Ab dem 1. Mai öffnet sich der deutsche Arbeitsmarkt auch für Bürger aus den acht osteuropäischen Ländern, die 2004 der EU beigetreten sind. Um nach Deutschland zu kommen, brauchen Polen, Tschechen und Ungarn keine Arbeitserlaubnis mehr. Die Bundesregierung und die Arbeitgeber erhoffen sich, dass Deutschland von der Zuwanderung profitiert und der Fachkräftemangel behoben werden kann. Gewerkschaften sind skeptischer.
"Wachstumshemmnis Nummer eins"
Die Industrie- und Handelskammer Karlsruhe (IHK) sieht im Fachkräftemangel das "Wachstumshemmnis Nummer eins" für die Technologieregion Karlsruhe. Das teilte die IHK auf ka-news-Anfrage mit. Der "Kampf um Fachkräfte" gelte als die "größte Herausforderung für die regionale Wirtschaft". Derzeit fehlten in Karlsruhe etwa 3.000 Ingenieure, schätzt die IHK. Zudem gäbe sechs Mal mehr freie Lehrstellen als Bewerber. Die IHK erhofft sich durch Zuwanderung und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf Abhilfe. "Wer gute Fachkräfte bekommen will, muss diese umwerben und sie wirklich willkommen heißen", so die IHK gegenüber ka-news.
Michael Knopp, Teamleiter Hochschulgruppe der Agentur für Arbeit in Karlsruhe, spricht nicht von einem generellen Fachkräftemangel in Karlsruhe. Allerdings seien bestimmte Branchen stärker von Personalmangel betroffen, so Knopp im ka-news-Gespräch. In Karlsruhe würden sich auf eine freie Stelle in der Metall- und Elektrobranche durchschnittlich nur 0,5 bis 2 Ingenieure bewerben. Bei Fachkräften im gleichen Bereich seien es gerade einmal 0,5 bis 1,5 Bewerber pro Stelle.
Interesse bei Schülern wecken
Aufgrund des Fachkräftemangels in diesen Bereichen müssten die Unternehmen sich verstärkt um die Bewerber bemühen, prognostiziert Knopp. "Unternehmen müssen sich für die Bewerber attraktiv machen und sich den Bewerbern präsentieren". Die Firmen, die den Bewerbern die besten Arbeitsbedingungen böten, hätte die besten Chancen. Doch nicht nur die Bezahlung werde zukünftig die Entscheidung von Bewerbern für ein Unternehmen beeinflussen, sondern auch Arbeitszeiten und familienfreundliche Arbeitsbedingungen wie beispielsweise das Angebot eines Betriebskindergartens. Beim Kampf um die Köpfe seien größere Konzerne häufig im Vorteil, meint Knopp.
"Während der kleine Betrieb um die Ecke händeringend Auszubildende sucht, bewerben sich die meisten Absolventen bei den großen Unternehmen." Viele wüssten gar nicht, welche Ausbildungsberufe es gebe und das man bei mittelständischen Betrieben auch eine gute Ausbildung bekomme. Daher informiere die Arbeitsagentur bereits in den Schulen über mögliche Ausbildungsberufe, um das Interesse der Schüler zu wecken. Von den Unternehmen wünscht sich der Arbeitsmarktexperte, dass diese sich gegenüber gering qualifizierten Bewerbern öffnen, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Stefan Rebmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) in der Region Nordbaden, plädiert ebenfalls dafür, gering qualifizierten Bewerbern eine Chance zu geben. "Die Unternehmen müssen von ihrem hohen Ross runter steigen und dürfen die Anforderungen an die Bewerber nicht zu hoch schrauben", fordert Rebmann im ka-news-Gespräch. Es müssten auch vermeintlich schwächere Schüler eine Chance bekommen. Es könne nicht sein, dass sich die Unternehmen die Besten raus suchen und um die, die übrig bleiben, müsse sich die Gesellschaft kümmern. Die Arbeiter aus dem Ausland zu holen, sei zwar der Versuch der Arbeitgeber, das Problem Fachkräftemangel möglichst schnell zu lösen. Solange es aber Arbeitslose in Deutschland gebe, sei dies nicht der richtige Weg, so der Gewerkschaftsvorsitzende.
Wirtschaft muss mehr gering qualifizierte Bewerber ausbilden
Auch wenn nach Meinung Rebmanns der derzeitige Fachkräftebedarf konjunkturell bedingt sei, warnt er vor den Auswirkungen des demografischen Wandels. Daher müsse Wirtschaft weitsichtig denken und mehr Bereitschaft zeigen gering qualifizierte Bewerber auszubilden und mit Förderprogrammen unterstützen. "Wenn die Firmen jetzt nicht ausbilden, ist es zu spät", so Rebmann. Die Demografie werde die Unternehmen einholen und spätestens 2025 würden viele Unternehmen richtige Probleme bekommen, da sie keinen geeigneten Nachwuchs finden. Jetzt sei noch ausreichend Zeit umzusteuern.
Laut einer Studie der Arbeitsagentur werde das sogenannte Erwerbspersonenpotential in Deutschland ohne Zuwanderung bei konstanter Erwerbsquote von knapp 45 Millionen Personen bis zum Jahr 2050 auf knapp 27 Millionen Personen sinken. Alleine 2025 wird es wegen des demografischen Wandels in Deutschland 6,5 Millionen weniger Arbeitskräfte geben.
Mit Werbung für bestimmte Berufe in Schulen, familienfreundlichen Arbeitsbedingungen und gezielter Qualifizierung für Berufseinsteiger und ältere Mitarbeiter soll dem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden, sind sich Gewerkschaft und Arbeitsagentur einig. "Die Unternehmen müssen jetzt verstärkt in Ausbildung investieren", so Rebmann.
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