Von allem ein bisschen, das ist er; einer der besten, wenn nicht gar ungekrönter Ländles-Regent seines Metiers. Daheim ist er König - König der Babbler, sozusagen. Und leben tut er doch eher wie ein Bettelmann: Sprichwörtlich von der Hand in den Mund nämlich, seit einem Viertel Jahrhundert. "Es ist ein Wunder", resümiert Harald Hurst heute, kurz nach seinem 60. Geburtstag, verschmitzt. "Du hast geschafft, was du nie wolltest: Als freier Schriftsteller zu überleben."
Schulkarriere? "Katastrophe!", winkt er ab. Hierarchische Machtgefüge haben ihm noch nie gepasst. So mancher Lehrer verzweifelte einst am Buben aus dem "Dörfle".
Dort ist er aufgewachsen, zwischen den Kriegstrümmern, bis ihn die Sehnsucht nach der Ferne gepackt hat: "Junge, komm bald wieder", sang Freddie Quinn, dachte ganz sicher auch die Frau Mama und schon hatte ihr 15-jähriger Sprössling angeheuert, Südamerika und Westindien als Matrose umschippert - um dann von der vermeintlichen Romantik der Seefahrt desillusioniert doch noch Poller gegen Penne einzutauschen.
Als so genannter Schulfremder zimmert er sich 1968 das Autodidakten-Abitur am hiesigen Helmholtz-Gymnasium. Sein Türöffner für ein ausgedehntes Studium in Sachen Romanistik und Anglistik. Sie ist ja nicht ganz unschön, die Quadratestadt; Heidelberg aber eben doch noch ein bisschen schöner.
Und so dauert’s ganze elf Jahre bis zum frisch gebackenen Lehrer für Englisch und Französisch - um nach dem zweiten Staatsexamen doch nicht in den Schuldienst übernommen zu werden. "Ich hab’s mir aber ohnehin nicht wirklich als Beruf vorstellen können", und das wird Harald Hurst die Entscheidung umzusatteln leicht gemacht haben. "Trennung zur beiderseitigen Erleichterung", nennt er das heute. Und wenn’s noch einen dritten guten Grund für den Neuanfang gebraucht hätte, dann ist das Ende einer langjährigen Beziehung sicherlich kein schlechter.
So fängt er an zu schreiben; die Satire hat’s ihm angetan, ob nun im Glossengewand, etwa für die "Karlsruher Rundschau", oder in Form von Gedichten. Erste Lesungen sind des Autoren Mühen Lohn. Und schon hat er unversehens doch einen Lehrauftrag: Seinen Landsleuten die badische Denk- und Fühlweise näher zu bringen. Bis dato hat er es auf ein gutes Dutzend "Lehrbücher" gebracht, das Gros davon im Dialekt. "Komm, geh fort" heißt sein aktuelles und in diesem Titel spiegelt sich das feine Sprachgespür des Harald Hurst wider, das ihm einige Mundartpreise, den Titel "Badener des Jahres 1994", Stipendien der Kunststiftung Baden-Württemberg und des Ministeriums für Kunst und Wissenschaft oder 2003 den renommierten "Thaddäus-Troll-Preis" beschert hat.
Noch ein Mundart-Buch verspricht er, "dann werde ich mich erst einmal wieder dem Schriftdeutsch zuwenden." Ins Betuliche, Biedermeierliche, Selbstbeschränkte fürchtet er sonst abzugleiten, wie so viele seiner im Dialekt schreibenden Kollegen. Den freien Gedanken einfangen wird Harald Hurst einmal mehr mit seiner betagten Triumph-Adler. Schreibmaschine statt PC - da kennt er nichts, sehr zum Leidwesen seines Verlages. Doch alles gute Zureden hat nicht gefruchtet und so wird ihm wie allen Diven und anderen Ausnahmeerscheinungen zähneknirschend eine weitere Sonderbehandlung zuteil werden.
Aber er dankt es ihnen, Verleger wie Kundschaft, "weil ihm der einzelne Mensch mehr am Herzen liegt als die ganze Menschheit. Weil er nicht nach den Sternen, sondern lieber zum Weinglas greift", wie einst ein Rezensent den Wahl-Ettlinger so treffend charakterisiert hat. Hier wie da steckt Wahrheit drin. Und einen guten Tropfen, den weiß er zu schätzen. Einen Roten wohlgemerkt. Und die Hurst’sche Weinuhr schlägt bei seinen Lesungen meist recht präzise. "Babble un nippe", so hält er es: Halbzeit beim Trollinger-Fläschle heißt Pause fürs Publikum. Und das kommt wieder, wenn Andernorts - ob solo oder an der musikliterarischen Seite von Gunzi Heil und Kuno Bärenbold - die nächste Flasche entkorkt wird.
Bei ihm fühlt es sich eben verstanden. Denn es sind ihre Geschichten, die er erzählt, "G’schichte von de Leut halt". Hinter seiner Komik steckt aber weit mehr: Entlarvung, Selbstironie, Schwermut. Wer über Hursts Jedermenschen lacht, amüsiert sich über Nebenfrau samt Nebenmann. Und mit einem Mal macht sich die Erkenntnis breit, dass man es vielleicht selbst sein könnte, der in ihrer Mitte Platz genommen hat. So schee hat mer's halt wahrscheins doch bloß no dohoim. Denn in der Heimat genießt selbst ein König Narrenfreiheit.
Beschreiben Sie sich mit drei Worten:
Freiheitsliebender, geselliger Einzelgänger.
Was ist Ihre größte Stärke?
Offenheit und Toleranz.
Was ist Ihre größte Schwäche?
Die Neigung, mich zu verzetteln. Die Abneigung mich festzulegen.
Was war als Kind oder Jugendlicher Ihr Traumberuf? Haben Sie damals jemals daran gedacht, das zu werden, was Sie heute sind?
Seemann. Das bin ich aus romantischen Motiven gewesen. Mein heutiger Beruf ist mir zu planlos, aber wohl nicht zufällig passiert.
Was würden Sie im Leben gerne noch erreichen?
Ein hohes Alter bei geistiger Klarheit und relativer Genussfähigkeit.
Was nervt Ihre Partnerin am meisten an Ihnen?
Dass ich mit sanfter Halsstarrigkeit zu bleiben versuche, wer ich bin - die Fehler inbegriffen.
Auf welchen Gegenstand möchten Sie im Leben nicht verzichten?
Ein so unentbehrlicher Gegenstand fällt mir nicht ein.
Wen würden Sie gerne auf den Mond schießen?
Diktatoren und Staatsmänner mit üblem Charakter und zuviel Machtbefugnis. Der Grund liegt auf der Hand.
Welcher Mensch beeindruckt Sie?
Albert Einstein. Er hatte die Begabung, Unwichtiges zu vergessen.
Welche Musik (Interpret und Titel) und welcher Film haben Sie am meisten beeindruckt?
Victor Jaras "Canto A Lo Humano". Der Film "Herbstzeitlose", im spanischen Original "Flor De Otono".
Welches Buch haben Sie als letztes gelesen?
Die Erzählungen von Cesare Pavese.
Sie werden als Tier geboren. Als welches?
Als unkastrierter Kater mit Gartenzugang in geregelten ländlichen Verhältnissen.
Sie tauschen einen Tag mit einer Person des anderen Geschlechts - wer wäre das?
Eine Nacht wäre mir lieber zum Tauschen. Und zwar mit einem Callgirl mit festem Kundenstamm aus besseren Kreisen in New York. Danach wäre mir wahrscheinlich nichts mehr fremd...
Was finden Sie an Karlsruhe reizvoll?
Das frage ich mich auch. Vielleicht dieses badische Flair der Beliebigkeit, das Laisser-Faire. Die Abwesenheit weltanschaulicher und religiöser Prägungen. Auch die Nähe zu Frankreich. Die weittragenden Stadtbahnen und die schönen Umgehungsstraßen.
Was würden Sie an Karlsruhe ändern, wenn Sie Oberbürgermeister wären?
Ich würde das Amt wieder zur Verfügung stellen, bevor ich durch ratlose Untätigkeit auffiele.
Welches sind die markantesten Karlsruher / deutschen Köpfe?
Mir Mohammadi und Kuno Bärenbold in Karlsruhe. In Deutschland etwa Joschka Fischers äußerer Kopf im Gesicht. Beim schmerzvollen Abwägen.
Sie leben in einem anderen Land. Welcher Grund könnte Sie dazu bewegen beziehungsweise davon abhalten, nach Deutschland einzuwandern?
Demokratie, Rechtssicherheit, Pluralismus, Wohlstand, ein noch immer funktionierendes Sozialsystem. Alles Gründe zur Einwanderung. Dagegen spräche die verbissene materielle Orientierung. Das ewige Gejammer auf hohem Niveau. Der deutsche Wesenszug des Pessimismus.
Es geht um das Glück der Republik. Welche Person, Gruppierung oder Idee sollte mehr Einfluss gewinnen?
Um Gottes Willen, keine Idee! Das ist in Deutschland meist schief gegangen. Lieber ein paar gute pragmatische Ideen. Einfälle. Und Einflusskontrolle.
Wie und wo möchten Sie sterben?
Ich möchte überhaupt nicht. Aber es muss halt sein. Dann am liebsten durch Herzstillstand in einer erfreulichen Situation.
Kommen Sie in den Himmel oder in die Hölle?
Ich glaube nicht an diese posthumen Abteilungen.