaube schon, dass man die Fragestellung als Bürger verstehen kann. Man darf ja auch nicht vergessen: wir haben inzwischen über 50 Prozent eines Jahrgangs mit Hochschulabschluss. Die Fragestellung sollten die Bürger also schon kapieren...

    Es bleibt das Problem: es ist keine Volksabstimmung über eine Sachfrage an sich, sondern aus der Abstimmung wird sich nur ein Arbeitsauftrag an die Landesregierung ergeben. Es geht nicht um ein explizites "Ja" oder "Nein"...
    Genau, und ob dieser Auftrag dann auch tatsächlich zu erfüllen sein wird - in welcher Richtung auch immer -, daran kann man so seine Zweifel haben. Noch ist, juristisch gesehen, nicht einmal klar, ob überhaupt Kündigungsrechte, also bezogen auf die Kündigung bestehender Verträge, ausübbar sind. Das ist eine verzwickte Lage: diese dem Wähler zu erklären, wird sehr viel schwerer sein als die bloße Fragestellung der Abstimmung.

    Kann man dennoch mit dieser Volksabstimmung sagen: das ist jetzt ein Start in Neuland, ein Zurück gibt es nicht mehr?
    Also ich denke schon. Es gibt doch erhebliche Unruhe in der Bevölkerung, was die eigenen Mitwirkungsrechte bei solchen riesigen Vorhaben angeht. Da wird man darauf reagieren müssen. Ich gehe davon aus, dass früher oder später das derzeitige Quorum in dieser Höhe fällt. Die CDU hat ja früher schon die Bereitschaft erklärt, man wird darauf zurück kommen können. Im Vorfeld der Abstimmung um Stuttgart21 konnte die CDU wohl kein weiteres Entgegenkommen zeigen, ohne das Gesicht zu verlieren. Deshalb hat man sich dort zunächst auf "stur" gestellt. Der CDU-Fraktionschef Peter Hauk sagte wörtlich: "Wir verschließen uns einer Verfassungsänderung aus tagesaktuellem Grund". Das ist doppeldeutig, aber auch in die Zukunft weisend.

    Gibt es überhaupt eine sinnvolle Begründung für ein Quorum?
    Man hört ja immer wieder - das betrifft Bürgerentscheide auf Gemeindeebene genauso -, da wären dann ein paar Leute in Initiativen dazu in der Lage, Entscheidungen in einer Gemeinde zu blockieren gegen die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung. In der Schweiz gibt es Formulierungen wie: "les absents ont toujours tort". Oder etwas verkürzt auf Deutsch: "Wer nicht hingeht zu einer Abstimmung, ist selber schuld." Das ist die Schweizer Einstellung dazu, die finde ich auch richtig. Man soll sich da nichts vormachen, dass da eine handvoll Leute etwas durchsetzen kann gegen 10,7 Millionen Menschen. Das halte ich einfach für unrealistisch.

    Das Gespräch führte ka-news Mitarbeiter Stefan Jehle

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