Herr Mertesacker, die EM steht bevor. Juckt es da nicht in den Beinen?
Nein. Überhaupt nicht. Warum sollte es das denn tun? Wenn es mich im Sommer juckt, dann lege ich die Beine hoch. Es juckt mich nur noch richtig heftig, für Arsenal zu spielen. Aber das Kapitel Nationalelf ist abgeschlossen.
Fehlt Ihnen wirklich nichts?
Diese Bühne "Nationalelf" hatte ich zehn Jahre, und dafür bin ich dankbar. Die aktuelle Mannschaft ist wieder toll aufgestellt. Das ist gut so und auch daher fehlt mir nichts. Ich hatte tolle Jahre, in denen ich sehr viele tolle Menschen kennen lernen und sehr viele Erfolge haben durfte. Diese Menschen vermisse ich, aber nicht den Wettbewerb. Man kann sich ja immer wieder treffen, das habe ich schon das eine oder andere Mal gemacht.
Gibt es noch Kontakte zu Spielern, dem Trainerteam?
Sicher, vor allem zum Betreuerteam. Und auch den einen oder anderen Spieler sieht man immer wieder mal, aber zu einem Länderspiel bin ich bisher noch nicht gereist.
Wo werden Sie die EM-Spiele verfolgen?
Das habe ich noch nicht so genau geplant. Wir haben mit der Familie und Freunden einen Urlaub organisiert und - da ich so etwas bisher nicht so häufig hatte - werde ich das jetzt erst mal auskosten. Und dann schauen wir mal, wie die Spiele da reinpassen. Die Partien der Deutschen schaue ich natürlich an. Mal abwarten wie sich das dann anfühlt, ein großes Turnier als Fan zu erleben. Daran muss ich mich erst noch gewöhnen. Aber ich mache mir keinen Kopf, dass das nicht läuft…
... und das heißt genau? Was trauen Sie der deutschen Elf zu?
Viel, sehr viel. In der Qualifikation und den Tests lief es noch nicht so, aber das ist irgendwie normal. Entscheidend wird sein, dass die Mannschaft in ihrer Breite zusammen wächst. So wie das in Brasilien der Fall war. Es sind einige neue Leute dabei, die müssen zusammen eine mannschaftliche Geschlossenheit entwickeln. Fußballerisch mache ich mir keine Sorgen. Ich traue Deutschland zu, so wie es Spanien gelang, eine Ära zu prägen. Das Potenzial für einen EM-Titel ist da.
Gehören die Spanier für Sie zu den großen Favoriten?
Absolut. Neben Frankreich, Italien und England. Wichtig ist: Wie kommen die Teams durch die Vorrunde? Bei der WM waren die Spanier und Italiener danach draußen. Jetzt sind bei der EM 24 Mannschaften dabei, da kommen die Favoriten wohl leichter weiter. Ich glaube nicht, dass da ein großes Fußballland in der Vorrunde ausscheidet. Die Gruppen werden von den Favoriten dominiert.
Die Frage ist: Gewinnt man auch einmal ein Spiel, in dem man nicht so stark auftrumpft? Wer sich am meisten steigern kann wird Titelträger. Noch etwas wird ausschlaggebend sein: Wie haben die Mannschaften die schwere Saison verkraftet? Das trifft besonders auf die Engländer zu…
... falls Deutschland im Turnier auf England trifft, wer gewinnt diese Begegnung?
Schwierig zu sagen, beide Teams haben gutes Potenzial. Da wird man sehen: Stecken die Engländer diese hohen körperlichen Anforderungen - ohne eine Winterpause durchzuspielen - weg? Wie verkraften die Jungs das?
Sie kennen Spieler und Trainer. Erwarten Sie irgendwelche Auswirkungen der furchtbaren Erlebnisse bei den Terroranschlägen?
So komisch es klingt: Nein. Das ist alles abgearbeitet. Wir sind es in unserem Job gewohnt, Negativerlebnisse zu verarbeiten, schnell zu vergessen, schnell zum nächsten Spiel überzugehen. Ich bin zudem sicher, dass sich so etwas nicht wiederholt. Die Sicherheitsvorkehrungen werden enorm sein. Und die Spieler werden dafür sorgen, dass der Wettbewerb im Vordergrund steht, und dass das schlimme Werk von Terroristen nichts bewirkt.
Welcher Spieler könnte der Superstar der EM werden?
Ich hoffe ein Deutscher, denn dann läuft es auch für die Mannschaft gut, das hieße dann, dass wir weit kommen. Wir haben mehrere Spieler dabei, die top sind, sich zudem noch während des Turniers steigern können.
Das wären konkret?
Ich denke an Thomas Müller, aber auch an Mesut Özil, der bei Arsenal überragend spielt. Sie könnten zum Star werden. Ich wünsche mir, dass alle richtig gut spielen, damit wir weit kommen.
Die Fragen stellte Peter Putzing.