"Auf das erste Glas kommt es an", sagt Anna. "wer das erste Glas nicht trinkt, der hat gewonnen. Nicht für immer, aber zumindest für den Tag. Man darf sich nicht vornehmen, nie wieder zu trinken. Man muss es nur immer wieder schaffen, heute und in diesem Moment das erste Glas stehen zu lassen."
Auf das erste Glas kommt es an
Zu diesem Prinzip, dass sich die Anonymen Alkoholiker (AA) auf die Fahnen geschrieben haben, gibt es sogar einen Comic Strip in der AA-Pressemappe. Ein Reporter interviewt hier einen Mann, der stolz berichtet, "seit vielen, vielen 24 Stunden" trocken zu sein. Verwirrt kratzt der Reporter sich daraufhin am Kopf. "Er meint nur, seit er zu den AA's gefunden hat, braucht er nicht mehr zu trinken - und das schon seit 15 Jahren", erklärt ihm schließlich eine Frau, die das Gespräch mit angehört hat. Denn auch das ist ein Prinzip der Anonymen Alkoholiker: Wirklich einen Alkoholiker verstehen kann nur ein anderer Alkoholiker.
Etwa 3,3 Millionen davon gibt es in Deutschland - elf Mal so viele Menschen wie Karlsruhe Einwohner hat. 74.000 Menschen sterben laut der jüngsten Schätzung des Dachverbandes für die Suchtkrankenhilfe jedes Jahr an den Folgen des Alkoholmissbrauchs - 74 Mal so viele wie durch den Konsum illegaler Rauschmittel. Dennoch werde das Problem in Deutschland vielfach noch unterschätzt - von der Politik, aber auch von den Betroffenen selbst.
Die Illussion vom kontrollierten Trinken
"Es ist ein Karussell des Leugnens", formuliert es Anna. 13 Jahre habe es bei ihr gedauert, bis sie sich ihre eigene Machtlosigkeit eingestanden habe. "Jeder hat hier eine eigene Schwelle." Bei vielen sei die leider erst überschritten, wenn der Betroffene schon viel verloren hat - seine Familie, seinen Arbeitsplatz, seine Freunde. Hinzu käme, dass viele Betroffene zwar vom Alkohol loskommen wollten, sich aber nicht vorstellen können, ganz ohne Alkohol zu leben. "Man versucht immer wieder, kontrolliert zu trinken, schafft es aber nicht."
Der Weg zu den Anonymen Alkoholikern ist für viele daher auch erst der zweite Schritt - der erste ist die Entgiftung, weil der Körper längst nicht mehr ohne Alkohol kann. "Man muss trinken. Tut man es nicht, kann es sogar zu starken Krämpfen und anderen, körperlichen Entzugserscheinungen kommen", erklärt Rainer. Auch er ist trockener Alkoholiker und Diensttuender bei den Anonymen Alkoholikern in Karlsruhe. "Dienst tun bedeutet, dass man eine bestimmte Aufgabe für die Gruppe übernimmt."
"Wir sind komplett unabhängig"
Wie bei den Anonymen Alkoholikern üblich hat auch die Karlsruher Gruppe keine formelle Struktur, sondern organisiert sich aus sich selbst heraus. Anfallende Kosten, etwa die Raummiete, werden durch Spenden der Mitglieder finanziert, wirtschaftliche Unterstützung von außen grundsätzlich abgelehnt. "Wir sind komplett unabhängig", betont Rainer. Das heiße auch, dass es keine Kontrollinstanz gibt, vor der die Mitglieder sich rechtfertigen müssen. "Niemand muss versprechen, dass er nie wieder trinkt, wenn er an einem Meeting teilnehmen möchte. Die einzige Voraussetzung ist der Wunsch, mit dem Trinken aufzuhören", erklärt Rainer. "Die meisten Alkoholiker haben ein übersteigertes Schuldgefühl und verurteilen sich dafür, dass sie trinken." Der Weg zu den Anonymen Alkoholikern helfe, aus der Isolation auszubrechen, weil man hier unter Menschen ist, denen es genau so geht. "Niemand redet hier über den anderen oder beurteilt ihn. Jeder redet nur über sich selbst."
Das Angebot geht allerdings noch weiter. Neben Meetings im realen Leben gibt es zudem ergänzende Online-Meetings. Die anonymen Alkoholiker in Karlsruhe bieten außerdem eine täglich von 7 bis 23 Uhr besetzte Telefonnummer für Notfälle an. Unter 0721/192 95 gibt es Hilfe, wenn man nicht mehr weiter weiß. "Ich erinnere mich zum Beispiel, wie ich einmal in einer Tankstelle stand und plötzlich das Gefühl hatte, all die kleinen Whiskeyflaschen würden mich richtiggehend anspringen", sagt Anna. Der Anruf bei einer Freundin, ebenfalls eine trockene Alkoholikerin, habe ihr in diesem Augenblick geholfen, stark zu bleiben.
Nur 3 bis 5 Prozent bleiben für immer trocken
Längst nicht alle schaffen das. "Alkoholiker ist man sein Leben lang", sagt Rainer, "eine Heilung gibt es nicht." Entsprechend hoch ist die Rückfallquote: "Ich schätze, dass nur etwa 3 bis 5 Prozent dauerhaft trocken bleiben." Darum gehe es allerdings auch nicht. "Auf das erste Glas kommt es an. Jeden Tag aufs neue geht es darum, das erste Glas stehen zu lassen."
Informationen zu den Anonymen Alkoholikern gibt es im Internet unter www.anonyme-alkoholiker.de, die Termine und Orte der Meetings in Karlsruhe gibt es auf dieser Unterseite der AA-Homepage.