Die Wiege der Zivilisation - sie stand nicht, wie lange angenommen wurde, im südlichen Mesopotamien, noch in Palästina. Sondern offenbar in Anatolien, genauer gesagt: in Südostanatolien. Als der deutsche Archäologe Klaus Schmidt im Jahr 1994 das Gelände nordöstlich der Stadt Sanliurfa zum ersten Mal erkundete, war ihm sofort klar, dass er mit Göbekli Tepe die Entdeckung seines Lebens gemacht hatte: Der etwa 300 Meter im Durchmesser messende steinzeitliche Siedlungshügel gilt als Jahrtausendfund, eine Art anatolisches Stonehenge - mit dem bedeutenden Unterschied, dass die monumentale Kultanlage im Südosten der heutigen Türkei zirka 6.000 Jahre älter als die europäischen Megalithbauten in Südengland ist.
Der Steinzeitmensch - alles andere als primitiv
Offensichtlich waren nicht erst sesshafte Bauern, sondern - und das war die eigentliche Sensation - bereits Jäger und Sammler in der Lage, monumentale Kultanlagen zu errichten. "Zuerst kam der Tempel, dann die Stadt", heißt es in einem Bericht von Schmidt zu seinen Grabungen am Göbekli Tepe. Nach und nach förderte Schmidts Team vom Deutschen Archäologischen Institut in Berlin in den vergangenen Jahren eine Anlage mit sorgfältig bearbeiteten Reliefs und riesigen Steinpfeilern zutage. Im September stießen mit Christian Bühler und Theo Kesapidis auch zwei Studenten der Hochschule Karlsruhe - Technik und Wirtschaft zu den Ausgräbern, um an dem Projekt mitzuarbeiten, das unter Fachleuten als eine der interessantesten archäologischen Entdeckungen der letzten Jahre gilt.
Die steinzeitliche Grabungsstätte am Göbekli Tepe in Südostanatolien nahe der Stadt Sanliurfa (Foto: pr) |
"Dies ist keine Siedlung, sondern ein Platz für Tempel, so gewaltig", betont Schmidt, "dass er nur in vielen Kampagnen ausgegraben werden kann." Das enorme Alter der Fundstätte von 8.000 bis 12.000 Jahren hat liebgewordene Dogmen der Archäologie über den Haufen geworden. Die Vorstellung vom "primitiven" Steinzeitmenschen, dessen Welt sich allein auf die lebenserhaltenden Grundbedürfnisse beschränkte, bekam einen steinernen Gegenbeweis. Der zivilisatorische Aufstieg begann eben nicht erst mit Sesshaftigkeit und Ackerbau. Es geht aber nicht nur um das hohe Alter: Es scheint auch ein Ort zu sein, der für die Steinzeitmenschen von besonderer Bedeutung war - ein ritueller Ort, an den die Menschen kamen, um einen komplizierten Totenkult zu begehen. Möglicherweise war die Tempelanlage das Kultzentrum einer ganzen Region.
Die Steinzeit zu Gast in Karlsruhe
Der Tempelplatz selbst weist einige Besonderheiten auf: "Die bisher freigelegten Anlagen sind jeweils kranzförmig angelegt und werden von zwei sehr großen und mehreren kleinen megalithischen Pfeilern begrenzt", berichtet Schmidt, "in ihrer Zahl und mit einer Höhe von bis zu fünf Metern waren solche Pfeiler bisher unbekannt." Eine ganze Reihe von T-Pfeilern mit breitem Kopf und schlankerem Schaft, die eine Menschengestalt nachahmen, hat Schmidts Team bereits ans Licht gebracht. "Sie sind mit Tierreliefs verziert", so der Archäologe, "sie stellen also Tiere als Begleiter von Menschen dar. Jeder Pfeiler ist ein Individuum mit unterschiedlichen Tierkombinationen, wobei am häufigsten Schlangen, Füchse, Wildschweine, Vögel und Stiere abgebildet sind."
Steinzeit meets High-Tech: Mit Scanner und Laptop rücken Studenten und Archäologen den Geheimnissen der riesigen 12.000 Jahre alten Stelen und Pfeiler zu Leibe (Foto: pr) |
Noch hat der Göbekli Tepe viele Geheimnisse nicht preisgegeben. Wer waren die Erbauer? Welchem Zweck diente dieser Ort genau? Zahlreiche Fundstücke geben wertvolle Hinweise auf das Leben der Menschen im steinzeitlichen Anatolien. In diesem Zusammenhang plant das Badische Landesmuseum Karlsruhe (BLM) die große Landesausstellung "Anatolien vor 12.000 Jahren - die ältesten Monumente der Menschheit". Neben Fundstücken vom Göbekli Tepe werden dabei auch Exponate von rund 25 weiteren Fundplätzen aus der Türkei zu sehen sein und "Einblick in die Verhältnisse und Lebensumstände der Steinzeitmenschen ermöglichen", erläutert Dr. Clemens Lichter, Koordinator des BLM an der Ausgrabungsstätte, das Ausstellungskonzept.
Feuer und Flamme trotz Hitze und Strapazen
Und hier kommen die beiden Studenten von der Fakultät für Geoinformationswesen der Karlsruher Hochschule ins Spiel: Im Rahmen ihrer Diplomarbeiten sind Bühler und Kesapidis damit beschäftigt, die Stelen für die Ausstellung dreidimensional zu scannen und die Bilder auszuwerten. Die bereits ausgegrabenen Pfeiler und Stelen stehen in fünf Metern Tiefe, wo die beiden Studierenden einen hochpräzisen 3-D-Scanner zum Einsatz brachten. Mit Hilfe des so genannten Lichtschnittverfahrens lassen sich auch komplizierte Objekte dreidimensional und berührungslos vermessen - eine Grundvoraussetzung für die Arbeiten am Göbekli Tepe, um die Stelen nicht zu beschädigen. Bühler und Kesapidis sind mit über 60 Gigabyte Daten inzwischen an die Hochschule zurückgekehrt.
Theo Kesapidis kontrolliert am Laptop eine Aufnahme des Scanners (Foto: pr) |
Im Labor werden die vielen Teilstücke in den nächsten Wochen zu kompletten Modellen zusammengefügt und optimiert. Erst dann kann das 3-D-Modell an eine Fräsmaschine übergeben werden, um die Kopie der Stele dreidimensional entstehen zu lassen. "Vor knapp einem Jahr", erläutert der Dekan der Fakultät Geoinformationswesen Professor Dr. Tilman Müller, "konnten wir ein neues Labor an der Hochschule einrichten, um diese moderne Technologie unseren Studierenden näher zu bringen." Die beiden Studenten mussten nicht lange überlegen, als sie von dem Projekt hörten: "Wir waren auch schon an einem anderen Auslandsprojekt beteiligt und trotz Hitze ist es schon ein besonderes Erlebnis, an einem solchen Ort mitzuarbeiten", so Bühler und Kesapidis.
Ihre Aufgabe am Göbekli Tepe - und damit ihr Ausflug in die Steinzeit ist nun beendet. Die Archäologen hingegen werden in den nächsten Jahren wiederkommen und versuchen, die Geheimnisse dieser uralten Tempelanlage zu lüften. "Die Abschlussarbeiten der beiden Studierenden verdeutlichen uns einmal mehr", bilanziert Rektor Professor Dr. Karl-Heinz Meisel, "ein ‚Markenzeichen’ unserer Lehre: die ausgeprägte Praxisorientierung unserer Hochschulausbildung. Für die Studierenden ist diese Erfahrung umso einprägsamer, wenn sie an einem derart bedeutenden Projekt beteiligt werden." Das sichtbare Resultat des Abstechers in die Steinzeit ist von Ende Januar bis Juni 2006 im BLM zu bestaunen, wenn es heißt: "Anatolien vor 12.000 Jahren - Die ältesten Monumente der Menschheit."