„Neue Sachverhalte werden gemeldet oder aufgedeckt, auch wenn es sich glücklicherweise eher selten um akute Situationen handelt“, so die Erkenntnis von Sozialdezernent Peter Kappes. Seit auch die Bundespolitik der Familienpolitik mehr Bedeutung beimisst, seien auch in der Landespolitik die Belange von Familien und Kindern wichtiger geworden. So hat sich die Anzahl der im Karlsruher Landkreis tätigen Familienhelfer im Vergleich zum Vorjahr von 170 auf etwa 230 erhöht. Dies sieht das Landratsamt positiv, da sich daran zeigt, dass die Menschen die angebotenen Hilfen in Anspruch nehmen und damit eventuellen Eskalationen vorbeugen. Je früher Hilfen gewährt werden könnten, desto mehr könnten die Helfer in den Familien bewirken.
Laut Angaben des Landratsamtes hat sich die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die außerhalb der Familie betreut werden mussten, im letzten Jahr verringert: Aktuell nehmen 190 Kinder im Landkreis eine sogenannte Vollzeitpflege in Anspruch und 100 Kinder befinden sich in Heimerziehung. Diese Zahlen sind für einen Landkreis dieser Größe jedoch vergleichsweise niedrig, wie Kappes gegenüber ka-news betonte. Die Zahl der stationären Fälle ist nicht im gleichen Maß gesunken wie sich der Bedarf an ambulanten Hilfen erhöht hat, was Sozialdezernent Kappes aber dennoch als gutes Zeichen wertete.
In der jüngsten Sitzung des Jugend- und Sozialhilfeausschusses des Kreistags berichtete der Leiter des Jugendamtes, Richard Kalteisen, über die Effekte von Präventionsmaßnahmen für Kinder und Jugendliche nach dem Grundsatz „ambulant vor stationär“. „Diese präventiven und ambulanten Angebote sowie die Vernetzung mit Einrichtungen der Frühen Hilfen tragen dazu bei, dass Einrichtungsträger sensibler reagieren und früher an das Jugendamt herantreten“, so Kalteisen.
Zunehmende Erziehungsunfähigkeit und überforderte Eltern
Bei der allgemeinen gesellschaftlichen Stimmungslage sei es auch nicht auszuschließen, dass die Mitarbeiter des Jugendamtes bei eingehenden Meldungen, insbesondere bei den Fällen, die sich in einer Grauzone bewegen, noch sensibler und vorsichtiger reagieren als sie dies in der Vergangenheit getan haben. Im Vordergrund stehe immer, für die betroffenen Kinder und Jugendlichen ein Höchstmaß an Sicherheit zu gewährleisten.
Auch die gesamtgesellschaftliche Entwicklung, wie zunehmende Erziehungsunfähigkeit, überforderte Eltern, veränderte Familienstrukturen und die Zunahme von psychisch kranken und behinderten Eltern sowie seelisch behinderten Kindern seien für die steigenden Jugendhilfeaufwendungen mitverantwortlich. Unter "seelisch behindert" versteht man durch externe Faktoren hervorgerufenes seelisches Leiden der Kinder, beispielsweise durch Trennung der Eltern oder Vernachlässigung im Kleinkindalter. „Das Jugendamt will Eltern, Familien und allein Erziehende beraten und begleiten sowie über die Möglichkeiten von präventiven Maßnahmen informieren“, betonte der Leiter des Jugendamtes.
Ambulante Maßnahmen vielversprechend
Den Grundsatz „ambulant vor stationär“ beschrieb Kalteisen den Kreisräten anhand eines Beispiels aus dem Landkreis: Eine getrennt lebende türkische Mutter hatte Probleme mit ihrem gewalttätigen Ehemann. Sie wurde nach der Trennung in das ehemalige Programm "Mutter und Kind" (heute: "Frühe Hilfen") aufgenommen, weil klar war, dass sie erhebliche Defizite in der Erziehung der Tochter und in der Gestaltung ihres Lebensalltags hatte. Im Januar 2007 wurde ihr zweites Kind geboren. Innerhalb dieser Familie gab es viel Aggressionspotenzial und depressive Verhaltensweisen sowie Schwierigkeiten mit den Eltern der Mutter. Weitere massive Defizite bestanden in organisatorischen Angelegenheiten. Zudem war die Familie hochrangig verschuldet. Aus diesen Gründen war zu befürchten, dass die beiden Kinder fremd untergebracht werden mussten. Das Jugendamt habe daraufhin der Mutter die ambulanten Maßnahmen der Familienhilfe angeboten.
Seit Juni 2007 arbeite nun eine Familienhelferin zweimal pro Woche mit der Familie zusammen. Die Kinder konnten somit in der vertrauten Umgebung bleiben. Viele Probleme der Familie seien seither bearbeitet und gelöst worden. Die Mutter sei nun zunehmend in der Lage, die erzieherische Verantwortung zu übernehmen. Die Gesamtprognose der Familie könne als gut angesehen werden. „Wir versprechen uns von ambulanten Maßnahmen vor allem auch eine dem Kindeswohl gerechter werdende Betreuung der Kinder und Jugendlichen“, so Kalteisen abschließend.
Karlsruhe