Die Vorwürfe gegen Rüssel und Lenz - die aber indirekt auch die übrigen Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats der Baugenossenschaft betreffen - sind in einem vom neuen Vorstandsvorsitzenden Michael Veiga ausgearbeiteten Dossier dargelegt, das 82 Seiten und einen umfangreichen Anhang enthält und ka-news anonym zugesandt wurde. Darin heißt es unter anderem: "Sowie die Beschuldigten für sich in Anspruch nehmen, bei ihrer Tätigkeit im Sinne des Gemeinwohls, der Genossenschaft oder aus sozialen Gründen gehandelt zu haben, muss festgestellt werden, dass dies nur vordergründige Argumente waren."
Vorwürfe "mit aller Entschiedenheit" zurückgewiesen
"Offensichtlich hat man sich aber jede auch noch so geringe Tätigkeit unter dem Deckmantel des 'Ehrenamts' und 'sozialen Engagements' entlohnen lassen oder Leistungen als selbstverständlich entgegengenommen, sich selbst oder seinen Freunden genehmigt", heißt es in dem Bericht. In diesem Zusammenhang nannte Veiga im Gespräch mit ka-news zahlreiche Beispiele: Das gegenseitige Zuschanzen von Provisionen, das Abrechnen von "Geschenken" über die Baugenossenschaft oder die Weigerung der Geschäftsführung, für die Mitarbeiter eine Weihnachtsfeier auszurichten und - unter Hinweis auf die allgemeine Geschäftslage - keine Dividenden an die Mitglieder der Genossenschaft auszuzahlen, während sich Vorstand und Aufsichtsrat ihre Feiern vierstellige Beträge kosten ließen. Gestärkt fühlt sich Veiga zudem durch ein Gutachten des renommierten Berliner Genossenschaftsrechtlers Professor Dr. Kessler; danach erfüllen die in dem Bericht dargelegten Geschäftspraktiken "den Tatbestand des Betrugs".
Rüssel hat bislang alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe "mit aller Entschiedenheit" zurückgewiesen. Gleichzeitig verurteilte er das Vorgehen Veigas, der ihm keine hinreichende Gelegenheit zur Klärung der Vorgänge gegeben habe, und beklagte den "Hinrichtungsjournalismus" und die "Rufmordkampagne" der Medien gegen ihn. Auch die Anwälte des Mitbeschuldigten Lenz weisen darauf hin, dass Veiga ihrem Mandanten nicht, wie anfangs zugesichert, die Möglichkeit eingeräumt habe, sich zu den Anschuldigungen gegen seine Person zu äußern. Und das gesteht Veiga auch freimütig ein: Angesichts des Lagebilds, das sich ihm nach Prüfung der Unterlagen bot, habe er als einzig gangbaren Weg die Einschaltung der Staatsanwaltschaft gesehen. Er verweist darauf, dass Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder zwar nicht müde würden, den Stil zu kritisieren, mit dem er in dieser Angelegenheit agiert; zu den Inhalten selbst aber sei ihm noch nichts stichhaltiges entgegnet worden. Und mit der Kritik an seinem Stil könne er leben.
Rücktritte im Vorfeld der Versammlung
Dass im übrigen beileibe nicht alle das Vorgehen des "rücksichtslosen Machtmenschen" Veiga verurteilen, zeigt sich sowohl in dem Rückhalt, den er innerhalb der Vertreterschaft genießt (ka-news berichtete), als auch im Verhältnis zu den Mitarbeitern der Baugenossenschaft. "Als ich hier eintrat, führte die Familienheim eG mit 16 von 22 Mitarbeitern Prozesse vor dem Arbeitsgericht", erzählt er. "Diese Rechtsstreitigkeiten habe ich erst mal beigelegt." Das Betriebsklima habe sich seitdem spürbar gebessert.
Doch nicht allen schmeckt das neue Betriebsklima: Bereits gestern waren zwei Mitglieder des Vorstandes, Emil Gaiser und Reinhold Kästel, von ihren Ämtern zurückgetreten (ka-news berichtete). Ihre offizielle Begründung lautete, aufgrund des Arbeitsstils des neuen Vorstandsvorsitzenden Veiga seien "die Voraussetzungen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht mehr gewährleistet". Es wird allerdings vermutet, dass sie mit ihrem Schritt lediglich einer Abwahl auf der heute stattfindenden Vertreterversammlung zuvorkommen wollten.