Joza, du wirst ab Oktober Musikunterricht auf Jamaika geben. Frisch nach dem Abi - das hört man ja eher selten.
Naja, ich wollte nach dem Abi nicht sofort studieren und am liebsten irgendwo ins Ausland gehen. Dazu hätte ich auch etwas anderes gemacht, aber ich bin total froh, jetzt diese Möglichkeit gefunden zu haben. Eine meiner Freundinnen im Musikleistungskurs hatte den Verein im Internet gefunden und ich fand die Idee selber so cool, dass ich mich dann kurzerhand beworben habe.
...und du wolltest unbedingt nach Jamaika?
Dass es ausgerechnet nach Jamaika geht, ist reiner Zufall. Die Projekte von "Musiker ohne Grenzen" in Ecuador waren schon voll, Jamaika ist ganz neu dabei und da waren eben noch Plätze frei. Ich hatte also echt Glück! Viele Mitglieder von "Musiker ohne Grenzen" sind ja selbst noch Musikstudenten. Einer von ihnen war zufällig gerade in Karlsruhe und hat mich hier zum Gespräch eingeladen. Die Hauptsache ist, ein oder mehrere Instrumente so gut zu beherrschen, dass man darin dann auch ein bisschen unterrichten kann.
Wie sieht das Projekt in Kingston konkret aus?
Vier Musiker sind bereits da, ich fliege am 23. Oktober und dann kommt noch jemand im November. Unsere Partner dort sind ein Musikproduzent und die Bob-Marley-Foundation in Kingston. Ich werde Saxophon- und Klavierunterricht geben und auch Musiktheorie anbieten. Ich nehme mein eigenes Saxophon mit und dann noch ein zweites vom Verein. Musiker ohne Grenzen hat bisher einen eigenen Raum und einen überdachten Außenbereich auf dem Culture Yard der Bob-Marley-Foundation für unseren Unterricht organisiert. Wir wollen aber auch zusammen mit dem Musikproduzenten direkt an Schulen gehen und dort Unterricht anbieten. Die meisten Schüler werden so zwischen vier und 20 Jahre alt sein, aber eigentlich kann jeder mit Interesse zu uns kommen. In Ecuador haben wir sogar einen Ü-60-Chor. Wir sind für alle offen.
Wo wirst du untergebracht sein?
Eigentlich sollen wir alle in Gastfamilien unterkommen und dazu direkt unsere Musikschüler vor Ort ansprechen. Das ist aber gar nicht so einfach, deshalb sind unsere Leute dort jetzt zunächst in der Familie des Musikproduzenten untergebracht worden. Außerdem wird gerade noch ein kleines Haus gebaut, wo wir dann wie in einer WG zusammen wohnen können, bis wir Gastfamilien finden. Das Erdgeschoss ist schon fertig.
Eine Gastfamilie zu finden wird natürlich sehr schwierig, schon aus finanziellen Gründen. Jemanden für ein Projekt einfach so bei sich aufzunehmen ist dort quasi unbekannt - die meisten wollen dafür dann auch Geld. Wir versuchen es so zu lösen, dass wir unserer Gastfamilie als Ausgleich für ihre Mehrkosten unser Kindergeld überweisen, das die meisten von uns ja noch bekommen.
Sechs Monate in einem karibischen Armenviertel zu leben ist wahrscheinlich nicht so ohne - wie wird man darauf vorbereitet?
Musiker ohne Grenzen hat seinen Sitz in Hamburg und da gab es auch ein Vorbereitungstreffen für mich und die etwa 30 anderen Freiwilligen, die ebenfalls in die verschieden Projekte in der Welt aufgebrochen sind. Bei der Vorbereitung ging es nicht um Musikalisches, sondern eher darum, wie man sich vor Ort verhalten sollte, also etwa Strategien zur Konfliktvermeidung. Der jamaikanische Musikproduzent war auch dabei und hat schon viel erzählt.
Drogen sind in Kingston wohl sehr präsent und es gibt natürlich auch Gewalt. Es soll aber weniger kriminell zugehen als in Ecuador - dort gab es in den Anfangsjahren des Projektes auch mal Schießereien Nachts auf offener Straße. In Kingston ist es nicht so extrem, als dass man da nicht raus auf die Straße könnte.
Hast du Angst vor einem Kulturschock?
Von Fragen zur Gewalt oder Kriminalität einmal abgesehen wurden wir auch darauf vorbereitet, dass die Menschen dort einfach ganz andere Einstellungen haben können als wir. Ich bin zum Beispiel Vegetarierin und mir wurde schon gesagt, dass das in den ärmeren Teilen der Welt nicht unbedingt verstanden wird, wie man bestimmtes Essen einfach so ablehnen kann.
Ehrlich gesagt bin ich im Moment so beschäftigt mit Reisevorbereitungen, dass ich noch gar keine Zeit hatte, mir darüber großartig Gedanken zu machen. Es wird natürlich schon sehr anders sein als hier. Einer von uns, der schon seit August in Jamaika ist, musste anfangs im Garten mit einem Fass Wasser duschen. An so etwas muss man sich halt einfach gewöhnen - man hat ja keine andere Wahl. Er hat auch erzählt, dass die Leute dort alle sehr friedlich und super nett sind, das hat mich etwas beruhigt. Am Anfang wird es vielleicht schwer, aber ich denke, ich werde da keine großen Probleme haben. Angst würde ich es nicht nennen, eher: Respekt und Vorfreude.
Machen sich deine Eltern nicht große Sorgen?
Meine Eltern finden es total klasse. Mein Vater ist selbst Musiker und freut sich sehr für mich. Natürlich werden sie immer ein bisschen Angst haben, aber das ist ja normal. Nach den positiven Erfahrungsberichten von den Teilnehmern vor Ort sind meine Eltern jetzt auch beruhigt.
Angesichts solcher Probleme wie Armut, Gewalt und Drogen mag man sich fragen, ob die Leute dort nicht andere Hilfe brauchen als Musikunterricht. Glaubst du, euer Projekt kann überhaupt etwas bewirken?
Ja, das glaube ich schon. Es ist ja eben das Ziel, die Jugendlichen mit der Musik aus der Kriminalität rauszuholen. In Guayaquil in Ecuador haben wir das zum Teil geschafft - jedenfalls ist dort die Kriminalität enorm gesunken. Auch in Kingston gab es bereits positives Feedback: Einer unserer Teilnehmer hatte die Bude dort nach drei Tagen schon voller Kinder. Ein paar Jamaikaner haben ihm sogar Keyboards zur Unterstützung angeboten. Ich wüsste von keinem Projekt, das bisher nicht gut anlief. In Ecuador zum Beispiel entwickelt es sich immer weiter, so dass wir dort mittlerweile Leute ausbilden, später selbst Musikunterricht zu geben.
Wenn man sich so das Klischee von Jamaika vorstellt, dann könnte man auch meinen, dass dort viele sowieso den lieben langen Tag nur Musik machen. Was könnt ihr ausgerechnet hier noch anbieten?
Ja das ist wohl zum Teil wirklich so - ich habe schon gehört, dass sie dort sehr begabt sind und den Rhythmus quasi schon im Blut haben. Erwachsene sitzen mit ihren Soundsystemen auf der Straße und Kinder tanzen. Aber sie tun das im Dreck und ohne Anleitung. Sie sind dann vielleicht echt musikalisch, gleichzeitig mangelt es aber an Wissen und Übung. Wir wollen den Kindern deshalb Musik und Instrumente durch Pädagogik näher bringen. Aber natürlich wird die Praxis im Vordergrund stehen. Wie stark man auf Musiktheorie eingeht, hängt vom Interesse vor Ort ab. Bei einem Projekt in Ghana zum Beispiel sollen die Leute äußerst interessiert gewesen sein - etwa was ein Dreiklang ist und so weiter. In Ecuador hingegen war das Interesse an solchen Dingen eher mau.
Versprichst du dir von dem Projekt auch etwas für dich selbst?
Viele neue Erfahrungen natürlich und eine fremde Kultur zu erleben. Ich war vorher noch nie außerhalb Europas, geschweige denn in diesem Erdteil. Das weiteste war mal ein Urlaub in der Türkei. Und die anderen Programmteilnehmer, die ich in Hamburg kennengelernt habe, sind auch alle super nett. Ich freue mich einfach darauf, mit denen und den Menschen in Kingston zusammen Musik zu machen.
Gegründet wurde Musiker ohne Grenzen 2008 von Musikstudenten. Alles begann mit einer Klarinettistin, die bei einem Aufenthalt in Ecuador den Grundstein für Musiker ohne Grenzen mit ihrem ersten Freiwilligendienst legte. Als sehr junger Verein verfügt er nur über begrenzte Mittel - Spendengelder werden größtenteils für Instrumente für die Musikschüler ausgegeben. Flug und Visum müssen Teilnehmer deshalb selbst zahlen. Andererseits gibt es keine Beiträge oder Gebühren, die für die Organisation des Auslandsaufenthaltes zu zahlen wären.