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Emmendingen/Karlsruhe: Interview: "Unser Lebensstil ist alles andere als nachhaltig"

Emmendingen/Karlsruhe

Interview: "Unser Lebensstil ist alles andere als nachhaltig"

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    Unser Mitarbeiter Stefan Jehle sprach vor wenigen Tagen mit Ernst-Ulrich von Weizsäcker - als über seine Rolle im Landtagswahlkampf noch nichts bekannt war - über seine Nachhaltigkeitsthesen, den Ressourcen sparenden Umgang mit Energie und den nach wie vor horrenden Flächenverbrauch in Deutschland.

    Herr Weizsäcker, Sie sind Experte für Nachhaltigkeit, haben 2008 den Preis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt erhalten. Zu Ihren bekanntesten Büchern gehören "Erdpolitik" und "Faktor Vier". Dabei wollten Sie mit einem halbierten Naturverbrauch doppelten Wohlstand erreichen. Das Buch "Faktor vier" war ein Erfolg, die Umsetzung der Forderungen ließ aber doch offenbar zu wünschen übrig. Warum?
    Technologisch lagen wir richtig. In der Praxis regiert aber nicht die Technik sondern die Ökonomie. Und die Ökonomie hat in genau dieser Zeit das Signal erhalten, Energie und Rohstoffe sind spottbillig. Wozu diese dann effizienter einsetzen? Erst fünf Jahre nach der Publikation des Buches begannen sich Wirtschaft und Technik - aufgrund plötzlich ansteigender Energiepreise - wieder ernsthaft für Energieeffizienz interessierten. Und daher ist inzwischen, was wir in "Faktor 4" beschrieben haben, beispielsweise das Passivhaus, architektonischer Mainstream geworden. Das war vor dem Jahr 2000 völlig undenkbar, weil es eine Investition ohne Rendite darstellte.

    Können Sie kurz in ein oder zwei Sätzen charakterisieren, wann eine Politik - in der Kommune, auf Landesebene - nachhaltig wirkt?
    Das ist ein riesen Frage. Das kann man nicht in ein paar Sätzen beantworten. Nachhaltig heißt ja im Grunde, dass auch unsere Enkel und Enkelsenkel noch gut leben können. Und das unter der theoretischen Annahme, dass sich alle sieben Milliarden Menschen auf der Erde so verhalten wie wir. Wenn man das mathematisch so berechnet, kommt heraus, dass unser deutscher Lebensstil alles andere als nachhaltig ist. Daran kann Kommunal-, Landes- oder Bundespolitik nur ganz wenig ändern.

    Wo kann man da ansetzen?
    Man kann den so genannten "carbon foot print", den CO2-Fußabdruck ausrechnen und sagen: Gegeben die Besorgnisse über Klimaveränderung darf dieser nicht größer sein als sagen wir mal ein Hektar pro Person. Das kann man also auf Hektar umrechnen - wenn wir überlegen, wie viel Wald bräuchten wir, um das CO2 wieder zu absorbieren. Dann rechnet man aus: Bei einem Deutschen ist der CO2-Fußabdruck eher in der Gegend von etwa zwei Hektar. Und das ist zuviel. Also müssten wir reduzieren. Das könnte man langsam einführen. Das wäre eine bundespolitische, eine EU-politische Aufgabe - für die Kommunalpolitik eher zum Schluss - und man müsste versuchen, ein Anreizsystem aufzubauen, nach welchem man nur dann profitabel wirtschaften kann, wenn der nachhaltige Fußabdruck eingehalten wird.



    Ist das nicht ein sehr theoretischer Ansatz?
    Es ist das theoretische Gerüst. Die politische Praxis muss rechtlich transparent, wirtschaftspolitisch akzeptabel und für jeden im Volk nachvollziehbar und verständlich sein.

    Sie waren mehrere Jahre Vorsitzender des Umweltausschusses im Deutschen Bundestag. Immer wieder sind die großen Flächenverbrauchswerte Thema: Hat sich da heute etwas verbessert, sehen Sie Fortschritte?
    Im Umweltausschuss kam das Thema insofern vor, als nach dem Jahr 2000 zum ersten Mal eine Nachhaltigkeitsstrategie mit - nach meiner Erinnerung - 20 verschiedenen Punkten besprochen wurde. Die Initiative kam von der Regierung, die ersten Gespräche liefen in einem interministeriellen Ausschuss, der von Frank-Walter Steinmeier, damals Kanzleramtsminister, koordiniert wurde. Dabei war ein wichtiger Aspekt die angestrebte deutliche Reduktion der Flächenüberbauung von damals 120 Hektar am Tag herunter auf 30 Hektar. Das war einer der relativ wenigen Punkte, wo sich der Umweltausschuss explizit auch mit der Raumordnung befasste. Ich glaube aber zu wissen, dass sich da bis heute nicht viel gebessert hat. Und dass der Flächenverbrauch immer noch rasant ist.

    Hatten Sie damals auch mit der Naturschutzgebung zu tun? In dieser Zeit wurde ja auch das Bundesnaturschutzgesetz novelliert...
    Ja, da waren wir natürlich zuständig. Das schwierigste Thema war - schon seit Jahrzehnten - das Thema Landwirtschaft. Die so genannten Landwirtschaftsklauseln im Naturschutzgesetz war für uns aus dem Umweltausschuss eine Art von Ironie. Da wurde - ohne weitere Qualifizierung - behauptet, dass die ordnungsgemäße Landwirtschaft  keine Störung im Sinne des Naturschutzgesetzes sei - was ja angesichts der Biodiversitätsverluste im agrarischen Raum eine ziemlich Ironie war.

    Wurde das im neu aufgelegten Bundesnaturschutzgesetz verändert?
    Der damalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin hatte allergrößte Mühe, diesen offenkundigen Unsinn zu überwinden, weil die Agrarseite natürlich gegen jede Form von Veränderungen war. Und der Landwirtschaftsausschuss war ja mitzeichnungsberechtigt. Da gab es wenig Bewegung und am Ende hat man einen Formelkompromiss gefunden. Gleichwohl wurde die Novelle des Naturschutzgesetzes als positiv gewertet, nicht nur vom Minister.

    Zurück zu den Energiefragen: Deutschland setzt inzwischen sehr stark auf regenerative Energien. Muss Solartechnik auch weiterhin subventioniert werden?
    Der massive Einstieg in die Nutzung von Wind- und Sonnenenergie ist in Deutschland dank des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) von 1999 erfolgt, dem ich damals als Bundestagsabgeordneter mit Freude zugestimmt habe. Es hat Deutschland und danach mindestens weitere 50 Länder, darunter China, ins Solarzeitalter katapultiert. Aber es war von vorneherein die Idee, dass nach etwa 30 Jahren Subventionierung die erneuerbaren Energien selbsttragend werden sollen. Allerdings müssen gleichzeitig Atomenergie und fossile Energieträger die Kosten übernehmen, die sie der Gesellschaft via Klimaveränderungen oder Strahlengefährdung aufbürden.

    Als eine Art Urvater der Öko-Bewegung, wie Sie gelegentlich genannt wurden, werben Sie seit über 35 Jahren für einen rücksichtsvolleren Umgang mit der Natur. Sie sind demnächst 72 Jahre alt. Haben Sie keine Spur von Resignation?
    Nein, natürlich nicht. Ich sehe wie junge Leute sich engagieren. Ich bin Co-Präsident eines von den Vereinten Nationen eingerichteten internationalen Ressourcen-Panels und merke, dass man dort auch wieder Neuland betritt und gute Arbeit machen kann zum Nutzen künftiger Generationen. Also anpacken lohnt sich auf jeden Fall.

    Interview: Die Fragen stellte Stefan Jehle

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    Ernst Ulrich Michael Freiherr von Weizsäcker wurde 1939 geboren. Er ist ein deutscher Naturwissenschaftler. Der Experte für Nachhaltigkeit und neue Formen der Nutzung von Energie und Ressourcen wurde 2008 mit dem Umweltpreis der Bundesstiftung Umwelt, der seit 1993 jährlich von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) verliehen wird, ausgezeichnet. Mit 500.000 Euro ist es der am höchsten dotierte Umweltpreis in Europa.

    Im April 2011 soll ihm zudem für seine wegweisenden Beiträge zum Klimawandel und Umweltschutz der Theodor-Heuss-Preis verliehen werden. Vorstand und Kuratorium der Theodor Heuss Stiftung würdigen damit von Weizsäckers persönliches Engagement als international ausgewiesener Forscher und Experte auf der Suche nach Lösungen für die globalen Umweltprobleme.

    Der Sohn des Physikers und Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker und Neffe des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker begann seine Laufbahn als Wissenschaftler 1972, als er den Ruf der Universität-Gesamthochschule Essen als ordentlicher Professor für Biologie annahm. Unter anderem von 1991 bis 2000 war er Präsident des Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.

    Von 1998 bis 2005 war von Weizsäcker zudem Mitglied des Deutschen Bundestages, gewählt über die Landesliste der SPD. Noch mit 66 Jahren, im Januar 2006, wechselte er als Dekan der Bren School of Environmental Science and Management, University of California, nach Santa Barbara - und blieb dort im Amt bis Dezember 2008. Ernst-Ulrich von Weizsäcker lebt im südbadischen Emmendingen.

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