Im Zweiten Weltkrieg hat die Luftwaffe das Deutsche Reich in sogenannte Luftgauen geteilt. Karlsruhe wurde dem Luftgau VII zugeordnet, dessen Kommando im Frühjahr 1940 mit dem Bau von drei Scheinanlagen anfing. Das Projekt lief als sogenannte "Geheime Kommandosache" ab und die entstandenen Anlagen bekamen südamerikanische Länderbezeichnungen als Decknamen.
In der Nähe eines Baggersees zwischen Grötzingen und Weingarten, ein paar Kilometer südwestlich von Bruchsal, sollte die Anlage "Columbia" den Karlsruher Rheinhafen simulieren. "Durch das Wasser hat sich dieses Gebiet gut geeignet", erklärt Untertage-Sprecher Norbert Prothmann im Gespräch mit ka-news. Die Forschungsgruppe Untertage mit Sitz in Stuttgart erforscht und dokumentiert Luftschutzanlagen, Bunker und andere Untertageanlagen in der Region.
Bereits seit mehreren Jahren recherchiert der Hobbyhistoriker über das Thema Scheinanlagen in Karlsruhe. Am 26. Juli 1940 fielen die ersten Leuchtbomben auf Columbia und bis Mai 1942 wurde sie mehrmals bombardiert. Von dieser Anlage existiert heute allerdings keine Karte mehr.

Südlich von Karlsruhe bei Ettlingen im Hardtwald wurde "Panama" errichtet und täuschte eine Industrieanlage vor. Somit schien man von der Luft aus in Stadtnähe zu sein. Auf diese Anlage fielen zwischen August 1941 und Mai 1942 sechs Mal Bomben. "In nur weniger Entfernung bei Weingarten lag eine schwere Flakstellung, deren Flugabwehrkanonen die defensive Wirkung der Scheinanlage unterstützt haben", so Prothmann.
"Venezuela" war die größte Anlage und repräsentierte die Innenstadt von Karlsruhe. Aus der im Generallandesarchiv Karlsruhe archivierten Karte geht hervor, wie hier Bäume so geschlagen wurden, dass der Grundriss der Fächerstadt aus der Luft gut erkennbar war.

Dann wurden Lämpchen installiert. "Diese Anlage war somit nur eine Nachtscheinanlage", sagt Prothmann. "Man hat auch mit verschiedenen Geräten gearbeitet, die auf intelligente Weise täuschten." So wurden beispielsweise Halterungen mit Lampen so konstruiert, dass es von der Luft aussah, als ob Licht aus einem Fenster oder von einer Straßenlampe fiel, die man beim Angriffalarm vergessen hatte auszuschalten.

Von Elektrikern aufgebaut wurde das Ganze an zentralen Stellen, in der Anlage selbst von Soldaten in kleinen, extra zu diesem Zweck gebauten Bunkern gesteuert. Da diese der Bombardierung ausgesetzt waren, mussten sie auch geschützt werden.
"Die elektrische Anlage verfügte auch über eine Dimmerfunktion, die bei anfliegenden Bombern eingesetzt wurde", erklärt Norbert Prothmann gegenüber ka-news weiter. Flugmeldestellen beobachteten die Flugrichtung der Alliierten und sendeten an die Fächerstadt Luftalarm, wenn klar wurde, dass die Kampfflieger Karlsruhe als Ziel hatten. In der Scheinanlage wurden dann die Dimmer eingestellt. Es musste exakt so hell sein, dass die Piloten meinten, unter ihnen läge die Stadt, aber dunkel genug, dass sie nichts einordnen konnten. "Das mussten die Soldaten üben", sagt Hobbyhistoriker Norbert Prothmann.

Teilweise wurden auch Nebelmaschinen eingesetzt, um die alliierten Bomber weiter zu verwirren - wiederum haben diese mit Leuchtbomben versucht, Orientierungshilfen am Boden zu erkennen. Gleichzeitig schossen die Deutschen mit Flak-Kanonen, sodass die Kampfflieger einer Stresssituation ausgesetzt wurden und schnell entscheiden mussten, ob sie wirklich eine Stadt unter sich hatten.
Außer Lichtgeräten gab es am Boden vorbereitete Brennstellen, die kleine Brandteile enthielten. Beim Angriff wurden sie angezündet, sodass man von der Luft den Eindruck hatte, ein Ziel getroffen zu haben.
Radargeräte machten Scheinanlage unbrauchbar
"Venezuela hat mehrfach funktioniert", betont Prothmann. "Es wäre nicht richtig zu behaupten, dass die Scheinanlage nichts genutzt hat. Zwischen Juli 1940 und Mai 1942 fielen bei zehn Luftangriffen die Bomben auf die Scheinanlage, somit wurde ein Teil der Bomben abgefangen!"
Die Engländer betrieben auch solche Anlagen, so Prothmann, und wussten daher, dass es in Deutschland zahlreiche gab. Das hat den Piloten aber im Ernstfall nicht geholfen. Ab dem Sommer 1942 funktionierte aufgrund stark verbesserter Radargeräte die Vortäuschung nicht mehr. Daher wurde Karlsruhe Anfang September 1942 schwer bombardiert. Im Laufe des Jahres 1943 wurden deswegen die Scheinanlagen abgebaut.
Anlagen haben keine Spuren hinterlassen
Das Land ging an den Forst und Bauern zurück und wurde wieder bewirtschaftet. Deswegen sind die drei Anlagen heute nicht mehr sichtbar. "In England wurden Listen von allen entdeckten deutschen Scheinanlagen geführt", sagt Norbert Prothmann. "Die drei Karlsruher Anlagen wurden aber nie entdeckt und tauchen in keiner Liste auf."

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