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Karlsruhe: Der Großherzog flieht, Soldaten kehren heim, Lebensmittel werden rationiert: So erlebte Karlsruhe die schwere Zeit nach dem Ende des Ersten Weltkriegs

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Der Großherzog flieht, Soldaten kehren heim, Lebensmittel werden rationiert: So erlebte Karlsruhe die schwere Zeit nach dem Ende des Ersten Weltkriegs

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    Mit Gefallenendenkmälern, wie hier in Baden-Baden, wird noch heute vielerorts den Opfern des Ersten Weltkriegs gedacht.
    Mit Gefallenendenkmälern, wie hier in Baden-Baden, wird noch heute vielerorts den Opfern des Ersten Weltkriegs gedacht. Foto: Katherine Quinlan-Flatter

    Sechs Tage nach dem Waffenstillstand an der Westfront wird die Leiche einer etwa 40-jährigen unbekannten Frau aus dem See im Karlsruher Schlossgarten geborgen. Wahrscheinlich lag sie etwa 14 Tage im Wasser. Die Tote trägt einen Ehering mit der Gravierung "K.J. 1901". 

    Ob die Frau sich umgebracht hat, weil ihr Ehemann im Feld gefallen oder vermisst ist, oder ob ihr Tod durch einen Unfall verursacht wurde, spielt keine Rolle mehr - nach dem grausamen Massensterben der letzten vier Jahre fällt der Verlust dieses einen Lebens kaum noch auf. Der Vorfall verdient nur ein paar Zeilen im Karlsruher Tagblatt, ganz am Ende der Rubrik mit den lokalen Nachrichten.

    In Karlsruhe entsteht eine provisorische Regierung

    Deutschland ist im Umsturz. Ausgelöst durch den Kieler Matrosenaufstand im Norden entwickelt sich die Revolution und die Regierung fürchtet Bürgerkrieg. Vom Osten droht der Schatten des Bolschewismus. In Berlin erklären sich die von der SPD geführten Mehrheitsparteien bereit, die Verantwortung für die neue Regierung zu übernehmen und in Karlsruhe wird die provisorische Regierung vom SPD-Politiker Anton Geiss geleitet. Dieser fordert die Soldaten auf, Ruhe und Ordnung zu halten: "Sicherheit von Leben und Eigentum sind allein unsere Rettung. Unser freies, schönes Land wird zerstört, wenn Unordnung und Zuchtlosigkeit einreißt", heißt es im Karlsruher Tagblatt.

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    Foto: Stadtarchiv Karlsruhe/o0247

    Zudem sind durch die Umwälzungen Waffen und Munition in die Hände der Zivilbevölkerung gelangt. Diese sind innerhalb drei Tagen beim Bürgermeisteramt abzugeben, heißt es weiter in der Zeitung.

    Nach dem Krieg herrschte Hungersnot, Freiburg hilft Karlsruhe

    In Karlsruhe sind es die nächsten Aufgaben der Regierung, die Verpflegung der Bevölkerung und die Fürsorge für den geordneten Durchgang und Ernährung der zurückflutenden Truppen sicherzustellen. Denn die englische Seeblockade hat in Deutschland zur Hungersnot geführt, und viele Leute kommen mit den geringen Portionen, die sie mit ihren Lebensmittelmarken erhalten, nicht zu recht.

    Mit solchen Lebensmittelmarken wurden die Menscher oftmals mit dem Nötigsten versorgt.
    Mit solchen Lebensmittelmarken wurden die Menscher oftmals mit dem Nötigsten versorgt. Foto: Katherine Quinlan-Flatter

    Kurz nach dem Waffenstillstand schreibt der Badische Bauverein (BBV) in Freiburg an Geiss in Karlsruhe, dass der BBV "mit 88.000 Mitgliedern bereit ist, in Verbindung mit den Behörden an der Rettung Badens und der Bewahrung des badischen Volkes vor der Hungersnot mitzuarbeiten". Der Verein ruft auch die Landbevölkerung auf, alles aufzubieten, um das Land vor Anarchie und Untergang zu bewahren.

    "Friede, Freiheit, Arbeit, Brot", schreibt das Karlsruher Tagblatt am 15. November. "Unter dieser Parole hat sich die weltgeschichtliche Umwälzung vollzogen. Doch die wichtigste Frage wird sein, haben wir für diese Millionen [zurückströmenden Soldaten] in dieser kritischen Übergangszeit genug Brot?"

    Die Leibgrenadiere an der Somme 1916
    Die Leibgrenadiere an der Somme 1916 Foto: Privatsammlung Katherine Quinlan-Flatter

    Die Badische Landwirtschaftskammer will an dem Wiederaufbau der Wirtschaft arbeiten und "stellt rückhaltlos die ganze Kraft ihrer Organisation und Arbeit der provisorischen Regierung zur Verfügung, um die jetzt besonders schwierige Ernährung der Bevölkerung und der Truppen im Gange zu halten". Sie beabsichtigt, die Produktion zu steigern und im Versorgungsnotfall der Regierung Fleisch zur Ernährung der Gesamtbevölkerung zur Verfügung zu stellen.

    Wohnungsnot wird zum Problem und der Großherzog muss fliehen

    Deutschland muss zudem noch zirka 200.000 Flüchtlingsfamilien aufnehmen. Dazu stieg die Anzahl der Eheschließungen 1918 so erheblich, dass nun auch Wohnungsnot herrscht. In Karlsruhe werden Wohnungen mit mehr als drei Zimmern durch spezielle Ausschüsse besichtigt, um festzustellen, ob Dachgeschosse in Kleinwohnungen umgewandelt werden, und "überschüssige" Zimmer an Einzelpersonen vermietet werden können.

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    Foto: Stadtarchiv Karlsruhe/o=285

    Für den Großherzog wird die Lage immer gefährlicher. In der Nacht vom 11. auf den 12. November marschiert der am Matrosenaufstand beteiligte Karlsruher Heinrich Klumpp mit einem Trupp Soldaten zum Karlsruher Schloss. Dort feuern sie 54 Geschosse ab, die einiges an Schaden am Schloss verursachen. In der selben Nacht entkommt die großherzogliche Familie nach Schloss Zwingenberg am Neckar und am 22. November verzichtet Großherzog Friedrich II. auf den badischen Thron. Gemäß den als Voraussetzung für günstige Waffenstillstandsbedingungen Forderungen der amerikanischen Regierung, dankt Kaiser Wilhelm II. auch am 28. November ab und geht ins Exil nach Holland.

    Gemischte Reaktionen auf die heimgekehrten Soldaten

    Im Gegensatz zu Frankreich ist die badische Heimat unzerstört geblieben - die deutschen Truppen haben den Feind vier Jahre lang ferngehalten. Die Resonanz auf die zurückkehrenden Soldaten ist unterschiedlich. In der Regel werden sie - vor Allem in den Grenzgebieten - von der Bevölkerung mit Blumen und Jubel empfangen. In Großstädten jedoch werden den heimgekehrten Offizieren die Abzeichen auf den Schultern in der Öffentlichkeit von jungen Männern abgerissen.

    Karlsruhes Feld-Artillerie-Regiment Großherzog (1. Badisches) Nr. 14 trifft am 24. November vom Feld ein, gefolgt vom Hausregiment der Fächerstadt, den 109-er Leib-Grenadieren, am 27. November. Sie marschieren über die Ettlinger Straße zum Marktplatz, wo sie sich aufstellen und vom Oberbürgermeister Karl Siegrist "in herzlicher Ansprache" begrüßt werden.

    Einzug in Karlsruhe des Leib-Grenadier-Regiments 109 am 27. November 1918
    Einzug in Karlsruhe des Leib-Grenadier-Regiments 109 am 27. November 1918 Foto: Geschichte des 1. Badischen Leib-Grenadier-Regiments Nr. 109

    "Anders, als es jeder von ihnen in vier langen, unendlich schweren Kriegsjahren ersehnte und erträumte", heißt es in der Regimentsgeschichte der FAR 14, "aber stolz und in dem Bewusstsein, stets und überall seine Pflicht gegen das Vaterland erfüllt zu haben, kehrte das Regiment Großherzog in die leider so veränderte Heimat zurück".

    "Unsern heimkehrenden Kriegern" aus dem Karlsruhe Tagblatt vom 19.11.1918:

    "Nicht das Auge nieder,

    Die ich kehret wieder

    Tapf’re aus dem Feld,

    Braucht euch nicht zu grämen,

    Braucht euch nicht zu schämen,

    Euch kennt ja die Welt."

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