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Karlsruhe: Karlsruher hilft in Nepal: "Alles wackelt, alles bebt"

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Karlsruher hilft in Nepal: "Alles wackelt, alles bebt"

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    Karlsruher hilft in Nepal: "Alles wackelt, alles bebt"
    Karlsruher hilft in Nepal: "Alles wackelt, alles bebt" Foto: Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners

    Herr Ruf, Sie sind zusammen mit einem Team am vergangenen Samstag nach Nepal gereist, um dort nach der großen Erdbeben-Katastrophe vor allem Kindern zu helfen. Wie viele Personen sind mit Ihnen vor Ort?

    Die Kriseninterventionsteams bestehen immer aus 12 bis 15 Personen. Aktuell sind wir 13. Mit dabei sind Erlebnis- und  Theaterpädagogen, Dolmetscher, Musik- und Sprachtherapeuten sowie medizinisch und psychologisch ausgebildeten Helfern. Alle Helfer sind ehrenamtlich da.

    Wo sind Sie gerade?

    Jetzt gerade sind wir in Kathmandu. Dort arbeiten wir in einem Waisenhaus, welches an eine große Lepraklinik angeschlossen ist. Seit drei Tagen arbeiten wir hier mit den Kindern.

    Am Dienstag hat es schwere Nachbeben mit bis zu einer Stärke von 7,2 gegeben - das Epizentrum lag wohl nur einige Kilometer östlich von Kathmandu entfernt. Wie ist die Lage bei Ihnen?

    Es ist soweit alles gut gegangen. Die Mitglieder unseres Teams sind geschockt, aber wohlauf. Sieben Menschen wurden verletzt, meines Wissen sind zum Glück keine schwer Verletzten darunter. Die Menschen hier waren in totaler Verzweiflung und Panik.

    Sie sind aus dem Haus und auf die Straßen und freien Plätze gestürmt. Dort haben wir versucht, eine akute Intervention im pädagogischen Bereich zu leisten, sodass die Menschen aus der Paniksituation herauskommen und sich beruhigen können. Ich glaube, das ist ganz gut geglückt - wir konnten die meisten Kinder im Waisenheim bis zum Abend soweit beruhigen, dass einigermaßen Normalität einkehren konnte.

    Können Sie uns Ihre Eindrücke beschreiben?

    Die Verhältnisse hier vor Ort sind alles andere als schön. Gerade stehe ich vor einer Zeltstadt, die provisorisch errichtet wird. Die Menschen trauen sich aus Angst nicht zurück in ihre Häuser.  Hier sind hunderte von Straßen- und Waisenkinder.

    Die ganze Nacht über gab es weitere Nachbeben - ich glaube das heftigste bei uns war mit der Stärke 6,2. Wir sind beinahe jede Stunde durch die Beben aufgewacht. Sobald der Regen einsetzt, wird das Zeltlager unter Wasser gesetzt sein. Das nächste Problem wird Malaria und andere Infektionskrankheiten in den kommenden Wochen sein.

    Wie haben Sie das Beben erlebt?

    Ein Erdbeben ist etwas sehr unangenehmes. Man kann es sich in etwa so vorstellen: Alles wackelt, alles bebt, man hat den Eindruck, dass der Boden aufgeht - man verliert nicht nur den Halt, sondern auch das Basisvertrauen in das Leben an dieser Stelle. Das ist auch genau das, was die Kinder hier jetzt durchmachen.

    Wie sehen die Tätigkeiten Ihres Teams vor Ort aus?

    Wir arbeiten mit notfallpädagogischen Maßnahmen. Das heißt, wir versuchen, das Trauma - welches im Schockmoment entsteht und mit einer totalen Erstarrung, einem psychotraumatischen Krampf vergleichbar ist - mit künstlerischen Methoden wie Malen, Zeichnen und Spielen zu lösen. Ziel ist, dass die Selbstheilungskräfte des Kindes aktiviert werden und die traumatischen Erlebnisse durch das Erdbeben verarbeitet werden kann. So sollen auch Traumafolgestörungen vermieden werden.  Weiterhin sprechen wir mit Lehrern und Sozialarbeitern und schulen sie in notfallpädagogischen Methoden.

    Bei unserem Aufenthalt vor Ort haben wir aber auch die Bergung von Toten erlebt - die eingestürzten und zerstörten Häuser gesehen.

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    Foto: Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners

    Wie viel Kinder betreuen sie gerade?

    Gestern waren es weit über 100.

    Wie kommunizieren Sie mit den Kindern?

    Das läuft alles über einen Dolmetscher. Mit den Lehrern verständigen wir uns auf Englisch. Allerdings arbeiten wir hauptsächlich mit pädagogischen und künstlerischen Methoden wie Malen, Zeichnen, Singen und Tanzen. Dazu gehören auch viele Bewegungsspiele. Das soll den Kindern alternative Ausdrucksmöglichkeiten bieten, die sie auf sprachlicher Ebene aufgrund ihres Schockzustandes nicht mehr haben.

    Die notfallpädagogische Krisenintervention findet in Kooperation mit "Aktion Deutschland Hilft" und der langjährigen Partnerschule "Shanti" in Kathmandu statt, welche durch das Erdbeben zerstört wurde. Wie ist die Zusammenarbeit mit anderen Hilfsorganisationen vor Ort?

    Erst gestern hatte ich ein Koordinationstreffen in der Deutschen Botschaft mit anderen Hilfsorganisationen. Dort wird die Arbeit gemeinsam koordiniert. Man weiß, wo die anderen deutschen Gruppen sind und arbeitet zusammen.

    Gibt es neben der pädagogischen Hilfe auch materielle Hilfe durch das Kriseninterventionsteam?

    Die materielle Hilfe ist nicht unser Hauptziel. Es gibt Material, das wir immer dabei haben - zum Beispiel Zelte oder Spielsachen sowie allerlei mögliche Utensilien. Das bleibt im Land, wenn wir gehen, das ist klar. Aber hauptsächlich betreuen wir die Kinder und trainieren lokale Fachkräfte wie Lehrer, Sozialarbeiter und Therapeuten im Bereich der Psychotraumatologie und Notfallpädagogik. Wir wollen sie für die spezifischen Fragestellungen und Anforderungen sensibilisieren; wie sie Kindern helfen können. So können diese Fachkräfte unsere Arbeit fortsetzen, wenn wir nach Deutschland zurückkehren.

    Möchte jemand Ihre Arbeit unterstützen, kann er spenden. Wofür wird das Geld verwendet?

    Selbstverständlich werden wir auch versuchen, Aufbauhilfe zu leisten. Aber Sie müssen wissen, professionelle Hilfe kostet Geld. In ein Krisengebiet zu reisen und dort zu helfen, ist nicht ganz billig. Wasser, Lebens- und Transportmittel sind knapp, das Benzin ist teuer. Sie können nicht mit normalen Lebensbedingungen rechnen. Zudem muss das Team eingeflogen werden.

    Sie bleiben mit ihrem Team noch bis zum 23. Mai in Nepal - allerdings nicht die ganze Zeit in Kathmandu. Wo geht es in den kommenden Tagen hin?

    Wir haben ganz viele Optionen. Man kann überall hingehen - Hilfe wird überall gebraucht. Ich müsste nur wenige Meter weiter gehen und ich gelange in ein Slumviertel mit hunderten Kindern. Oder zum völlig zerstörten Unesco-Weltkulturerbe. Ich könnte hier an jeder Ecke mit Kindern arbeiten. Aber wir wollen konkret versuchen, in ein Bergdorf nördlich von Kathmandu zu kommen und dort zu helfen. In diesem leben etwa 2.000 Menschen - davon über 60 Prozent Kinder. Das Dorf ist seit 18 Tagen isoliert, inzwischen soll es wohl wieder zugänglich sein.

    Das Gespräch führte Corina Bohner.

    Das notfallpädagogische Interventionsteam gehört zum Vereine "Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiner". Die Mitglieder arbeiten mit waldorfpädagogischen Methoden und verwandten Therapieformen. Ein rhythmisch gestalteter Tagesablauf, geregelte Essens- und Schlafenszeiten, Ruhe- und Aktionsphasen sollen den Kindern und Jugendlichen einen neuen Orientierungsrahmen, Sicherheit und Halt geben.

    ka-news Hintergrund:

    Der ausgebildete Pädagoge Bernd Ruf ist aktuell in Nepal mit einem Kriseninterventionsteam vor Ort.
    Der ausgebildete Pädagoge Bernd Ruf ist aktuell in Nepal mit einem Kriseninterventionsteam vor Ort. Foto: Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners

    Bernd Ruf wurde 1954 in Karlsruhe geboren. Ausbildung für das Lehramt an Gymnasien in den Fachbereichen Germanistik und Geschichte an der Universität Mannheim und das Lehramt für Sonderschulen an der PH Reutlingen sowie zum Waldorfpädagogen an der Freien Hochschule Stuttgart. Mitbegründer und 20-jährige Unterrichtstätigkeit an der Freien Waldorfschule Karlsruhe.

    Mitbegründer und seit 2003 Schulleiter des freien pädagogischen Parzival-Kompetenzzentrums für Bildung, Förderung und Beratung. 1993 bis 2007 Mitglied des Bundesvorstandes des Bundes der Freien Waldorfschulen in Deutschland. 1993 bis heute Mitglied der Internationalen Konferenz der Waldorfschulen. Seit 1987 geschäftsführender Vorstand der Hilfsorganisation "Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners" mit Schwerpunkt "Freiwilligendienste".

    Seit 2006 Aufbau und Leitung notfallpädagogischer Kriseninterventionen in Kriegs- und Katastrophenregionen: Einsatzleitungen im Libanon, China, Gaza-Streifen, Indonesien, Haiti, Kirgisien, Japan, Kenia, Kurdistan-Irak und Philippinen. Leiter der Ambulanz für Notfallpädagogik am Parzival-Kompetenzzentrum in Karlsruhe. 2007 bis 2012 Beiratsmitglied des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Internationale Vortrags- und Seminartätigkeit.

    Spenden können an folgendes Konto überwiesen werden:
    GLS Bank Bochum
    BLZ 430 609 67
    Konto 800 800 700
    IBAN DE06 4306 0967 0800 8007 00
    BIC GENODEM1GLS
    Stichwort "Notfallpädagogik"

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