"Vielleicht hätten wir uns öfter melden sollen. Wer schreit, bekommt auch mehr Aufmerksamkeit", sagt Patrick Kwik am Rande der Veranstaltung und lässt seinen Blick kopfschüttelnd über das langgestreckte Baustellengelände in der Ettlinger Straße schweifen.
Direkt vor dem "Köprü Kebab" dröhnt gerade ein haushoher Bohrapparat, während Arbeiter durch betongrauen Matsch waten. Aber so einer sei er einfach nicht, sagt Kwik, Inhaber der "Congress Apotheke". Den Umfang der Baumaßnahmen hätte er sich niemals so groß vorstellen können.
"Und vor allem ohne Ende! Das geht ja immer weiter und verzögert sich noch. Ich hätte nie gedacht, dass es mal so knapp wird", klagt der Kioskbesitzer Hans-Peter Müssle. Vor Beginn der Bauarbeiten habe er 70 Zeitungen verkauft, heute seien es gerade mal noch sieben. Kwik hat nach eigenen Angaben rund 45 Prozent seiner Laufkundschaft verloren. Seine Stammkunden haben es ebenfalls schwer. Vielen Senioren sei der Weg zur Apotheke im wackeligen Bus einfach zu anstrengend.
Ettlinger Straße abgeschnitten?
Auch den Arztpraxen in der nahen Nowakanlage gehe es schlecht: Dort würden dermaßen viele Patienten - meist ohne Absage - nicht zum Termin erscheinen, dass man sich mittlerweile um das Vierfache belege, um unter dem Strich einen normalen Betrieb ohne Leerlauf zu haben. Das Problem sei eigentlich immer das gleiche: In der unübersichtlichen Baustellenlandschaft der Ettlinger Straße finden Kunden schlicht den Weg zum Laden nicht mehr, geschweige denn einen Parkplatz, so die Ärzte.
"Ich biete in meiner Apotheke auch chinesische Medizin an. Früher brachte das Kunden von weit her, etwa aus Mannheim oder Pforzheim. Die kommen jetzt nicht mehr", sagt Kwik. Auch Rechtsanwalt Thomas Schwerdtfeger kann ein Lied von schlechter Erreichbarkeit singen: "Ein Klient sagte mir neulich, wäre ich ihm nicht empfohlen worden, dann hätte er die Suche nach meiner Kanzlei nach 45 Minuten abgebrochen."
Schwerdtfegers Frau beschwert sich über Radfahrer, die auf den Bürgersteig ausweichen und dann direkt vor den Türen der Geschäfte vorbeisausen. "Das ist wahnsinnig gefährlich. Auch der einzige Übergang über die Ettlinger Straße ist total unsicher, weil nicht einsehbar. Und das Ordnungsamt lässt sich trotzdem nicht mehr blicken", so Maria Bott. Für die Einzelhändler ist klar: Die Ettlinger Straße, wenn nicht gar die ganze Südstadt ist im Moment vom Rest Karlsruhes mehr oder weniger abgeschnitten.
Abkehr vom Südabzweig "katastrophal"
Genau das sollte sich mit dem "provisorischen Südabzweig" wieder ändern. Eigentlich wollte die Kasig nach Abschluss der oberirdischen Bauarbeiten noch in diesem Jahr wieder wieder Schienen vom Marktplatz Richtung Hauptbahnhof verlegen. Die Straßenbahn wäre hier so lange gefahren, bis der Tunnel darunter fertig ist. Doch das Zeitfenster für diesen provisorischen Betrieb hat sich wegen Verzögerungen von drei auf zwei Jahre reduziert. Stadt und Kasig rechneten nach und kamen Ende Januar zum Ergebnis, das sich das nicht mehr lohne. Acht Millionen Euro soll der Verzicht auf den Südabzweig einsparen.
"Diese acht Millionen ein Witz im Vegleich zur Milliarde, die die Kombilösung insgesamt kostet", sagt Stadtrat Jürgen Wenzel von den Freien Wählern. Gerade hier in der Ettlinger Straße hätten sich die Menschen lange nicht beschwert. "Man hat sich von der Kasig einlullen lassen. Und der Gemeinderat hat hier versagt", so Wenzel. Auch Jörg Schnaitmann, der Betreiber des Notebookladens, wünscht sich, sie hätten sich die ganze Zeit schon beschwert. Er fühlt durch die Kehrtwende der Stadt hintergangen.
"Ich hatte ein attraktives Umzugsangebot und habe mit der Kasig Rücksprache gehalten. Noch im September 2014 versicherte man mir, dass der provisorische Südabzweig komme", so Schaitmann. Die Kehrtwende der Stadt ist in seinen Augen "katastrophal". Wie alle anderen Einzelhändler der Gegend hatte er große Erwartungen an die zeitweise Rückkehr der Schienen. "Dieser Südabzweig hätte uns zwei Jahre lang Neukunden beschert - jetzt bekommen wir die nie. Und wenn die Bahn unterirdisch fährt, sieht man uns ja auch nicht mehr", fürchtet Schaitmann.
Kein Glaube an Verbesserung
Zehn Gewerbetreibende haben die Einladung zum Pressetermin unterschrieben, doch nicht alle können am Samstag kommen. Der Cafe-Besitzer muss kurzfristig eine Lieferung machen, der Friseur von Gegenüber hat gerade Kundschaft. "Sie sehen, wir sind hier alle Einzelkämpfer, die selbst hinter Tresen stehen. Es geht wirklich um unsere Existenz", sagt Schaitmann. In der Vergangenheit profitierten sie alle von der Straßenbahnhaltestelle "Kongresszentrum" und den Umsteigenden der nahen Baumeisterstraßenlinie. Auch die Veranstaltungen im Kongresszentrum selbst spülten regelmäßig neue Kunden von der gegenüberliegenden Straßenseite hinüber.
Dass sich zumindest dieser Faktor nach Abschluss der oberirdischen Bauarbeiten wieder einstellen könnte, beruhigt die Händler ebenso wenig wie die Aussicht auf ein paar Parkplätze. "Wir hatten immer die Hoffnung: Bis zu den Schienen halten wir durch. Dann erfahren wir aus den Medien, dass der Beschluss gekippt wurde", sagt Kwik verbittert. "So lange die Haltestelle nicht da ist, sind wir tot", meint Müssle.
Er kann die Karlsruher Sparpläne nicht nachvollziehen. "Wenn ich an den teuren Stadtgeburtstag denke, dann muss die Stadt für alles Geld haben, nur nicht für uns", sagt Müssle. Und das Geld könnte noch knapper werden. Ist die Fahrbahn der Ettlinger Straße nächstes Jahr fertig, besteht für die Ladenbesitzer auch kein Anspruch auf Entschädigungen mehr. Geld bekommen sie nur, solange oberirdisch gebaut wird - nicht aber für Verluste durch den unfertigen Tunnel. Der soll frühestens 2018 eröffnet werden.
Zockt die Kasig bei den Entschädigungen ab?
"Ich verstehe Ihren Ärger, aber wir sollten jetzt nicht nach hinten schauen, sondern stattdessen Lösungen suchen, wie wir die Situation für Sie trotzdem noch verbessern können", so Stadtrat Friedemann Kalmbach von der Partei "Gemeinsam für Karlsruhe" (GfK). Dafür werde man entsprechende Maßnahmen zusammenstellen. Auch sein Kollege Michael Zeh von der SPD kann den Unmut der betroffenen Südstadthändler verstehen. Er stellt aber auch klar: "Einen Anspruch auf eine Haltestelle direkt vor der Haustür gibt es nicht." Nach seiner Kenntnis seien die Südstadtbewohner bisher mehrheitlich zufrieden mit dem Busersatzverkehr.
"Auch insgesamt hat sich die Bevölkerung an den aktuellen Verlauf der Straßenbahnen gewöhnt - eine erneute Umstellung würde wieder Zeit zur Eingewöhnung brauchen", so Zeh. Bedenke man dann noch das Verlegen und baldige Wiederabreißen der Schienen, seien zwei Jahre einfach ein sehr kurzer Zeitraum für solch einen Aufwand. Außerdem wehrt er sich gegen den Vorwurf des gebrochenen Versprechens: "Ein Planfeststellungsvefahren legt nur das Endresultat fest, aber nicht die einzelnen Maßnahmen des Bauverlaufs", so der SPD-Stadtrat. Hoffnung darauf, dass der Südabzweig doch noch kommt, wolle er nicht machen.
Zeh verspricht dafür ein besseres Stadtmarketing für die Ettlinger Straße, außerdem wolle man einem weiteren schwerwiegenden Vorwurf nachgehen: Nach Angaben der Einzelhändler werden sie von der Kasig nicht richtig für ihre Verluste entschädigt. Denn die berechne ihre Abfindungen jeweils auf den Gewinnen des Vorjahres. Die sinken natürlich infolge der Baustelle und folglich auch die jeweilige Entschädigung.
"Das ist mir neu und geht selbstverständlich nicht. Die Abfindung sollte immer auf einem Vergleich mit dem letzten Jahr vor der Baustelle basieren", sagt Zeh. Hier werde man mit der Kasig reden. Die scheine sich zudem sehr viel Zeit mit den Zahlungen zu lassen. "Nach drei Jahren habe ich die erste Summe erhalten", ärgert sich Müssle, der sein Kiosk schon seit 16 Jahren betreibt. Der Dialog mit der Kasig sei "gleich Null".