Am 14. August 1914 schreibt Erwin Kiefer, Bruder des Bildhauers Oskar Kiefer, an seine Familie in Ettlingen: "Der Weltkrieg, den man nicht begreifen kann, ist da." In weniger als vierzehn Tagen ist der Ende Juli als osteuropäisch angefangener Konflikt zwischen Österreich-Ungarn und Serbien in einem massiven Kampf explodiert, der letztendlich alle Kontinente der Welt mit einbezieht und rund 40 Millionen Menschenleben fordert.
Anfang des 20. Jahrhunderts ist das imperialistische Europa reif für den Krieg. Frankreich und England einerseits haben in den Jahrzehnten zuvor globale Reiche aufgebaut, die sie schützen wollen. Russland und das Deutsche Reich andererseits wollen noch in die Welt expandieren. Dies führt zu grundlegenden Konflikten zwischen den Ländern.
Es beginnt eine Kettenreaktion
Infolge des Attentats auf Österreich-Ungarns Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand durch einen bosnischen Serben erklärt Österreich-Ungarn am 28. Juli 1914 Serbien den Krieg. Jetzt beginnt eine Kettenreaktion: Das Deutsche Reich als Verbündeter unterstützt Österreich-Ungarn mit einem "Blankoscheck".

Russland – das enge bilaterale Beziehungen mit Serbien hat – will nicht, dass Österreich-Ungarn noch mehr Macht in den Balkan-Staaten ausübt und vor allem nicht, dass das Deutsche Reich eventuell Russlands Grenzen angreifen könnte. Russland fängt nun an zu mobilisieren.
Man spricht hier von einer "Teilmobilisierung" und einer "Probemobilmachung". "Russland hat eine sehr langsame Mobilmachung, weil eben die russische Armee länger braucht, um fertig zu werden", schreibt die Badische Presse am 30. Juli. Und einen Tag später: "Russland erklärt, dass es militärische Vorkehrungen treffe, um beim Ausbruch eines Krieges nicht ungerüstet zu sein." Bis zum 30. Juli hat Russland sechzehn Armeekorps mobilisiert – in Odessa, Moskau, Kasan und Kiew.
Die Karlsruher "verlieren den Kopf"
Das Säbelrasseln rund um das Deutsche Reich bleibt in Karlsruhe nicht ohne Folgen: Die Menschen beginnen, sich hastig für einen bevorstehenden Krieg zu rüsten: "Ein Teil der Einwohnerschaft von Karlsruhe scheint in diesen kritischen Tagen völlig den Kopf verloren zu haben", schreibt das Durlacher Wochenblatt am 31. Juli.
In der Stadt wird die Sparkasse gestürmt – hauptsächlich von "kleinen" Leuten, die ihr Guthaben verlangen. Die Stadt gibt eine Notiz heraus, dass jede Beunruhigung unnötig und es unsinnig sei, die Ersparnisse von der Bank abzuheben.
Aufgrund der Meldungen von Russlands Teilmobilisierung sammeln sich bis Mitternacht vor dem Verlagsgebäude der Badischen Presse in Karlsruhe Tausende von Menschen und warten auf weitere Nachrichten.
Karlsruhe zeigt sich patriotisch
"Die Menge zeigte sich sehr patriotisch gestimmt", schreibt die Zeitung und "neben brausenden Hurrarufen auf den Kaiser, den Großherzog und das verbündete Österreich drangen immer wieder die allgemein gesungenen Lieder ‘Deutschland über alles‘ und ‘Die Wacht am Rhein‘ zu unseren Fenstern empor".

Das Karlsruher Tagblatt schreibt am 31. Juli: "Eine deutsche Mobilmachung würde noch nicht den Krieg bedeuten, doch würde die Kriegsgefahr in große Nähe gerückt. Zunächst wäre eine deutsche Mobilmachung nur ein Gegenzug gegen den russischen Schachzug." Deutschland hat wiederholt versucht, "Russland die schweren Folgen seiner die ganze Welt in Brand steckenden großen Mobilisierungen vorzuhalten", schreibt die Badische Presse am selben Tag.
Die Hamsterkäufe beginnen
In Karlsruhe verhält sich die Bevölkerung dennoch weiterhin, als wäre der Krieg bereits da: In den Lebensmittelgeschäften ist großer Betrieb. Mehl, Zucker, Gries und Hartwurst werden in Unmengen verkauft – sind sogar vielfach ausverkauft. Eine Frau kauft beispielsweise 100 Liter Salatöl.
In vielen Läden gibt es gar kein Mehl mehr, in anderen ist es um 10 bis 15 Mark pro Zentner gestiegen. Oberbürgermeister Karl Siegrist schiebt einen Teil der Schuld an der Aufregung auf die Sensationsmeldungen der Presse. Viele Geschäfte in Karlsruhe weigern sich, Papiergeld zu nehmen. Das ist "außerordentlich töricht", schreibt die Badische Presse dazu am 31. Juli.
"An mein treues, badisches Volk!"
Das Deutsche Reich fühlt sich letztendlich jedoch von den Verbündeten Russland und Frankreich umzingelt und sieht vor allem die Mobilisierung Russlands als kriegerische Handlung an. Sein Ultimatum vom 31. Juli an Russland, die Mobilisierung anzuhalten wird ignoriert und es gibt sogar Berichte, dass russische Einheiten deutsches Gebiet ohne Kriegserklärung bereits angreifen. In der Folge erklärt das Deutsche Reich am 1. August 1914 den Krieg gegen Russland.
"Ich vertraue, dass die gesamte Bevölkerung alle Militär- und Zivilbehörden freudig und rückhaltlos unterstützen und uns damit die Erfüllung unserer hohen vaterländischen Pflichten erleichtern wird“, schreibt Freiherr von Hoiningen, kommandierender General des XIV. Armeekorps an die Karlsruher Bevölkerung beim Ausbruch des Krieges.

Und am 2. August schreibt Großherzog Friedrich von Baden: "An mein teures badisches Volk! Unser Kaiser ruft zu den Waffen. In den schweren Kampf, den Deutschland zu führen sich anschickt, handelt es sich um die Ehre und die Existenz unseres Vaterlandes, um unsere höchsten und heiligsten Güter."
Zahlreiche Bürger ziehen freiwillig in den Krieg
Für deutsche Männer besteht Wehrpflicht und 1914 gibt es etwa 800.000 aktive Soldaten im deutschen Heer. Aber im August 1914 melden sich reichsweit zahlreiche Freiwillige, die hauptsächlich aus den bürgerlichen Schichten kommen. Ihr Ziel: die Heimat zu verteidigen.
Seit dem Ende des Deutsch-Französischen Kriegs 1871 besetzt das Deutsche Reich die französischen Regionen Elsaß und Lothringen, die auch an Baden grenzen. Doch die Franzosen haben immer daran geglaubt, dass sie ihre Länder zurückgewinnen – und jetzt bietet sich die Gelegenheit.

Ihr Erzfeind Deutschland hat gerade den Krieg gegen Frankreichs Verbündeten erklärt und nun brechen französischen Truppen über die Deutsche Grenze bei Altmünsterol (heute Montre-Vieux) in Lothringen und greifen das Deutsche Reich ohne Kriegserklärung an. Französische Bomber fliegen über Bayern. Als Vergeltung erklärt Deutschland am 3. August den Krieg gegen Frankreich.
Karlsruhe verteidigt die Grenze zu Frankreich
"Es sollen gestern bereits drei Divisionen Franzosen bei Altmünsterol über die Grenze gebrochen sein", schreibt Bildhauer Oskar Kiefer in Ettlingen in seinem Tagebuch. "Es klingt unglaubhaft, weil ohne Kriegserklärung. Das Volk wird zur Verfolgung russischer und französischer Spione aufgefordert. Alle männlichen und weiblichen alten Weiber sind am Hotel Erbprinzen versammelt um Spione abzufangen, die per Rad oder Auto passieren. Sämtliche Straßenkreuzungen, Stadteingänge sind militärisch besetzt."

Jetzt wird in Karlsruhe der Landsturm aufgerufen, um die Grenze zu verteidigen. Im Krieg gegen Frankreich setzt das Deutsche Reich den sogenannten "Schlieffen-Plan" ein und marschiert durch das neutrale Belgien auf Paris.
Daraufhin beruft sich England – die dritte Partei in dem sogenannten "Triple Entente"-Bündnis zwischen Russland, Frankreich und England – auf den Londoner Vertrag von 1839 und erklärt am 4. August dem Deutschen Reich den Krieg als Vergeltung für die Verletzung des neutralen belgischen Territoriums.
Die Lebensmittelpreise schießen in die Höhe
In Karlsruhe schießen inzwischen die Lebensmittelpreise in die Höhe. Die Kleinhändler tun, als wären sie restlos ausverkauft und würden von Lieferanten nichts mehr erhalten. "Käme das Schlimmste, so wären sicher für fünf bis sechs Monate Lebensmittel genug da", schreibt das Durlacher Wochenblatt, "und dann wäre ein Krieg sicher zu Ende."
Eine Annahme, die - wie wir heute wissen - weit gefehlt war: Der Weltkrieg dauert über vier Jahre, von August 1914 bis November 1918. Aus Karlsruhe-Stadt verlieren 5.324 Soldaten ihr Leben, bei vierzehn Luftangriffen sterben 168 Zivilisten.
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