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Karlsruhe: Borderline: Wenn der Druck unerträglich wird

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Borderline: Wenn der Druck unerträglich wird

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    Borderliner schildern ihre Lebenssituation selbst oft als eine Art "permanente Krise".
    Borderliner schildern ihre Lebenssituation selbst oft als eine Art "permanente Krise". Foto: dpa

    "Du ritzt dich oder was?", bekommt Hanna (Name von der Redaktion geändert) immer wieder zu hören, wenn sie erzählt, dass sie "Borderlinerin" ist. Doch sie wehrt sich gegen die weit verbreitete Meinung, Borderline sei Ritzen. Das Ritzen sei nur ein Aspekt der Krankheit und nicht jeder Borderliner verletze sich selbst, so die 20-Jährige. "Die Menschen kennen die Erkrankung zu wenig", sagt Hanna. Sie habe sich daher entschlossen, offen mit ihrer Krankheit umzugehen.

    "Ich wusste nicht, was mit mir los ist."

    Die ersten Erfahrungen mit ihrer Borderline-Erkrankung machte Hanna in ihrer "pubertären Phase". Sie wurde ständig von Stimmungsschwankungen erfasst. Von jetzt auf gleich konnte sich ihre Stimmung von "himmelhochjauchzend" auf "zu Tode betrübt" wandeln. Ihre Gefühle wechselten in Minuten zwischen Liebe und Hass. Übertriebene Reaktionen, unvorhergesehene Ausrufe - die plötzlichen Gefühlsausbrüche wurden von ihren Klassenkameraden skeptisch beäugt, ihre Familie reagierte mit Unverständnis. "Man fällt auf, fühlt sich unverstanden und dies wiederum führt zur Isolation", erzählt Hanna. "Ich wusste ja selbst nicht, was mit mir los ist. Das habe ich erst im Nachhinein verstanden."

    Heute weiß Hanna, dass sie an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leidet. Mit 17 Jahren war sie das erste Mal in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. In der Psychiatrie für Erwachsene wurde im März dieses Jahres das Krankheitsbild diagnostiziert.

    "Manchmal wird der Druck einfach unerträglich."

    Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist für das Borderline-Syndrom eine Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und der Stimmung kennzeichnend. Dies zeige sich zum Beispiel in einer Abfolge intensiver, aber häufig wechselnder Beziehungen, der Neigung zu selbst gefährdendem Verhalten oder starken Gefühlsausbrüchen. Dies hat für die Betroffenen zum Teil erhebliche Auswirkungen auf die Gestaltung des Alltags und den Umgang mit anderen Menschen.

    Die Borderline-Diagnose wird anhand eines Neun-Punkte-Katalogs gestellt: Angst vor dem Alleinsein, ein düsteres Selbstbild, unkontrollierbare Wutausbrüche sowie verschwenderisches Geldausgeben können genauso hinzu zählen wie Drogen- oder Alkoholmissbrauch. Auch Kauf- und Internetsucht sind möglich Ausflüchte. Sind fünf dieser neun Kriterien erfüllt, dann sprechen Ärtzte von einer Borderline-Persönlichkeitsstörung.

    Betroffene fühlen sich permanent angespannt, leicht reizbar, nervös und sind oft geplagt von einer inneren Unruhe, berichtet Hanna. Borderliner schildern ihre Lebenssituation daher selbst oft als eine Art "permanente Krise". Vor allem auf Stresssituationen wie Prüfungen, Umzüge oder Streit mit Freunden reagieren Borderliner sehr empfindlich."Man ist überfordert vom inneren Gefühlschaos und verliert den Kontakt zu sich selbst", so Hanna. "Manchmal wird der seelische Druck einfach unerträglich." Borderliner entwickeln daher unterschiedliche Verhaltensmuster, um diesen Druck zu kompensieren.

    "Diagnose war eine Erleichterung"

    Beim Ritzen beispielsweise werden Adrenalin und Endorphine ausgeschüttet, die eine Art Glücksgefühl und Erleichterung hervorrufen, daher wird dies von vielen Betroffenen als angenehm empfunden. Das Ritzen ist aber nur eine mögliche Reaktion. So kann auch exzessives oder riskantes Verhalten, beispielsweise etwa durch den Konsum von Drogen oder Alkohol ein typisches Verhalten sein. Das selbstschädigende Verhalten kann bis zum Selbstmordversuch führen.

    Hanna war erleichtert, als sie die Diagnose bekam und für ihr wirres Verhalten endlich eine Erklärung hatte. Neben Medikamenten, die je nach Stimmung aufhellend oder dämpfend wirken, sind Therapien ein wichtiges Element, um die Krankheit in den Griff zu bekommen.

    "Nicht die Krankheit regiert mich, sondern ich die Krankheit"

    Hanna nimmt seit einiger Zeit an einem sogenannten "Skills-Training" teil. Hier treffen sich rund zehn Betroffene mit zwei Mentoren einmal in der Woche. Die Patienten sollen lernen, ihre Stimmungslage selbst einzuschätzen und ihre Anspannungssituationen zu beschreiben. "Wir lernen, achtsam mit unserem Körper umzugehen", berichtet Hanna. Beispielsweise bekommen die Teilnehmer die Aufgabe, sich fünf Minuten Zeit zu nehmen, um eine Tasse Kaffee bewusst zu trinken. "Wir sollen bewusst sehen, schmecken, fühlen und den Moment ganz bewusst erleben und im Anschluss die Situation beschreiben", sagt Hanna. Die Betroffenen sollen so ihren Körper neu entdecken.

    Auch sollen die Betroffenen Alternativen kennenlernen, um mit Stresssituationen umzugehen und den gefühlten Druck abzubauen. Statt sich zu ritzen, könne das beispielsweise das Kauen einer Chilischote sein. Auch sollen Patienten sich Schmerzreize durch Sport zufügen statt sich selbst zu verletzen. "Patienten lernen, den Draht zu sich selbst zu finden und mit Stress besser umzugehen. Wir lernen: Nicht die Krankheit regiert mich, sondern ich die Krankheit", sagt Hanna.

    Die genaue Ursache der Krankheit ist nicht bekannt

    Hanna rät Betroffenen, die bemerken, dass etwas mit ihnen nicht stimmt, sich einer Person ihres Vertrauens oder einem Psychiater anzuvertrauen und über die eigenen Gefühle und Ängste zu sprechen. Auch Eltern sollen auf ihre Kinder achten. Wenn sich das Kind zurückzieht, das Haus nicht mehr verlässt und keine Freunde mehr trifft, könnten das schon Anzeichen für eine Persönlichkeitsstörung sein, so Hanna.

    Die Wissenschaft kennt die genauen Ursachen der Krankheit und welche Ursachen welche Ausprägungen der Krankheit bewirken nocht nicht. Es gibt keine eindeutigen typischen Symptome, die eine Borderline-Erkrankung auslösen. Einig ist man sich alleine darüber, dass viele Faktoren zusammenspielen müssen, damit eine Borderline-Störung entsteht. Die Krankheit kann genetisch bedingt sein. Dazu kommen Umweltfaktoren, also zum Beispiel Erfahrungen und Traumata, sowie neurologische oder biochemische Störungen.

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