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Karlsruhe: Katja Husen im Interview

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Katja Husen im Interview

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    Seit Dezember 2002 ist sie Beisitzerin im Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen und Frauenpolitische Sprecherin ihrer Partei. Momentan lebt die studierte Biologin in Hamburg. Ihr politisches Ideal sieht sie darin, "den Menschen zu helfen und sie zu befähigen, ihre Freiheit richtig zu nutzen." Unter dieser Prämisse sprach Katja Husen jetzt auf Einladung der Karlsruher Grünen zum Thema Frauenhandel. Im Anschluss unterhielt sich ka-news-Politikredakteur Jochen Fischer mit der engagierten Jung-Politikerin über diese noch immer unterschätzte Problematik.

    ka-news: Frau Husen, warum kämpfen Sie gerade für eine "grüne" Frauenpolitik?
    Katja Husen: Für mich war klar, dass, wenn ich als junge Frau irgendwo politisch aktiv sein möchte, ich in der CDU erst mal ganz lange Aktenköfferchen irgendwelchen etablierten Leuten hätte hinterher tragen müssen. Das Frauenbild der SPD finde ich auch nicht so faszinierend. Die Grünen waren die einzigen, die über die Quote und klare frauenpolitische Forderungen mir immer schon glaubhaft verkörpern konnten, dass sie das ernst meinen, und das Frauenpolitik nicht immer nur eine Wahlkampfmasche sein muss.

    ka-news: Wegen der Arbeitsstelle ihres Vaters sind sie die ersten Lebensjahre in der Türkei aufgewachsen. Welchen Einfluss hatte ihre Kindheit in Istanbul?
    Husen: Damals war ich noch zu jung, um mir über politische Themen Gedanken zu machen. Mehr als die Türkei hat mich Südamerika geprägt, wo es eine unvorstellbare Armut gerade bei Kindern gibt. Ich komme aus der Menschrechtsbewegung und habe bei "Amnesty International" lange Zeit gearbeitet bevor ich zu den Grünen gekommen bin. Diese Arbeit hat mich und meine politische Karriere doch sehr beeinflusst.

    ka-news: Als Austausch-Schülerin waren Sie für ein halbes Jahr in den USA. Haben sie von dort etwas für ihre spätere politische Karriere mitgenommen?
    Husen: In den USA bin ich das erste Mal mit "Amnesty International" in Berührung gekommen. Meine Gastfamilie in Portland, Oregon, hat mich sehr für die inneramerikanischen Migrationsprobleme sensibilisiert und mich darauf hingewiesen, dass gerade bei schwarzen und hispanischen Frauen ein ganz anderes Eigenbild existiert, das aufgrund traditioneller Strukturen wesentlich sexualisierter angelegt ist als bei weißen Frauen. Bei "Amnesty" habe ich mich dann auch mit dem Thema Frauenhandel auseinandergesetzt.

    ka-news: Wie verbreitet ist der Frauenhandel und wie sieht dessen klassische Form aus?
    Husen: Man geht mittlerweile davon aus, das weltweit mehr Geld mit Menschenhandel, in der Regel mit Frauenhandel, als mit Drogen- oder Waffenhandel umgesetzt wird. Es trifft vor allem Frauen, die zur Prostitution gezwungen werden, dann Kinder und im geringen Maße auch Männer, deren Arbeitskraft oft ausgebeutet wird. Der größte Anteil der Frauen, die nach Deutschland geschleust werden, kommt mittlerweile aus Rumänien und Bulgarien. Die Frauen, vor allem aus dem Osten Europas, werden in ihren Herkunftsländern zumeist von Personen angesprochen, denen sie vertrauen, aber nur die wenigsten wissen, worauf sie sich da einlassen. Seit der EU-Osterweiterung reisen viele Frauen mit Touristen-Visa nach Deutschland ein und müssen nicht mehr wie früher über die "grüne" Grenze geschleust werden. In Deutschland angekommen, wird ihnen dann von ihren Zuhältern alles abgenommen, angeblich weil sie erst mal die Schulden für die Reise abzuarbeiten hätten. Auch ihre Papiere und den Großteil ihres verdienten Geldes müssen die Frauen dann abgeben.

    ka-news

    : Wo liegt das Hauptproblem?

    Husen: Das entscheidende Problem neben der Armut der zwangsprostituierten Frauen ist, dass sie nach dem deutschen Ausländergesetz fast völlig rechtlos sind, weil sie ja keinen legalen Aufenthaltsstatus haben. Das heißt, wenn sie aufgegriffen werden, werden sie fast immer einfach nur in ihr Heimatland zurückgeschickt. Im Falle von Schleuser-Prozessen gibt es zwar Schutzprogramme, die den Frauen bestimmte Rechte einräumen, dafür müssten sie jedoch aussagewillig sein. Wegen der Drohungen ihrer Zuhälter, ihren Familienangehörigen im Heimatland Leid anzutun, sind diese Frauen aber häufig nicht bereit dazu, gegen ihre Peiniger auszusagen. Zumal sie kaum Vertrauen zur Polizei haben, da sie glauben - wie sie es häufig von ihren Heimatländern her kennen -, dass die staatliche Gewalt mit dem organisierten Verbrechen unter einer Decke steckt. Die Frauen lassen sich dann lieber zurückschicken, wo oftmals die Schmach der Heimatdorf-Bewohner auf sie wartet und der Kreislauf von vorne beginnt, wenn vorher nicht noch Schlimmeres passiert. Die Frauen leben in einem Netz von Angst und Gewalt, das durchbrochen werden muss.

    ka-news: Wie ist den zwangsprostituierten Frauen zu helfen?
    Husen: Eine der wichtigsten Forderungen von uns Grünen ist, dass die Frauen einen richtigen Aufenthaltstitel bekommen, der es Ihnen erlaubt, sich hier in Deutschland zu stabilisieren. Die momentane Duldung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, ohne Arbeitsgenehmigung, reicht da bei weitem nicht aus. Es muss ein Zustand erreicht werden, der die Frauen befähigt, etwaige Prozesse gegen Ihre Peiniger auch durchstehen zu können. Ein Zustand, der den Frauen eine Therapie oder vielleicht eine Ausbildung ermöglicht, damit sie nach der Rückkehr in ihre Heimatländer eine Perspektive haben.

    ka-news: Was muss in Zukunft getan werden?
    Husen: Durch das neue Menschenhandelsgesetz aus dem vergangen Jahr ist es zwar einfacher geworden, Frauenhandel zu verfolgen, aber es ist ein so genanntes Kontrolldelikt, wo die Täter nicht so einfach ausfindig gemacht werden können. Strengere Kontrollrazzien in den entsprechenden Milleus wären also ein erster Schritt. Daneben müssen vor allem die finanziellen Mittel für Beratungseinrichtungen und internationale Kooperationen aufgestockt werden. Entwicklungshilfe für entsprechende Aufklärungs-Projekte in den jeweiligen Herkunftsländern der Frauen wäre auch ein geeignetes Mittel, weil die Armut sie gerade dazu zwingt, nach Deutschland zu kommen. Zudem muss sich das Verständnis etablieren, dass unsere Gesellschaft diesen Frauen etwas schuldet, weil es unsere Männer, Väter und Söhne sind, die gezielt nach solchen Frauen verlangen. Sexuelle Abartigkeiten werden von diesen Frauen eher erfüllt als von "normalen" Prostituierten, weil deren Zuhälter in der Regel zumindest um den Erhalt des Gesundheitszustands der Frauen besorgt sind. Die Zwangsprostituierten stehen aber auf der untersten Stufe, weil sie alles mit sich machen lassen müssen. Deshalb gibt es für mich eine Bringschuld gegenüber diesen Frauen, eine Bringschuld unserer Gesellschaft.

    ka-news: Warum bestraft man nicht die Freier? Sie profitieren doch schließlich am meisten?
    Husen: Eine Freierbestrafung ist leider kein Allheilmittel. Das Beispiel Schweden/Finnland zeigt, dass Freierbestrafung zu einer erneuten Illegalisierung und Marginalisierung von Prostitution führen kann, die sogar den Freiern und Zuhältern zugute kommt, weil sie sich dann mit den Frauen in abgelegene Gebiete zurückziehen, wo diese noch schutzloser sind. Nach dem neuen Menschenhandelgesetz aus dem vergangenen Jahr haben Freier mittlerweile eine Anzeigepflicht, wenn sie von einem bevorstehenden oder fortbestehenden schweren Menschenhandel erfahren. Das führte in der Vergangenheit schon des öfteren dazu, dass Freier der Polizei einen Hinweis auf mögliche Zwangsprostitution gaben. Diese nützlichen Tipps würden wegfallen, wenn sich die Freier grundsätzlich selbst strafbar machten. Um in der Frage der Freierbestrafung eine sinnvolle Lösung zu finden, müssen deshalb rechtliche Details und mögliche Folgewirkungen sehr genau abgewogen werden.

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