Die 70-Jährige ist trotz ihres Alters immer noch sehr aktiv. "Als mir eine Stelle als Putzhilfe angeboten wurde, wollte die Krankenkasse mich wegen meines Alters nicht aufnehmen", erzählt sie. Ellis Zimmer ist eine Ausnahme - es ist nicht nur ordnungslieb eingerichtet. Sie hat sogar eigenes Bad-WC und eine teuer-wirkende Duscheinrichtung mit einer Schiebetür. Natürlich hat sie alle ihre Sachen billig oder sogar auf dem Sperrmüll erworben. Bis 2010 werden sich ihre Lebensbedingungen jedoch zum Besseren verändern.
Das Zimmer von Kerstin (Foto: ka-news) |
Der Gemeinderat Karlsruhe hat beschlossen die zwei unbetreuten städtischen Obdachlosenheime bis 2010 aus Kostengründen zu schließen - 150.000 Euro zahlt die Stadt monatlich für ihre insgesamt fünf Obdachlosenhotels. Dabei sollen die Bewohner in Mietwohnungen untergebracht werden. Sozialbürgermeister Harald Denecken erläuterte gegenüber ka-news, wie er trotz des Mangels an preisgünstigem Wohnraum und ohne größere Bauprojekte von Mehrfamilienhäuser zu starten die Obdachlosen in Mietwohnungen unterbringen will.
Das Zimmer von Elli (Foto: ka-news) |
Die Fächerstadt biete den Besitzern von sanierungsbedürftigen Wohnungen im Rahmen des sozialen Projekts "Karlsruher Modell" ein für beide Seiten profitables Angebot: Sie übernehme 20 bis 30 Prozent der Sanierungskosten. Im Gegenzug schließe der Vermieter mit der Stadt einen langfristigen Mietvertrag für nicht weniger als zehn Jahre. Damit will die Stadt zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen sollen die kostspieligen Obdachlosenheime geschlossen werden; zum anderen weiß die Umgebung nichts von der Obdachlosigkeit des Mieters - schließlich ist das für den Betroffenen oft ungeheuer peinlich.
Derzeit leben noch 300 Obdachlose in Karlsruhe und es wären noch mehr ohne das neue präventive Vorgehen der Stadt. Harald Denecken erzählt: "Im Vorfeld der Räumungsklagen sind wir schon aktiv: Sobald unsere Mitarbeiter in der Abteilung Wohnungslosenhilfe die Information vom Amtsrichter bekommen, werden wir aktiv - wir verhandeln mit dem Mieter und Vermieter, denn der Verbleib in der Wohnung ist für uns immer günstiger als beispielsweise eine fünfköpfige Familie im 'Hotel' unterzubringen. Und wenn es erforderlich ist, übernehmen wir Teile der Mietschulden."
Umfrageergebnis der Stadt Karlsruhe, Dezernat 6, vom September 2003. Dabei wurden insgesamt 147 Obdachlose befragt (Grafik: pr) |
Die meisten Obdachlosen bekommen nach Harz IV (Sozialgesetzbuch II) 345 Euro pro Monat, erklärt der Abteilungsleiter der Abteilung "Wohnungssicherung" Martin Lenz. Von diesem Geld bezahlen sie 7,70 Euro pro Nacht für die Übernachtung in der Obdachlosenunterkunft. Für eine Mietwohnung würde ein Obdachloser nichts zahlen, vorausgesetzt er habe ein zu niedriges Einkommen, hätte aber dafür eine Wohnung mit eigener Küche und eigenem Bad/WC. Bis jetzt haben sich 40 Vermieter gefunden. "Diese Vermieter wollen Menschen helfen sich zurück in die Gesellschaft zu integrieren und außerdem haben sie eine sichere Mieteinnahme", erklärte Lenz gegenüber ka-news.
Im November stellt Lenz dieses "Karlsruher Modell" in Brüssel auf dem "European Forum To Combat Homelessness" vor - "ein europäischer Erfahrungsaustausch von Städten, die innovative Wohnungslosenhilfe betreiben", definierte Lenz und bemerkte: "Wir gehen als Lernende dorthin und nicht nur als Selbstdarsteller." Trotz dieser bescheiden klingenden Aussage wird das "Karlsruher Modell" europaweit bekannt, wodurch andere Städte, wo billige Mietwohnungen ebenfalls eine Rarität sind - wie München, Stuttgart oder Heidelberg - von dieser Erfahrung auf jeden Fall profitieren werden.Auf diese Weise ändert sich das Leben vieler Kerstins und Ellis.