ka-news: Sie wurden nach Winnenden zum Tatort des Amoklaufs gerufen - wie wurden Sie empfangen?
Roland Görtz: Ich wurde am Mittwoch angefordert und wurde dort sehr freundlich empfangen. Rettungseinsätze bei solchen Massentötungen sind doch speziell und ich konnte meine Erfahrungen in Winnenden einbringen. Die meisten der Kollegen vor Ort kannten mich auch bereits von meinen Vorträgen, die ich in den letzten Jahren immer wieder zu dem Thema gehalten habe.
ka-news: Wie sah Ihre Hilfe vor Ort konkret aus?
Görtz: Ich habe geholfen, den weiteren Verlauf zu organisieren, beispielsweise die Aufgaben wie das Überbringen von Todesmitteilungen zu koordinieren, und die nächsten Tage zu planen. Nach dem Einsatz denkt man oft, es sei jetzt vorbei. Ich habe aber in Erfurt festgestellt, dass es danach erst losgeht. Nach dem Amoklauf in Erfurt war die ganze Stadt in einer Art Schockstarre, denn betroffen waren nicht nur die Schüler, die aktuell an der Schule waren, sondern auch ehemalige Schüler und natürlich die Familien und viele mehr. So etwas stellt eine ganz besondere Belastungssituation auch für die Rettungskräfte dar. Diese müssen jetzt im Weiteren auch die Trauerfeier und die Beerdigungen betreuen.
ka-news: Hatten Sie das Gefühl, dass Polizei und Rettungskräfte im Vergleich zu Erfurt besser auf die Situation vorbereitet waren - vielleicht auch durch ihre Vorträge?
Görtz: Also, ich trage daran sicherlich den kleinsten Teil. Mir ist aufgefallen, dass die Polizei sehr gut auf Amoklagen vorbereitet war. Durch das eingeübte Einsatzkonzept konnte hier Schlimmeres verhindert werden. Nachdem der Täter durch die "Erstintervention" der Polizei aus der Schule geflüchtet war, hatte es der Rettungsdienst wesentlich einfacher, an die Tatorte und damit zu den Verletzten zu gelangen. In Erfurt wurde noch auf das SEK-Team gewartet, deshalb standen damals die Rettungskräfte sehr lange vor der Schule ohne etwas tun zu können. Generell war es für mich persönlich sehr unangenehm, das noch einmal zu erleben. Die Atmosphäre vor Ort war der in Erfurt sehr ähnlich.
ka-news: Wie wird die Hilfe von den Betroffenen angenommen? Wie kamen Ihre Hilfe und Ihr Rat an?
Görtz: Wie die Hilfe in Winnenden im Moment angenommen wird, kann ich nicht sagen. Meine Hilfe jedenfalls wurde gut angenommen, ich bin auch für Morgen noch einmal angefordert. Da wird es dann darum gehen, die rettungsdienstliche Begleitung der Trauerfeier zu planen. Die Situation ist ganz besonders, da so viele Menschen emotional beteiligt sind. Da ist es natürlich hilfreich, wenn jemand beratend zu Seite steht, der so etwas bereits geplant hat. Ich habe damals in Erfurt auch meinen Vorgänger angerufen und ihn um Rat gefragt. Eine externe Meinung kann für eine Einschätzung in solchen Fällen wichtig sein.
ka-news: Sie haben bereits in den Medien von einer Nachsorge für die Einsatzkräfte gesprochen. Wie sieht so eine Nachsorge aus?
Görtz: Wir neigen als Rettungskräfte oft dazu, nur an die anderen zu denken und nicht an uns selbst. Aber gerade die Kollegen, die direkt mit den Opfern zu tun haben und beispielsweise Kinder, die den Täter gesehen haben, betreut haben, sind doch sehr stark belastet. Man darf da die Belastbarkeit der Kollegen nicht überschätzen. Die Nachsorge muss nicht unbedingt über Psychologen geschehen. Ich habe in Erfurt gute Erfahrungen mit Einsatznachbesprechungen in kleinen Gruppen gemacht. Zum Einstieg wird der sachliche Ablauf besprochen, um dann im Laufe des Gesprächs dahin zu kommen, über die Emotionen während des Einsatzes zu sprechen. Es ist nicht einfach nach so einem Erlebnis die Gefühle nach außen zu bringen, zur Verarbeitung des Ganzen ist es aber enorm wichtig. Die Nachbesprechungen finden unter der Leitung speziell geschulter Einsatzkräfte statt, da diese im Gegensatz zu Psychologen von außen auch eigene Erfahrungen haben und wissen wie es an so einem Einsatzort aussieht, wie es riecht und was dort passiert. Das ist wichtig, um wirklich helfen zu können.
ka-news: Was halten Sie davon, dass das Thema in ein paar Wochen wieder in Vergessenheit geraten sein wird? Ist das sinnvoll?
Görtz: Da bin ich sehr zwiegespalten. Die Motive sind bei solchen Taten meist unklar, was die Täter jedoch immer wollen, ist die große öffentliche Aufmerksamkeit, die ihr Suizid in Verbindung mit einem Massenmord hervorruft. Aus diesem Grund würde ich mir für die Zukunft eigentlich wünschen, dass bei solchen Taten nur eine kurze Meldung veröffentlicht wird und nicht so eine Riesensache in den Medien daraus gemacht wird. Aber ich weiß, dass das schwierig umzusetzen ist. Prinzipiell wünsche ich mir eine offenere Diskussion über Toleranz, Mitgefühl und Nächstenliebe in der Gesellschaft. Das mag altmodisch klingen, aber ich habe das Gefühl, dass in unserer Gesellschaft wenig über Gefühle geredet werden kann und sehr viel verdrängt wird. Es ist meiner Meinung nach falsch, die Probleme an der Schule festzumachen - die Schule ist ja keine Insel. Eltern verlassen sich zu oft darauf, dass Kindergarten und Schule wichtige Aufgaben im Leben der Kinder übernehmen. Seit Erfurt beschäftigen mich solche Fragen. Ich denke neben all der Hektik und dem Erfolgsstreben in unserem Leben, sollten wir uns ab und zu rückbesinnen und uns überlegen, was wirklich wichtig ist im Leben.
ka-news: Herr Görtz, wir bedanken uns für das Gespräch.
Interview: Tanja Hamer