Donnerstagvormittag, kurz nach 11 Uhr: Ich stehe am Karlsruher Werderplatz. Doch ich bin nicht allein: Um mich herum haben sich bereits zahlreiche Menschen versammelt, die darauf warten, zur 7. Karlsruher Vesperkirche eingelassen zu werden.

Mitten durch das Menschengewimmel bahne ich mir einen Weg zur Johanniskirche in der Karlsruher Südstadt, wo die gemeinnützige Aktion jährlich stattfindet. Ich darf schon ein wenig früher eintreten, denn ich werde heute ordentlich mithelfen und hinter die Kulissen schauen. Meine Aufgabe: Bei der Essensausgabe mit anpacken, damit die über 250 Bedürftigen eine warme Mahlzeit erhalten.
40 Ehrenamtliche helfen mit
Doch natürlich mache ich heute nicht alle Arbeiten alleine: Damit auch alle wirklich satt werden, helfen rund 40 Ehrenamtliche mit. Drei von ihnen sind Kerstin Ludwig, Rosi Rühle und Friedrich Doll, mit denen ich gemeinsam bei der Essensausgabe eingeteilt bin. Auf dem Speiseplan: Cevapcici mit Reis und Soße.

Bevor es aber gleich rund geht und sich zahlreiche Hungrige in einer langen Schlange vor der Essensausgabe aufreihen, nutze ich noch kurz die Zeit, um mich mit meinen drei Kollegen auszutauschen, denn: Im Gegensatz zu mir haben die drei schon Erfahrungen in der Vesperkirche gesammelt. Friedrich Doll ist gar schon seit Jahr eins dabei. Hier kann ich mir bestimmt noch ein paar wertvolle Tipps abholen, denke ich mir.

Teller und Töpfe stehen bereit - es kann losgehen
Zu meiner Erleichterung geben mir Kerstin, Rosi und Friedrich tatsächlich noch eine ausführliche Einweisung, damit wir den bevorstehenden Ansturm bewältigen können. "Zwei Löffel Reis, fünf Cevapcici und eine halbe Kelle Soße - außer es wird anders gewünscht", erklärt mir Friedrich.

Ich bin jetzt also gebrieft, Teller und dampfende Töpfe stehen auch bereit, es kann losgehen. Als die Uhr dann tatsächlich 12 schlägt und sich die Kirchentüren öffnen, gewinnt meine Nervosität dann aber doch wieder ein wenig die Oberhand.
Bei der Vesperkirche kommen alle zusammen
Doch meine Sorge stellt sich schnell als unbegründet heraus - vor allem deshalb, weil ich plötzlich gar keine Zeit mehr habe, mir den Kopf weiter zu zerbrechen, denn: Vor der Ausgabe hat sich bereits eine lange Schlange gebildet. Wir öffnen die dampfenden Hauben der jeweiligen Töpfe.
Die Menschen warten geduldig auf ihre warme Mahlzeit. Wie zuvor besprochen teilen wir uns auf, um möglichst schnell allen Besuchern der Vesperkirche mit einer warmen Mahlzeit ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

Nach und nach strecken uns die unterschiedlichsten Menschen die roten Bons entgegen. Ob ein Mann mit zerschlissener Kleidung oder junge Handwerker, die sich noch in der Ausbildung befinden - hier kommen sie alle zusammen. Aber es gibt auch Schattenseiten: "Das Schlimme ist, dass auch viele Kinder die Vesperkirche besuchen", meint Kerstin.

Fast alle Wünsche werden erfüllt
Daher ist besonders wichtig: Es werden alle Wünsche, sofern möglich, erfüllt. "Letztes Mal war ein Mann hier, der aufgrund einer Operation an der Speiseröhre nicht schnell essen konnte. Wir haben ihm einen extra Teller mitgegeben, den er auf sein Essen legen konnte, damit es länger warm bleibt", erzählt mir Rosi.

Einige holen auch zwei Mahlzeiten oder mehr - aber nicht weil sie großen Hunger haben. "Ich nehme eine Portion für meine Frau mit, da sie wegen einer Krankheit nicht so lange in der Schlange stehen kann", erklärt mir ein Mann, als er zwei Teller mit Cevapcici und Reis entgegennimmt. An einem der zahlreichen gefüllten Tische wartet bereits seine Partnerin auf ihn.
Doch lange habe ich nicht Zeit, mich mit den Besuchern zu unterhalten. Denn zu meiner Arbeit an der Essensausgabe gehört noch mehr, als nur Reis und Soße auf einen Teller zu schaufeln.
Kleine Brandblasen gehören dazu
Damit alle schnell ihre warme Mahlzeit bekommen, müssen wir regelmäßig frische - und vor allem heiße - Teller bereitstellen. Die bewahren wir in einem Wärmeschrank hinter der Theke auf - was mir am Ende des Tages die eine oder andere kleine Brandblase beschert.

Damit die Teller auch gefüllt werden können, wird ständig Nachschub geholt, sobald Reis, Fleisch oder Soße zur Neige gehen. Leere Behälter raus, volle wieder rein. Über den dampfenden Schüsseln bricht mir schnell der Schweiß aus.
"Viele sind froh, wenn man nur ein offenes Ohr für sie hat"
Ich bin erstaunt, dass die Ehrenamtlichen die Arbeit hier jeden Tag aufs Neue mit so viel Freude angehen. Was gibt ihnen die Hilfe in der Vesperkirche zurück? "Ich spreche viel mit den Gästen - einige sind froh wenn sie jemanden haben, der einfach ein offenes Ohr für sie hat", erklärt mir Rosi.

Während eine Portion nach der anderen über die Theke wandert, wird die Schlange langsam immer kürzer. Plötzlich reißt mich Friedrichs Stimme aus meinen Gedanken: "So Ingo, deine Schicht ist um!" Erstaunt schaue ich auf die Uhr und tatsächlich: Es ist schon 14 Uhr, die Zeit verging wie im Flug!
Chapeau vor allen ehrenamtlichen Helfern!
Während wir unseren Blick über die leeren Behälter schweifen lassen, macht sich ein Gefühl der Zufriedenheit in Kerstin, Rosi, Friedrich und mir breit. "Uns geht es gut, aber es gibt so viele Menschen, denen es nicht so geht. Da hilft man gerne", sagt Rosi zu mir.

Da muss ich ihr beipflichten. Während ich mich verabschiede, meine Schürze ablege und hinaus auf den sonnigen Werderplatz trete, spüre ich, wie die Erschöpfung von mir Besitz ergreift. Ich habe nun am eigenen Leib erfahren, was Rosi, Friedrich, Kerstin und ihre Kollegen hier vom 12. Januar bis zum 9. Februar leisten - und das jeden Tag aufs Neue. Vor der ehrenamtlichen Arbeit in der Vesperkirche habe ich nun nur noch größeren Respekt.
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