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Karlsruhe: "Ein Tic anders": Hilfe für 3.000 Tourette-Kranke in Karlsruhe

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"Ein Tic anders": Hilfe für 3.000 Tourette-Kranke in Karlsruhe

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    (Symbolbild)
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    Ein Schütteln, Augenverdrehen oder ein Grunzlaut - bereits bevor der Tic einsetzt, merkt Nils, dass ein Schub kommen wird. Wenn der Tic dann kommt, ist Nils gar nicht mehr da. Sein ganzer Körper wird beansprucht. Der 14-Jährige leidet unter dem Tourette-Syndrom - eine Krankheit, die sein Leben seit der Diagnose im Alter von sechs Jahren bestimmt.

    "Ich merkte gleich, dass etwas nicht stimmt"

    Mit seinem Leiden ist Nils aus Landau nicht allein, wie Fabian Meisel, Oberarzt in der neurologischen Klinik im Städtischen Klinikum Karlsruhe im Gespräch mit ka-news erzählt. "Genaue Zahlen zur Erkrankung gibt es nicht, nur Schätzungen", meint er. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie in Deutschland geht von 300.000 bis 600.000 Patienten aus. Meisel schätzt, dass in der Region um Karlsruhe rund 3.000 Menschen betroffen sind - Jungen dabei etwa drei bis viermal häufiger als Mädchen.

    Tourette gehört zu den sogenannten Tic-Störungen. "Die Ursache ist nicht geklärt", meint Meisel, "man nimmt eine Störung der Stoffwechselvorgänge, insbesondere der Neurotransmitter Dopamin, an." Meist wird diese wie bei Nils im Kindesalter bemerkt. "Bereits im Kindergarten sind seine unkontrollierten Bewegungen aufgefallen", schildert sein Stiefvater Torsten Wollersen, "und auch als ich ihn im Alter von neun Jahren kennenlernte, merkte ich, dass etwas nicht stimmt."

    Wie die meisten Tourette-Patienten zeigt Nils sowohl motorische als auch vokale Tics. Erstere äußern sich laut Meisel durch unwillkürliche, aprupt einsetzende Bewegungen, die nicht zweckgebunden sind. "Am häufigsten finden sie sich im Gesicht oder am Kopf", beschreibt der Oberarzt, "das äußert sich dann durch Augenblinzeln oder Kopfrucken." Bei vokalen Tics wiederum würden Patienten Laute oder Geräusche von sich geben wie Räuspern, Schniefen oder laute Schreie. Ebenfalls möglich seien bei Tourette das Ausstoßen von Schimpfworten (Koprolalie) oder Nachsprechen von Wörten oder Floskeln (Echolalie).

    Fächerstadt fehlt eine Selbsthilfegruppe

    Im Alltag kann Nils seine Tics meist unterdrücken, obwohl dies mit zunehmendem Druck immer schwerer wird, erzählt sein Stiefvater Torsten Wollersen. Gleichzeitig sei das Tourette-Syndrom noch immer stigmatisiert. "Beim Einkaufen oder im Schwimmbad bemerkt man immer wieder Blicke", beschreibt Wollersen. Und auch in der Schule hätten manche Kinder Nils nachgeäfft, gehänselt und sich von ihm distanziert. Kommentare kämen allerdings hauptsächlich von Erwachsenen. "Ich habe schon einige Male gehört, mein Stiefsohn sei bekloppt oder gehöre in die 'Klapse'."

    Wollersen erklärt sich solche Reaktionen durch Unkenntnis. Umso unverständlicher war für ihn, dass es in der Region keine Selbsthilfegruppe für Betroffene und Angehörige gab. Um dies zu ändern, hat Wollersen Ende Oktober in Zusammenarbeit mit dem "InteressenVerband Ti&Tourette-Syndrom", der Koordinationsstelle für Selbsthilfegruppen sowie der Tourette Gesellschaft Deutschland eine Selbsthilfegruppe in Landau mit dem Namen "Ein Tic anders" ins Leben zu rufen.

    "Bereits zum ersten Gruppentreffen Anfang Dezember haben sich bislang 12 Leute angemeldet - gerechnet hatte ich mit vielleicht zwei oder drei", freut sich der Nils' Stiefvater. Wie sich die Krankheit seines Stiefsohns in der Zukunft weiterentwickelt, bleibt abzuwarten. "Die Symptome können nach der Pubertät schlimmer werden oder verschwinden", meint Wollersen, "seine Tics gehören zu ihm - und dennoch würde ich ihm wünschen, dass sie verschwinden. Nicht, weil sie mich stören, sondern weil ich sehe, dass er leidet."

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