Mehrmals in der Woche schlüpft Pia-Maria Müller in ihre Sportklamotten, bandagiert Hände und Handgelenke, schlüpft in die Boxhandschuhe und lässt die Fäuste fliegen. Müller ist passionierte Kickboxerin und Boxerin beim Polizeisportvereins Karlsruhe (PSV), trainiert die Kickboxer des Vereins. Mehrfach die Woche feilt sie an Technik und Reflexen. "Die Fitness steht im Vordergrund und der Spaß am gemeinsamen Training in der Gruppe." Selbstverteidigung, sagt sie, spiele dabei keine Rolle.
Pia-Maria Müller ist mit ihrer Leidenschaft nicht alleine. In der Region boomen Boxen, Vollkontaktkampfsportarten und moderne Selbstverteidigungen wie Kickboxen, Muay Thai und Krav Maga. Immer mehr Karlsruher ziehen in ihrer Freizeit los, um dem Boxsack ein paar mitzugeben. Vereine und Fitnessstudios reagieren und bauen Kursangebote aus.
"Insbesondere Studenten kommen vermehrt ins Training"
"In den vergangenen zwei Jahren hat sich die Zahl der Boxer und Kickboxer nahezu verdoppelt", sagt Attila Horvat, Vorstandsmitglied des PSV. KSC Box-Abteilungsleiter Lothar Knöpple verzeichnet bei Breitensportlern einen kontinuierlichen Trend nach oben, "insbesondere Studenten kommen vermehrt ins Training". Beim SSC setzt man erfolgreich auf den Kampfsport Muay Thai und auf eine Kooperation mit dem Muay Thai Club Karlsruhe. Und Steffen Werner vom Fit-in Karlsruhe beteuert: "Vor ein paar Jahren hing in kaum einem Fitnessstudio ein Boxsack. Heute bauen wir unsere Angebote kontinuierlich aus."
Fragt man nach den Gründen für den Boom, sagen die Vereine einstimmig: die Fitness. Boxen und Vollkontaktkampfsportarten trainieren Kraft, Fitness und Körperbeherrschung gleichermaßen. "Ein besseres Training als das Boxtraining gibt es nicht", versichert Lothar Knöpple vom KSC. Der Kampf Mann gegen Mann scheint jedoch an Reiz zu verlieren. Sparring? Ja. Ein echter Fight? Eher nicht. "Nur rund fünf bis zehn Prozent unserer Mitglieder wollen Wettkämpfe bestreiten", sagt Bernd Müller, sportlicher Leiter des Muay Thai Clubs Karlsruhe.
Boxen hat seinen Milieu-Charakter verloren
Und dann wäre da noch der Ruf der Sportarten. In den 60er Jahren besiegte Muhamed Ali Sonny Liston, einen Ex-Knacki; in den 90er Jahren gehörte der Ring Mike Tyson, einem verurteilten Vergewaltiger, der seinem Gegner auch mal Teile des Ohres abbiss. Heute hingegen erscheint kaum noch ein Fitnessmagazin ohne das entsprechende 5-Wochen-Power-Box-Workout. Außerdem versichern die Vereine, auch auf gut ausgebildete und seriöse Trainer zu achten. Viele von ihnen haben Wettkampferfahrung. "Boxen und moderne Vollkontaktkampfsportarten haben ihren Milieu-Charakter definitiv verloren", attestiert PSV-Vorstandsmitglied Horvat.
Ein Milieu-Problem hat zumindest Krav Maga nie gehabt. Erst vor ein paar Jahren nach Deutschland geschwappt, gibt es mittlerweile kaum eine mittelgroße Stadt, in der nicht mindestens ein Verein die israelische Selbstverteidigungsart anbietet. In Karlsruhe bietet unter anderem Mario Lopopolo, Leiter des Combat Clubs Eggenstein, die leicht zu erlernende und hoch effektive Selbstverteidigung an.
Auch das Fit-in in Karlsruhe hat Krav Maga im Programm. "Bei unseren Mitgliedern steht ganz klar der Selbstverteidigungsaspekt im Vordergrund", sagt Lopopolo. Und er ist überzeugt, dass der Zulauf anhalten wird. "Die gefühlte Bedrohungslage – unabhängig davon, ob begründet oder nicht – steigt und die Menschen wollen sich darauf vorbereiten."