Karlsruhes Einzelhandel hat in Sachen Jugendschutz dringend Nachholbedarf. So das Fazit der Testkäufe vom vergangenen Freitag. Das städtische Ordnungs- und Bürgeramt hat gemeinsam mit dem Polizeipräsidium Karlsruhe und dem Landratsamt Karlsruhe ein Konzept erarbeitet, mit dem "die Verfügbarkeit von alkoholischen Getränken und Tabakwaren für Menschen unter 18 Jahren eingeschränkt" werden soll. So das Ziel. Teil des Konzepts sind eben jene Testkäufe.
Dazu wurden am Freitag Abend zwei Mädchen und ein Junge zwischen 16 und 17 Jahren in vier Läden geschickt. Sie sollten Alkohol und Tabak kaufen. Begleitet wurden sie dabei von zwei erwachsenen Amtspersonen, die als Zeugen in Zivil im Hintergrund blieben. Gegebenenfalls hatten anschließend uniformierte Polizisten des Kommunalen Ordnungsdienstes die Daten zur Weiterleitung an die Bußgeldstelle aufgenommen.
Kein Gespür für Jugendschutz
An einer Tankstelle fragte die Kassiererin weder nach dem Alter, noch ließ sie sich den Ausweis der Jugendlichen zeigen. Und das, obwohl die Ordnungshüter an dieser Tankstelle bereits vor kurzem Testkäufe durchgeführt und Belehrungen erteilt hatten. "Leider haben die Kontrollen der Vergangenheit zu keiner Sensibilisierung geführt", sagt Björn Weiße, Leiter des Ordnungs- und Bürgeramts. Bei jener ersten Kontrolle wurde der Verkäuferin ein Bußgeld von 200 Euro in Rechnung gestellt. Laut Empfehlung des Bußgeldkatalogs des Sozialministeriums Baden-Württemberg wären hier weitaus höhere Summen bis 500 Euro denkbar gewesen.
"Wir haben den Verdacht, dass das relativ geringe Bußgeld damals nicht vom Personal, sondern vom Inhaber gezahlt wurde", sagt Weiße. Weil es sich um einen Wiederholungsfall handele, scheint der Inhaber seiner Aufgabe nicht nachgekommen zu sein, das Personal zu schulen. Zum wiederholten Mal enttäuschte auch ein Supermarkt in Grünwinkel. Hier allerdings konnte der Marktleiter nachweisen, dass die Mitarbeiter seines Hauses angewiesen worden seien, das Jugendschutzgesetz zu achten. "Es kommt auf die Person an, die an der Kasse sitzt", weiß Kriminalhauptkommissarin Tina Rastätter: "Wer selbst Kinder im Teenageralter hat, kennt das Problem und reagiert entsprechend."
Scanner, Piepser, Altersabfrage
Positiv im Sinne der Ordnungshüter war die Begegnung bei "real". Hier piepst der Kassencomputer automatisch, wenn Produkte eingescannt werden, deren Kauf einer Altersbegrenzung unterliegen: Das ist bei Alkohol, Tabak, aber auch DVDs oder Videospielen der Fall. Im Kassendisplay erscheint dann das "Mindestgeburtsdatum" des Kunden. Das Personal soll das Datum nach vorgelegtem Ausweis überprüfen. Eine hilfreiche Erleichterung. Denn an der Kasse muss es schnell gehen. Da hapert es bei dem ohnehin enorm unter Druck stehenden Personal mitunter an Konzentration beim Kopfrechnen.
Weiße: "Wir hatten Fälle, wo nach Ausweisvorlage von Minderjährigen trotzdem verkauft wurde." Mit einem Schwächeanfall reagierte eine Tankstellenverkäuferin, als sie nach dem Verkauf eines Wodka-Mix-Getränks an die Jungendlichen von den uniformierten Beamten angesprochen wurde. Die Frau, die kurz vor 22 Uhr "fertig werden wollte", war betroffen und beschämt über ihr eigenes Fehlverhalten.
Kontrollmethode
Es gehe nicht darum, das Verkaufspersonal "vorzuführen" oder "reinzulegen". So will Wolfram Jäger, Bürgermeister und Dezernent des Ordnungsamtes, das abendliche Vorgehen verstanden wissen.
Es lässt sich durch nichts rechtfertigen, wenn der Handel gegen geltendes Jugendschutzgesetz verstößt. Es muss normal werden, dass sich Verkäufer die Ausweise zeigen lassen. Die Beamten waren am Abend enttäuscht über die schlechte Quote und die Enttäuschung reiht sich in die große Reihe beruflicher Frustrationen ein: Denn de facto hat der Staat mit seinen Ordnungsbeamten nur sehr begrenzt Möglichkeiten, die Jugend vor Alkohol zu schützen. "Wenn wir am Wochenende nachts durch die Kaiserallee Streife fahren", schildert ein Beamter der Polizeibehörde, "dann liegen häufig 15- und 16-Jährige sturzbesoffen herum. Oftmals eskaliert die Gewalt. Ohne ersichtlichen Grund. Aber immer ist Alkohol mit im Spiel.
" So lange jedoch keine Straftaten vorfallen, müssen die Beamten solche anscheinend normal gewordenen Szenarien hinnehmen. Polizisten sind keine Streetworker. Und so viele Sozialarbeiter wie nächtlich alkoholisierte Jugendliche lassen sich auch in einer wohlhabenden Stadt wie Karlsruhe wohl nicht finanzieren. So gesehen gleicht die Kontrolle per Testkäufer einem Aktionismus, der beruhigen soll und zeigt, dass was getan wird?
Doppelmoral?
Die jugendlichen Testkäufer dürfen – so die Anweisung an die Presse – namentlich nicht genannt werden und sollen – für spätere Kontrollen –unerkannt bleiben. Das ist nachvollziehbar. Alle drei Jugendliche haben sich freiwillig bereit erklärt mitzumachen und die Zustimmung ihrer Eltern erhalten.
Sie sind alle drei Auszubildende der Stadtverwaltung Karlsruhe. Welchen erzieherischen Effekt die Stadt damit auf die drei bewirkt, sollte bei zukünftigen Unternehmungen dieser Art aber dringend thematisiert werden. Auf Nachfrage, ob der jugendliche Testkäufer den Baccardi, den er gerade testgekauft hat, selbst schon mal getrunkten habe, schüttelt er den Kopf. Ob er mal gerne ein Bier trinkt? Der Jugendliche verneint und ist verunsichert.
Da müsse unter Gleichaltrigen doch ein immenser psychischer Gruppendruck sein? Die Jugendlichen wollen auf diese Fragen der Journalisten keine Antwort geben. Mit der Doppelmoral im Umgang mit Alkohol, die für unsere Gesellschaft typisch ist und von der Politik forciert wird, hat das Amt seine drei jugenlichen Tester bedauernswert allein gelassen.
Jäger: Mehr Testkäufe und Freiwillige!
Angesichts des "mangelhaften" Ergebnisses beim Karlsruher Einzelhandel kündigte Wolfram Jäger an, die Testkäufe zu intensivieren. Doch dem Kommunalen Ordnungsdienst fehlt es dazu nicht zuletzt an Personalstärke. Der Bürgermeister könne sich deshalb vorstellen, dass freiwillige Bürger dem Ordnungsdienst assistierten. Der Gemeinderat hatte vor einigen Wochen einen Beschluss gefasst, der ein solches ehrenamtliches Engagment ermögliche. Die Freiwilligen bekämen eine Entschädigung von 7,50 Euro pro Stunde. Immerhin. Das ist der Mindestlohn, den die Gewerkschaften fordern.