Ist der Mensch nicht gut genug so wie er ist? Warum strebt er nach künstlicher Leistungsverbesserung?
Wenn die Frage ethisch gemeint ist, dann muss die Antwort - natürlich wie die Frage eigentlich zu pauschal - lauten: Nein! Der Mensch ist moralisch nicht gut genug. Ansonsten kann sich die Frage nur auf besondere Fähigkeiten beziehen, die zum Teil "natürlich" (durch Übung oder Training) "verbessert" werden können oder sollten. Viele wollen künstliche Mittel dafür nutzen; wo man frei darüber und über sich sellber entscheiden darf - also keine Gesetze oder moralischen Regeln der Nichtschädigung Anderer - dem entgegenstehen, ist das in einer sich als frei verstehenden Gesellschaft in Ordnung.
Zur zweiten Teilfrage: Jeder möchte vor sich und Anderen bestehen oder etwas gelten - jedenfalls in der abendländischen Kulturtradition. Das geschieht am deutlichsten durch eine Art Leistung oder "Präsentation", etwa Vorzeigen von etwas Besonderem oder "Angaben". Künstliche Leistungssteigerung erleichtert letzteres mit weniger oder keinem Training und Anstrengungsaufwand. Da in unserer Gesellschaft äußerer Erfolg oder gar Scheinerfolg oft schon als (eigene) Leistung gilt oder "verkauft" oder erfolgreich "präsentiert" werden kann, entsteht eine entsprechende Versuchung, künstliche Mittel zum (Schein-)Erfolg zu nutzen. Wir leben leider eher in einer publizitätssüchtigen Erfolgs- statt in einer echten Leistungsgesellschaft, also in einer Gesellschaft, die in vielen Bereichen schon den Schein der leistung als Leistung wertet - oder gar schon telegenes oder mediales Gehabe - siehe Promikult.
Doping wird immer mit Sport in Verbindung gebracht. Wo und wie findet Doping außerhalb des Sports statt?
Im Sport wurde die Dopingfrage brisant. Ansonsten leben wir in einer stark "gedopten Gesellschaft" der Drogen, Antistressmittel, Muskel-, Intelligenz- und Glückspillen - in einer wahren "Pillengesellschaft". Selbst Gesunde nehmen vielfach Mittelchen im "Leistungsstress" - z.B. ca. ein Fünftel der US-Studenten.
Warum beschäftigen Sie sich als Professor für Philosophie mit Doping?
Doping im Sport ist Betrug - also ethisch relevant - und untergräbt den Sinn des Sports und der sportlichen Leistung, die idealer Weise unter dem Gebot der Chancengleichheit steht. Im weiteren Sinne berühren sich Dopingfragen mit den allgemeinen Themen der spezifischen so genannten "Menschenverbesserung" bei Gesunden. Ich habe mich übrigens nur sehr am Rande der sozialphilosophischen und anthropologischen sowie der ethischen Perspektiven mit den Dopingfragen befasst.
Welche Bedeutung wird Leistungsoptimierung in der Zukunft haben? Wird es beispielsweise üblich sein, sich künstliche Gelenke einpflanzen zu lassen oder Ritalin als Nahungsergänzungsmittel einzunehmen, um körperlich und geistig leistungsfähiger zu sein?
Der Trend ist besorgniserregend: Die notorische Dopingproblematik im Sport zeigt dies heute sogar in einem Bereich, der relativ strikte Verbots- und Vergleichsregeln aufweist. In den meisten anderen Lebensbereichen gibt es solche strikten Regeln nicht. Und wer wollte schon ein geniales Kunstwerk danach beurteilen, ob der Künstler Kokain genommen hat? Und wie steht es mit der Konkurrenz im Beruf oder am Arbeitsmarkt? "Doping"-Substanzen mit und in Nahrungsergänzungsmitteln sind weithin Realität - das wird noch zunehmen. Künstliche Gelenke bei Dauerschmerz und -krankheit auch - als "Enhancement" (Verbesserung) bei Gesunden werden sie seltene Ausnahmen bleiben. Brisant sind und werden diese Probleme allemal - insbesondere solche der Neuromanipulation (Manipulation des Gehirns).
Die Fragen stellte Sandra Schneider
Die Tagung "Immer besser, immer schöner? Der Mensch als Objekt der technologischen Optimierung in der Leistungsgesellschaft" findet am heutigen Donnerstag, 14. Oktober, von 10 bis 19.30 Uhr im ZKM statt.