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Störung der Totenruhe

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Störung der Totenruhe

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    Ein 46-jähriger Bestattungsunternehmer aus Malsch (Landkreis Karlsruhe) muss 120 Tagessätze à 35 Euro zahlen. Sein mitangeklagter gleichaltriger früherer Angestellter erhielt in insgesamt 17 Fällen eine sechsmonatige Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Darüber hinaus muss er 1.000 Euro an den Förderverein krebskranker Kinder in Karlsruhe bezahlen.

    45 Fälle in rund fünf Jahren

    Wäre der Neffe einer verstorbenen alten Dame in Malsch bei Karlsruhe am offenen Grab seiner Tante nicht misstrauisch geworden, die Geschichte wäre nie an die Öffentlichkeit gekommen. Die Tante sollte in einem Tiefgrab bestattet werden. Aber nach der Trauerfeier schien es dem Angehörigen, als ob der Sarg zwar in der Erde, aber eben nicht tief genug bestattet worden sei. Ein Zentimetermaß brachte Gewissheit. Ein sogenanntes Tiefgrab mit 2,5 Meter unter der Erde hätte es werden sollen, 1,8 Meter wurden gemessen. Das war anfangs nur ein Teil der unbekannten Wahrheit gewesen. Und noch sollte der Fall nicht allzu sehr nach oben kochen. Erst, als einer der Totengräber von der Stadtverwaltung Malsch darauf angesprochen worden war, platzte es aus dem Mann heraus.

    Was dieser Angestellte eines örtlichen Bestattungsunternehmers zuerst der Stadt und dann der Polizei erzählte, landete jetzt vor dem Amtsgericht Karlsruhe. Sehr nüchtern trägt dort eine junge Staatsanwältin die Anklage gegen den Bestattungsunternehmer und seinen geständigen Totengräber wegen Betrugs und Störung der Totenruhe vor. Penibel haben die Ermittler ausgelistet, dass der Unternehmer in 45 Einzelfällen zwischen 2002 und 2007 auf diversen Friedhöfen Verstorbene eben nicht wie beauftragt in zweieinhalb Metern Tiefe, sondern allenfalls in knapp 1,8 Metern bestattet, aber den vollen Betrag in Rechnung gestellt habe.

    Offene Särge

    Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft habe die Stadt damit pro Grab anfangs 40 und im Lauf der Jahre 63 Euro zu viel bezahlt. Ein Schaden, der sich auf knapp 3.900 Euro summiert. Diesen Teil der Anklage räumt der Unternehmer "vollumfänglich" ein. Den zweiten Teil der Vorwürfe schiebt er ausschließlich seinem Angestellten in die Schuhe. Das führt bei den Zuhörern - meist Angehörige von Verstorbenen - zu Ärger. "Dreckskerl" zischt eine betroffene Dame im Saal kaum hörbar zwischen ihren Lippen.

    Denn sie hört, wie sich - angeblich nur - der Totengräber die mühevolle Arbeit selbst erleichtert hatte. Vor dem Verfüllen der Gräber waren mit einem kleinen Bagger die oberen Sargbretter abgerissen worden. Anfangs angeblich "aus Versehen", später laut dem Angestellten "vielleicht auch mal bewusst". Die Erde landete in den offenen Särgen und ersparte mühevolle Handarbeit.

    "Was man hineinschüttet, braucht man nicht mit der Schubkarre wegzubringen", sagt der angeklagte Totengräber. In 67 Fällen soll zwischen 2002 und 2007 so verfahren worden sein. Einmal - nur einmal - will auch der Bestattungsunternehmer diese Störung der Totenruhe durch seinen Angestellten wahrgenommen haben.

    "Lässt die Scham nach?"

    Der Unternehmeranwalt lässt das Gericht wissen, dieses Vorgehen sei von seinem Mandanten ausdrücklich "missbilligt" worden. Der Totengräber jedoch schiebt die Schuld auch auf seinen Chef: Der habe die Särge hin und wieder mit dem Bagger aufgebrochen. Die Richterin will wissen, welche Gedanken dem Totengräber an den offenen Särgen durch den Kopf gegangen sind. "Lässt die Scham nach?", fragt sie. Nein, hört sie, es sei darum gegangen, "Zeit zu sparen", es sei "wirklich nicht schön gewesen", aber "darüber unterhält man sich nicht".

    Die beiden Angeklagten nahmen das Urteil noch im Gerichtssaal an, die Staatsanwaltschaft verzichtete gleichfalls auf Rechtsmittel.

    Meinrad Heck ist Karlsruhe-Korrespondent der "Stuttgarter Zeitung". Der Beitrag erschien dort am Donnerstag, 31. Juli. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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