"Zurück zum Glück" und das sprichwörtlich. Es muss ein verdammt gutes Gefühl sein, im Wissen zu touren, das beste Album seit 15 Jahren eingespielt zu haben. Vom musikalischen Kurswechsel der Herren Frege, Meurer, von Holst, Breitkopf und Ritchie ist indessen während ihres Karlsruhe-Gigs leider nicht sonderlich viel zu hören. Durchweg kompromisslos schnell und brachial zeigen sich einzig Anheizer Anti-Flag, bevor die Düsseldorfer um kurz nach zehn ihr "Auswärtsspiel" mit dem gleichnamigen Liedgut anpfeiffen. Und es brauchte nur den aufreizenden Satz: "Jämmerlich! Das geht ja selbst in Kaiserslautern viel, viel besser!" und die Meute kocht endgültig.
Bühnenbild und Lightshow hat man schon weit besser gesehen
Energiebündel Campino hat auch mit knapp 43 Jahren noch Kondition für Höchstleistung... (Foto: ka-news) |
Hier ein flotter Spruch, da ein Anekdötchen; ob er sich als Sprecher der "Band für Aussetzige" nun an die "verlorenen Seelen des KSC" wendet, um mit den tiefschürfenden Worten "Menschen machen Fehler" selbst King Kahn die Absolution vorab für eine Rückkehr zu den Blauen zu erteilen, über die hiesige Prominenz in Person von Nino de Angelo lästert, den "Erben Chubby Checkers" über die in Karlsruhe liegenden Wurzeln des Twist referiert, oder ob er einfach nur davon berichtet was passiert, wenn sich ein gewisser Herr Frege zu viele Slibovic-Grappa-Mischgetränke genehmigt: Campino ist seit jeher ein Frontmann mit Entertainer-Qualitäten, versteht es wie nur ganz wenige, mit seinem Publikum zu kommunizieren.
"Bayern", "Hang On Sloopy" und "Walkampf" heißen nebenbei die zugehörigen Songs und letzterer hat seine Feuertaufe nun auch in Karlsruhe bestanden. Es ist selbst bei einem Kracher-Album wie "Zurück zum Glück" nicht eben ein Leichtes, jungfräuliche Songs live zu etablieren. Denn das braucht vor allem eines: Zeit. Doch der "Walkampf" ist längst gewonnen, soll heißen: Eine richtig gute Abgeh-Nummer, nun also auch erwiesenermaßen.
Bühnenbild und Lightshow hat man indes bei Hosen-Gigs auch schon weit besser, weil gewitzter und verspielter gesehen und ohnehin könnte vieles gegen die Alt-Punks ins Feld geführt werden, aber Power und eine sprühende Freude an ihrer sprichwörtlichen Berufung, die haben sie nach wie vor - und zwar reichlich davon! Auch wenn einstöckige "Boxentürme" eigentlich unter seinem Niveau sind, wagt Energiebündel Campino wenige Tage vor seinem 43. Geburtstag trotzdem einige Male den obligatorischen Stagedive in die pogende Menge und selbst Andi lässt sich zu vorangeschrittener Stunde samt viersaitig bespanntem Bass rücklings über die Köpfe des Publikums tragen.
Liebe Freunde und Feinde: Fresst oder sterbt!
Andi zupfte entgegen der alten Hosen-Tradition seinen Bass lehrbuchgerecht mit vier Saiten (Foto: ka-news) |
In Zeiten, da manch Künstler für immer mehr Eintrittsgeld immer weniger Kunst zum Besten gibt, befanden sich die Hosen mit etwas über zwei Stunden Spielzeit absolut im grünen Bereich. Einzig die Setlist dürfte vornehmlich Fans der ersten Stunde einige Bauchschmerzen bereiten. Der aktuelle Longplayer muss entsprechend gewürdigt werden, keine Frage. Dazu noch den ein oder anderen immer und immer wieder feilgebotenen Klassiker aus der Kategorie "Geht halt nich' ohne" - soweit sind sich alle Freunde und Feinde einig.
Doch haben die Toten Hosen abgesehen davon noch reichlich mehr an wirklich guten Nummern im Repertoire als ein schnödes "MTV- und Viva-Best Of" der vergangenen neun Jahre. Zu hören sind sie gestern Abend leider viel zu selten. "All die ganzen Jahre" mit "Madelaine" und "Cokane In My Brain" hingegen drei der rar gesäten Wiedergutmacher.
Das Rückgrat des Hosen-Sounds: Rhythmus-Gitarrist Breiti (Foto: ka-news) |
Richtig bitter wird's dann aber, wenn Campino frohlockend eine der zahllosen Zugaben mit den Worten anpreist: "Und jetzt ein Lied, das wir während der ganzen Tour noch nicht gespielt haben!" Warum denn aber ausgerechnet Karlsruhe in den zweifelhaften Genuss solch ausgelutschter "Bravo-Hits"-Schnulzetten wie "Bonnie und Clyde" kommen musst? Wir wissen es nicht. Und als ob das noch nicht gereicht hätte, schiebt das Quintett "Alles aus Liebe" und "Schön sein" gleich hinterher. Bon Appetit, lieber Fan. Friss oder stirb.
Bommerlunder ist Bommerlunder und Geschäft ist Geschäft
Geburtstagskind mit Reibeisenstimme: Lead-Gitarrist Kuddel wurde gestern 41 (Foto: ka-news) |
"Manche Lieder werden über die Jahre lasch, andere behalten ihre Bedeutung oder wachsen sogar", und gottlob hatten Campino und seine Hosen gegen "’Big Brother’-Besucher und andere Flachpfeifen" schon vor Jahrzehnten "1.000 gute Gründe" vorzubringen. Es gäbe mit Sicherheit noch einiges mehr an Argumenten, weitere Songs aus dieser oder vorangegangenen Dekaden zu spielen. Und mit Sicherheit ebenso viele dagegen. Bommerlunder ist Bommerlunder und Geschäft ist nun mal Geschäft. Die Hosen schwimmen im Mainstream, und der dürfte allen anwesenden Wasserstoffperoxid-Weltverbesserern zum Trotz auch so manchen aufs Konzert gespült haben, der ohne besagte "Bekannt aus Funk und Fernsehen"-Sternstunden wohl ernsthaft überlegt hätte, ob er für eine solch ominöse Ansammlung nie zuvor vernommenen Liedguts ein zweites Mal das Eintrittsgeld löhnen würde.
Die Hosen wissen das und bedanken sich denn auch artig: "Wer zum ersten Mal hier ist: Willkommen! Und alle, die uns über die Jahre die Treue gehalten haben: Ihr seid der Grund dafür, dass es uns immer noch gibt!" Und so will die Menge nach dem vermeintlich letzten Song freilich immer noch "Mehr davon". Die einen, weil sie sich ach so prächtig unterhalten fühlten, die anderen, weil die Hoffnung neben der Ewigkeit eben immer noch am längsten währt. So reihen die Hosen bereitwillig eine Zugabe an die nächste, erklimmen selbst nach "Schönen Gruß, auf Wiedersehen" zum wiederholten Male die Bühne bis Campino mit "You’ll Never Walk Alone" endgültig den Ohrwurm für den Heimweg anstimmte. Und während die bösen Buben aus Frankfurt ihrem selbstbeweihräucherungsschwangeren Märtyrer-Dasein gottlob selbst ein Ende gesetzt haben, werden uns Die Toten Hosen hoffentlich noch eine weitere Tournee erhalten bleiben. Denn Helden hin und Punkrock her: Spielschulden sind eben immer noch Ehrenschulden. Patrick Wurster