Herr Wehn, Sie haben den Film "Ein Hells Angel unter Brüdern" gemacht. Dazu haben Sie die Stuttgarter Hells Angels jahrelang begleitet. Worum geht es Ihnen mit dem Film?
Der Dokumentarfilm "Ein Hells Angel unter Brüdern" dient dazu, die eigenen Vorurteile einmal gründlich zu hinterfragen. Wenn gesamte Gruppierungen weitgehend pauschal in großen Bereichen der Medienberichterstattung der organisierten Kriminalität zugerechnet werden, ist es für mich als Autorenfilmer ein Anliegen, diese Pauschalverurteilung zumindest zu hinterfragen.
Mein Ansatz bei den Dreharbeiten zu dem Film war, mir vor allem ein ganz eigenes Bild von diesen Menschen und ihrer Lebens- und Denkweise zu machen. Natürlich immer im Bewusstsein über das, was man den Hells Angels nachsagt.
Protagonist in Ihrem Film ist Lutz Schelhorn, der Präsident der Stuttgarter Hells Angels...
Als ich zum ersten Mal von ihm gehört habe, wurden meine Vorurteile von Beginn an widerlegt. Er, ein Hells Angel, arbeitet als künstlerischer Fotograf und realisiert Kunstprojekte, in denen unter anderem die Deportationen von Stuttgarter Juden in die Konzentrationslager der Nazis thematisiert werden.
Schon hier sind die Bilder völlig konträr aufeinander geprallt. Vieles, was ich über die Person Lutz Schelhorn im Laufe der langjährigen Dreharbeiten erfahren habe, widersprach in vielerlei Hinsicht dem allgemein bekannten Bild der Angels in Deutschland. Es geht mir in dem Film darum, zu zeigen, dass Pauschalverurteilungen von Menschen überhaupt nicht funktionieren.
Das öffentliche Bild der Rocker ist, wie im Film immer wieder erwähnt wird, von Gewalt, Prostitution und Drogen geprägt. Haben Sie ein anderes Bild vorgefunden?
An dieser Stelle möchte ich betonen, dass ich nicht ein Bild über die Hells Angels vorgefunden habe, sondern eben sehr viele verschiedene Bilder. Das erklärt auch, warum der Film teilweise inhaltlich einer so ambivalenten Dramaturgie folgt: Man kann nicht einfach sagen, die Hells Angels sind so oder so.
Das fängt schon mit der Tatsache an, dass die verschiedenen Charter, das ist die Bezeichnung für die jeweiligen lokalen Clubableger, völlig unterschiedlich sind, was ihre Denkweise und ihre Lebenskultur angeht. Jeder Charter hat eine individuelle Grundmentalität und folgt eigenen Prinzipien, die zwar alle unter dem "Logo" Hells Angels vereint sind, aber dann doch zu sehr unterschiedlichen Ausprägungen geführt haben.
Wo liegen diese Unterschiede zum Beispiel?
Das fängt schon mit den Jobs der Mitglieder an: In manchen Chartern arbeiten fast alle Angels im Rotlichtmilieu, in anderen Chartern, wie beispielsweise in Stuttgart, gar niemand. Manche Charter sind sehr dörflich geprägt, andere wiederum absolut städtisch. Darüber hinaus spielt es eine große Rolle, wer diese Charter führt und prägt.
In unserem Film erzählen wir die Geschichte von Lutz Schelhorn, der schon mit Mitte Zwanzig einer der ersten Angels in Deutschland war und so etwas wie den alten "Ur-Prinzipien" des Rockertums folgt: Familie, Brüderlichkeit und Respekt. Das klingt doch erst einmal ziemlich gut.
Aber während des Films zeigt sich auch, dass andere Mitglieder diese Prinzipien möglicherweise anders interpretieren und dadurch diese unschönen Bilder von den Angels entstanden sind, für die sie zum Teil auch selbst verantwortlich sind. Aber es hilft am Ende nur eins: Man muss sich jede Person in diesem riesigen Motorradclub einzeln anschauen.
Ein eindeutiges und stimmiges Bild von diesem Club kann es meiner Meinung nach nicht geben. Aber ein stimmiges Bild eines Hells Angels (Präsident Lutz Schelhorn, Anm. d. Red) innerhalb dieser großen Bruderschaft konnten wir mit unserem Film in der Tat zeichnen, denke ich.
Wie lange haben Sie die Hells Angels Stuttgart begleitet?
Insgesamt habe ich sechs Jahre an dem Film gearbeitet, wobei sich alleine die Dreharbeiten über einen Zeitraum von fünf Jahre erstreckt haben. Diese lange Zeitspanne hat damit zu tun, dass Lutz Schelhorn und ich viel und ausführlich während der Drehphasen darüber gesprochen haben, wohin der Film führen soll und welche Aspekte mir wichtig waren zu zeigen.
Dann gab es immer wieder lang andauernde Abstimmungsprozesse auch innerhalb der Reihen der Hells Angels über das Projekt, denn die negativen Erfahrungen der Rocker mit den Medien hat natürlich dazu geführt, dass man Leuten mit einer Kamera in der Hand erst einmal nicht traut. Hier mussten mein Produzent Arek Gielnik und ich viel Überzeugungsarbeit leisten, um den Unterschied zwischen journalistischer Berichterstattung und unserem dokumentarischen Arbeiten als Autorenfilmer zu vermitteln.
Viele deutsche Kinos haben den Film abgelehnt. Warum ist das Ihrer Meinung nach so?
Das öffentliche Bild der Hells Angels ist inzwischen so massiv und einseitig festgefahren, dass man diese Leute mit nichts anderem mehr in Verbindung bringt als mit Drogen- und Waffendelikten, grober Gewalt und organisierter Kriminalität.
Ich will überhaupt nicht abstreiten, dass es solche Vorfälle immer wieder in den Reihen der Hells Angels gegeben hat und weiterhin gibt, allerdings ist es meiner Einschätzung nach nur ein bestimmter Teil, der so handelt. Das negative Bild der Angels wird dagegen auf alle Mitglieder übertragen ohne dabei zu differenzieren.
Ebenso haben viele Kinobetreiber auch nicht differenziert auf den Film reagiert, sondern argumentiert: Solchen Menschen darf generell in der Öffentlichkeit keine Plattform gegeben werden - einen solchen Film spielen wir nicht.
Anderen war meine liberale und offene Haltung gegenüber des Themas ein Dorn im Auge. Das bedeutet übrigens keinesfalls unkritisch, was mir oft vorgeworfen wird. Wir als Filmteam, also der Produzent, der Verleiher und ich, finden es dramatisch, dass eine offene und demokratische Diskussion über den Inhalt des Films gar nicht erst zugelassen wird.
Man hat das Gefühl, das schon geschaffene Mehrheitsbild darf auf keinen Fall in Frage gestellt werden und alles, was daran rüttelt, wird einfach ausgeblendet. So kann sich eine Gesellschaft meiner Meinung nach aber nicht entwickeln, wenn es keine Kommunikation zwischen der sogenannten Mehrheitsgesellschaft und ihren Subkulturen gibt.
Fragen: Karsten Schäfer
Zur Person: Marcel Wehn wurde 1977 in Karlsruhe geboren. 1997 machte er sein Abitur am Helmholtz-Gymnasium. Von 2000 bis 2007 studierte Wehn an der Filmakademie Baden-Württemberg, Fachbereich: Regie Dokumentarfilm. Seine preisgekrönte Abschlussarbeit "Von einem der auszog - Wim Wenders frühe Jahre" wurde auf der Berlinale vorgeführt. Insgesamt wurden seine Filme weltweit auf mehr als 80 Filmfestivals gezeigt. Marcel Wehn lebt mit seiner Familie in Berlin.
Der Film wird in Karlsruhe im Universum-Kino am Europaplatz in zwei Sondervorstellungen gezeigt. Die beiden Vorstellungen finden am Montag, 26. Januar, sowie am Mittwoch, 28. Januar, statt.
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