Frau Göring-Eckardt, am Freitag hat der Bundestag mit großer Mehrheit grünes Licht für Verhandlungen über weitere Milliarden-Finanzhilfen für Griechenland gegeben. Ist Griechenland jetzt endgültig gerettet?
Nein. Deswegen muss jetzt endlich mit dem Grexit-Gerede Schluss sein, es braucht das klare Bekenntnis: Griechenland wird im Euro bleiben. Ohne diese Sicherheit wird doch keiner mehr dort investieren. Das braucht das Land aber, um sich wirtschaftlich erholen zu können. Als wir das zweite Hilfspaket verlängert haben, habe ich im Bundestag schon gesagt, es wird ein drittes geben. Alle Regierungsbeteiligten haben damals Stein und Bein geschworen, das werde niemals so kommen. Und jetzt wird es das dritte Hilfspaket geben.
Meinen Sie, es wird es sogar noch ein viertes Hilfspaket notwendig?
Es wird nicht nochmal ein solches Hilfspaket geben, wie es jetzt verhandelt wird. Das sind immerhin 80 Milliarden Euro. Man sollte auch nicht so tun, als ob das alles nur Gängelei wäre. Das Paket ist natürlich mit harten Reformen verbunden, aber es ist auch reales Geld. Ich glaube, was Griechenland vor allem brauchen wird, sind längerfristige Hilfen und längerfristige Investitionsprogramme. Ich bin im Übrigen sehr froh, dass es Alexis Tsipras nach allen Schwierigkeiten geschafft hat, eine breite Mehrheit in seinem Parlament und den Rückhalt in der Bevölkerung für ein sehr, sehr schwieriges Reformprogramm zu bekommen. Man muss sich ja nichts vormachen: wenn ich mir vorstelle, wir würden in Deutschland die Renten um 40 Prozent kürzen, das Renteneintrittsalter binnen kürzester Zeit heraufsetzen und gleichzeitig die Steuern erhöhen, hier wäre sonst was los - von Griechenland verlangen wir genau das.
Es gab auch zahlreiche Stimmen gegen das dritte Hilfspaket. Die Karlsruher Grünen-Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl stimmte ebenfalls mit Nein. Sie habe in Verhandlungsführer Wolfgang Schäuble "nicht das Zutrauen, dass er auch das Wohl Griechenlands, das Wohl der griechischen Bevölkerung im Auge hat". Vertrauen Sie denn Finanzminister Schäuble in dieser Sache?
Das Vertrauen ist nicht mehr besonders groß, weil Schäuble wieder vom Grexit als die bessere Möglichkeit gesprochen hatte, nachdem bereits 18 Länder plus Griechenland eine Verabredung getroffen hatten. Daher ist es auch mir persönlich noch nie so schwer gefallen, ihm die Verhandlungen anzuvertrauen. Zugleich weiß ich, dass er nicht alleine verhandelt. Ich bin heilfroh darüber, wie der französische Präsident Francois Hollande und Italiens Ministerpräside Matteo Renzi agiert haben. Für mich war entscheidend, dass es die Möglichkeit gibt, dieses dritte Hilfspaket umzusetzen, damit die Griechen im Euro bleiben. Das hat mich dazu bewogen mit Ja zu stimmen, obwohl ich das genauso einschätze wie Sylvia Kotting-Uhl. Was die Abstimmung angeht, können wir als Fraktion zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, wir sind uns aber einig, was die grundsätzliche Einschätzung angeht: Griechenland muss im Euro bleiben, die Verhandlungsstrategie der Bundesregierung war antieuropäisch.
Der "Grexit auf Zeit" kommt für Sie also überhaupt nicht in Frage?
Nein, das kommt für mich nicht in Frage. Es wäre zum ersten Mal so, dass die Europäische Union und die Eurozone kleiner werden würden und nicht größer. Das entspricht natürlich dem, was Schäuble eigentlich will: er will ein Kerneuropa. Es entspricht aber überhaupt nicht dem, was wir wollen. Wir wollen, dass dieses Europa europäischer wird. Dass Europa nicht nur eine gemeinsame Finanzpolitik und Währung hat, sondern vor allem einen gemeinsamen Wirtschafts- und Sozialraum mit Standards.
Hat Sie das agieren der SPD in diesem Zusammenhang enttäuscht?
Was soll man dazu noch sagen. Man weiß überhaupt nicht mehr, wer oder was die SPD eigentlich ist. Sigmar Gabriel war offensichtlich für den Grexit. Seine Partei stand Kopf. Hinterher wollte er davon nichts mehr wissen. Das halte ich für nicht besonders glaubwürdig. Für meine Begriffe hat sich die SPD als Europapartei mit ihrem Verhalten keinen Gefallen getan.
Ein weiteres Thema, das Deutschland und Europa derzeit bewegt, ist die große Anzahl von Flüchtlingen. Die Flüchtlingsunterkünfte der Länder sind überfüllt - auch hier in Karlsruhe. Viele Kommunen fühlen sich vom Bund im Stich gelassen. Hat die Politik versagt?
In Karlsruhe gibt es die Erstaufnahmeeinrichtung und damit einer der größten in der Bundesrepublik. Ich bin sehr froh, dass es in Baden-Württemberg so läuft wie hier. Man könnte es nämlich auch anders machen. Wenn man sich beispielsweise anschaut, was Horst Seehofer in Bayern gerade wieder macht. Er zündelt mit Worten, nachdem auch in Bayern Flüchtlingsheime gebrannt haben. Damit schürt er weiter Ressentiments und Fremdenfeindlichkeit - und das in dieser Situation, in der Menschen in Not hierherkommen. Hier von einem "massenhaften Asylmissbrauch" zu reden, finde ich absurd und hochgefährlich.
In Remchingen - unweit von Karlsruhe - brannte am Wochenende auch eine geplante Flüchtlingsunterkunft aus. Die Polizei vermutet Brandstiftung.
Das hat mich betroffen gemacht. Das war auch ein Angriff auf all jene, die sich hier für die Flüchtlingen jeden Tag stark machen. Die Reaktion der Landesregierung hier in Baden-Württemberg war eine ganz andere als in Bayern. Ministerpräsident Kretschmann machte deutlich: "Bei uns ist kein Platz für Hass und Ausgrenzung." Das war eine sehr eindeutige und starke Reaktion. In Baden-Württemberg gibt es eine große Hilfsbereitschaft und eine große Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen.
Die Bundespolitik indes bekleckert sich bei der Flüchtlingspolitik wirklich nicht mit Ruhm, sondern ganz im Gegenteil: Nur fünf Prozent der Kosten für Flüchtlingsaufnahme-Finanzierung und Unterbringung übernimmt der Bund. Der Bund müsste viel mehr helfen, er müsste zuständig sein für die Erstaufnahme-Finanzierung, für Deutschkurse, für die Gesundheitsversorgung. Hier hat die Bundesregierung versagt, sie lässt die Länder und Kommunen alleine. Es muss unbedingt eine strukturelle Entlastung geben. Meine größte Sorge ist, dass Kommunen eines Tages sagen: "Wir können das Schwimmbad nicht mehr aufhalten, denn wir müssen für die Flüchtlingsunterkünfte bezahlen." Das muss unbedingt verhindert werden. Der Bund muss hier endlich Verantwortung übernehmen.
Es gibt durchaus Städte, die viele Flüchtlinge aufnehmen. Andere nehmen gar keine auf. Muss hier nicht eine bessere Verteilung erfolgen?
Es gibt eine europäische Verteilungsdiskussion, die auch sehr notwendig ist. Aber wir müssen diese Diskussion auch in Deutschland führen. Flüchtlinge werden derzeit nach Einwohnerzahl, Wirtschaftskraft und Höhe der Arbeitslosigkeit verteilt.Gerade in Großstädten mit Wohnungsnot werden derzeit besonders viele Flüchtlinge untergebracht, weil hier eben die erforderlichen Bedingungen erfüllt sind, während es in Ostdeutschland beispielsweise eine ganze Reihe freistehender Liegenschaften gibt. Dort ist das Geld aber natürlich noch knapper als andernorts. Einfach Flüchtlinge in einen Plattenbau am Rande einer ostdeutschen Stadt abzuschieben, das würde den Flüchtlingen und unserer Willkommenskultur nicht besonders weiterhelfen.
In einigen Unterkünften leben 2.000 bis 3.000 Menschen auf engstem Raum, oft außerhalb der Stadt. Da sind doch Konflikte programmiert. Auch gelungene Integration sieht anders aus.
Ja, wir wissen, dass es dort zu Streitigkeiten kommt. Und das ist auch normal, wenn so viele Menschen auf engstem Raum zusammenkommen, die gleichzeitig nichts zu tun haben. Langweile, Nichtstun-Dürfen und das lange Warten in den Unterkünften führen zu zusätzlichem Konfliktpotential. Deswegen sind Deutschkurse von Anfang an so wichtig. Das ist eine sinnvolle Aufgabe und gut für die Integration. Auch muss die Arbeitsaufnahme für Flüchtlinge erleichtert werden.
Die Grüne Bundestagsfraktion hat jetzt einen Gesetzentwurf zur Erleichterung der Einbürgerung und zur Ermöglichung der mehrfachen Staatsangehörigkeit in den Bundestag eingebracht. Was sind Ihre Kernpunkte?
Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik sollte man nicht vermischen. Das Recht Asyl zu beantragen hat erst einmal jeder. Wenn die Menschen hier gebraucht werden, dann muss auch der Status-Wechsel vom Flüchtling zum Einwanderer möglich sein. Wir müssen uns dazu bekennen, dass wir ein Einwanderungsland sind. Angesichts unserer demografischen Entwicklung und des Fachkräftemangels brauchen wir diese Menschen. Wir wollen auch, dass wer hier geboren wird automatisch auch die deutsche Staatsbürgerschaft bekommt.
Kürzlich wurde Bundeskanzlerin Angela Merkel für ihre Reaktion gegenüber eines Flüchtlingsmädchens bei einer Bürgerdialog-Veranstaltung kritisiert. "Die Fehler der Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik kann man nicht wegstreicheln", haben Sie dazu bei Facebook geschrieben. Wie hätten Sie denn an der Stelle von Frau Merkel reagiert?
Wenn ich Bundeskanzlerin wäre, dann wäre die Politik eine andere. Die aktuelle Flüchtlingspolitik ist falsch. Dieses Mädchen ist gut integriert, sehr klug, weiß aber nach vier Jahren in Deutschland immer noch nicht, ob es hier eine Zukunft hat und bleiben darf. Das ist für ein so reiches Einwanderungsland wie Deutschland nicht würdig.
Die Reaktion von Angela Merkel habe ich nicht kritisiert. Was hätte sie in diesem Augenblick auch tun sollen? Sie hätte ja nicht aus der Situation heraus sagen können: Dein Fall ist jetzt gelöst. Im Rahmen des Falschen war es also eine verständliche, wenn auch unbeholfene Reaktion.
Frau Göring-Eckardt, im März ist in Baden-Württemberg wieder Landtagswahl.
Sie wollen wissen wie es ausgeht? Das kann ich Ihnen gerne sagen.
Ja, und wie geht die Wahl aus?
Winfried Kretschmann bleibt Ministerpräsident. Das will ja jeder hier.
Aber dann in einer grün-schwarzen Koalition, oder?
Nein, das glaube und sehe ich nicht. Es geht auch nicht um Koalitionen oder Konstellationen. Es geht darum, dass Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg Ministerpräsident bleibt. Ich habe nicht den Eindruck, dass es hier eine Wechselstimmung gibt. Die Leute sind hier mit seiner Politik sehr zufrieden.
Das Gespräch führte Moritz Damm