ka-news: Wie schätzen Sie die Chancen und vor allem auch die Platzierung für Deutschland in diesem Jahr ein?
Jan Zipperer: Ich reihe mich da gerne in die vielen positiven Resonanzen der internationalen Presse ein und freue mich auch über die hohen Chancen, die Lena in englischen Wettbüros ausgerechnet wurden. Ich sehe auch in Stefan Raab den idealen Partner für Lena, der schon einen großen Erfahrungsschatz mit dem Eurovision Song Contest hat. Daher teile ich seine Einschätzung, dass eine Top-10-Platzierung schon ein großer Grund zur Freude wäre.
Aber insgeheim sehe ich in Lena eine gute Kandidatin für die Spitzenposition. Sie ist süß, hat einen lustigen Akzent, einen einigermaßen guten Popsong im Gepäck und vor allen Dingen umgibt sie eine merkwürdige Aura, die mich vom ersten Augenblick an wirklich verzaubert hat. Ich wusste damals bei Ihrem ersten Castingshow-Auftritt, schon sofort: "Die isses!" - Wenn sie sich diese Magie bis Samstag erhalten kann, dann berührt sie vielleicht auch unsere europäischen Nachbarn.
ka-news: Was macht die Person Lena überhaupt aus; wieso ist der Hype um unseren Grandprix-Beitrag auf einmal so groß?
Zipperer: Ich glaube da spielen einfach viele Ereignisse eine große Rolle. Zu allererst die vielen schlechten Platzierungen in den Vorjahren, dabei auch das undurchsichtige Auswahlverfahren im letzten Jahr mit dem Ergebnis, einen unbekannten Sänger mit einer Stripperin auf die Bühne zu stellen.
Dann wurde der Raab eingeschaltet, der nach den ersten Verhandlungen die ARD als unflexibel bezeichnete und eine Beteiligung ablehnte, schließlich aber doch einwilligte und seine Castingshow "Unser Star für Oslo" vorstellte. Und dort wurden ausnahmslos große Talente in den Mittelpunkt gestellt. Anders als bei DSDS zählte nur die Stimme, nicht der Background, keine Vorstrafen, keine Skandale. Und ganz bestimmt auch keine bösartige Jury.
Das war erfrischend anders, das hat einfach Spaß gemacht. Und insbesondere Lena, die mit ihrer Songauswahl immer wieder auf unbekannte Songs gesetzt hat; sie ist einfach der komplette Gegenentwurf zum großen "Schema F" der Casting-Shows, das auf allen anderen Sendern zelebriert wird.
Komischer Akzent, freche und witzige Art - aber nichts Privates in der Öffentlichkeit
ka-news: Wie meinen Sie, kommt der Song beim Rest Europas an? Ist es vorrangig das Lied oder doch das gern bezeichnete "Gesamtpaket"?
Zipperer: In der heutigen Popmusik ist es oftmals so, dass das Gesamtpaket eine entscheidende Rolle spielt. Tokio Hotel funktionieren Dank der komischen Frisur von Sänger Bill, Amy Whinehouse wurde erst mit ihren zahlreichen Skandalen richtig erfolgreich und natürlich braucht auch eine Lena eine Geschichte.
Da ist der komische Akzent, da gibt es ihre freche und witzige Art, aber auch die strikte Ablehnung, Privates in der Öffentlichkeit preiszugeben. Dann, dass sie mittendrin im Abitur steckte und schließlich tauchten noch Nacktfotos von ihr auf. Das alles sind Punkte, auf die Medien reagieren können, und deshalb wird über sie berichtet. So auch im Ausland - und das ist gut für ihren Bekanntheitsgrad und ihre Chancen beim Wettbewerb.
ka-news: Stefan Raab gilt als Erfolgsgarant, wenn es um Grandprix-Beiträge gibt (Er belegte selbst Platz 5 mit "Waddehaddedudeda" und sein Schützling Max Mutzke schaffte es auf Platz 8). Soll er nun jedes Jahr auf die Suche nach "Unserem Star für (…)" gehen?
Zipperer: Soweit ich informiert bin, hat Herr Raab bereits einen Vertrag mit der ARD unterschrieben, um auch im nächsten Jahr wieder den Beitrag mit auszuwählen. Was spricht auch dagegen? Die Rekordergebnisse beim Download und in den Charts, das zu wiederholen wird schwer. Aber der Vorentscheid war großartige TV-Unterhaltung und die gibt es heutzutage nur noch selten. Wegen mir soll der Raab das weitermachen.
"Rudi Carell hat auch ein komisches Deutsch gesprochen"
ka-news: Inzwischen stehen bereits die Finalisten der anderen Länder fest – wie steht es mit der Konkurrenz, wer könnte unserem Beitrag gefährlich werden – und vor allem, warum?
Zipperer: Ich finde Frankreich und auch Griechenland haben zwei ziemlich starke Songs dabei. Beide mit viel Energie und tanzbaren Rhythmen und sie haben auch ein großes Mitsingpotenzial. So was ist natürlich immer gut. Georgien und Armenien gehen hingegen mit zwei schönen ruhigen Nummern ins Rennen, in denen ich auch eine recht große Konkurrenz sehe.
Ich gehöre nicht zu den Menschen, die den Ost-Europäischen Ländern beim ESC eine Art musikalische Verbrüderung vorwerfen, aber gerade wenn in Songs traditionelle Instrumente und Folklore-Elemente vorkommen, dann fällt es mir schwer, einzuschätzen, wie gut der Song wirklich ist. Auch dort gibt es sicherlich ein paar gute Kandidaten. Albanien setzt zum Beispiel einen Song ein, der auch von Christina Aguilera hätte sein können.
ka-news: Was wir Deutschen als niedlichen britischen Akzent bezeichnen, verglichen die Einwohner der Insel eher mit der Aussprache eines australischen Bauern. Könnte dies Lena in englischsprachigen Ländern zum Verhängnis werden?
Zipperer: Mal andersherum gedacht: Rudi Carell hat auch ein komisches Deutsch gesprochen, gehört aber in Deutschland zu den größten Entertainern aller Zeiten. David Bowie, Peter Gabriel und sogar die Beatles haben Songs auf Deutsch gemacht und alle hatten einen noch schlimmeren Akzent als Lena. Aber ich fand diese Songs immer witzig, weil ich es respektiert habe, dass diese Menschen sich die Mühe machten, ein Lied auf Deutsch einzusingen. Ich hoffe die englischen Muttersprachler denken da ähnlich. Und selbst wenn nicht, da bleiben ja noch viele nicht-englische Länder, die uns 12 Punkte geben könnten.
"Eine Künstlerin gefunden, von der wir in Zukunft noch einiges hören werden"
ka-news: Was ist Ihrer Meinung nach das perfekte Grandprix-Rezept? Wie viel an Stimme und Gesang, Bühnenshow, Sexi- und Craziness zählt letztendlich, wenn man es mit früheren Beiträgen vergleicht?
Zipperer: Popmusik war irgendwie schon immer mehr als nur das einfache Singen eines Songs - Elvis hatte den Hüftschwung, die Beatles Pilzfrisuren, Alice Cooper und Kiss haben sich die Gesichter weiß angemalt und Lady Gaga ist einfach ein bisschen irre. Es wäre doch auch ein wenig langweilig, wenn bei diesem Wettbewerb alle Teilnehmer die gleiche Kleidung tragen müssten und sich nur mit einer Gitarre auf einen Barhocker setzen dürfen - okay, mit diesem Konzept hat Nicole damals gewonnen, aber ich glaube nicht, dass das heute noch mal funktionieren würde.
ka-news: Na dann kann ja nichts mehr schief gehen, drücken wir Lena am Samstag die Daumen!
Zipperer: Auch neue Welle wünscht Lena und Stefan Raab ganz viel Glück beim ESC! Und wenn es nichts wird mit dem Sieg, dann freue ich mich, dass wir Dank Stefan Raab eine Künstlerin gefunden haben, von der wir hoffentlich in Zukunft noch einiges hören werden.