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Karlsruhe: Biker-Albtraum Bitumen

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Biker-Albtraum Bitumen

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    Schlaglöcher und schlechte Straßenzustände sind nach dem langen Winter als Ärgernis für Pkw-Fahrer in aller Munde, doch nur selten wird dabei die Sicht des Zweiradfahrers beleuchtet. Selbst beim Ausbessern der Straßenschäden wird scheinbar nur an Pkw-Fahrer gedacht. Der ADAC Nordbaden und Biker Union wollen gemeinsam Abhilfe schaffen und luden zu einer Gesprächsrunde ein, um die Verkehrssicherheit für Zweiradfahrer zu erhöhen.

    Zahl der getöteten Motorradfahrer liegt konstant bei 900 Fällen

    Heftig diskutiert wurde dabei über Bitumen, jenes Material, das bei der Ausbesserung von Straßenschäden am häufigsten zur Anwendung kommt. Was bei der Fahrt mit dem Auto meist unbemerkt bleibt, ist auf dem Sattel eines Motorrads unter bestimmten Umständen rutschig wie Glatteis. Eine derart reparierte Stelle wird ab 23 Grad Celcius flüssig, der darauf liegende Splitt wird eingedrückt, übrig bleibt eine glatte Fläche. Die für das Zweirad nötige Haftreibung geht gegen Null, der Bremsweg verdreifacht sich und die maximale Schräglage verringert sich auf 15, anstelle der möglichen 45 Grad. Horst Kretschmer, Verkehrsreferent des ADAC Nordbaden, und Thomas Hessling, Verkehrsingenieur in der Münchner Zentrale des ADAC, wollen sich mit dem Argument "leere Kassen der Kommunen" für solch unzumutbare Zustände nicht zufrieden geben.

    Die Bitumflickerei ähnelt einer Landkarte (Foto: pr)

    Die Zahl der getöteten Motorradfahrer ist seit Jahren konstant bei rund 900 Fällen deutschlandweit - obwohl gleichzeitig die Zahl der getöteten Autofahrer stark zurückging. "Will man hier etwas ändern, müssen die Ursachen genauer analysiert werden. Ein Kreuz auf dem Unfallbogen bei "überhöhter Geschwindigkeit" ist schnell gesetzt - doch "ob ein Straßenschaden für den Sturz ausschlaggebend war, bleibt bisher im Protokoll unbeachtet", erklärt Horst Kretschmer. Fahrzeugseitig können Maßnahmen wie der Einbau von ABS Einfluss auf die Unfallhäufigkeit nehmen, der Fahrer kann die eigenen Fähigkeiten in Fahrsicherheitstrainings verbessern, um kritische Situationen bewältigen zu können. Doch für den verkehrssicheren Zustand der öffentlichen Straßen müssen die Behörden sorgen.

    "Die Verantwortung für sein Handeln trägt der Motorradfahrer"

    Erdmuthe Jungkurth aus Calw leitet daraus nicht automatisch die Pflicht ab, die Verkehrswege auf die Bedürfnisse des Zweiradfahrers auszurichten. "Straßen werden für den allgemeinen Verkehr gebaut und erhalten. Motorradfahrer müssen sich daran anpassen. Es gibt keine Garantie dafür, dass selbst auf einer 100 Prozent motorradsicheren Straße nicht ein Häufchen Splitt von einem Lkw gefallen ist", so die einzig anwesende Leiterin einer Straßenbauabteilung, die selbst als passionierte Motorradfahrerin die Sicht des Zweiradfahrer sehr wohl kennt.

    Ab 23 Grad Celcius wird der Bitum flüssig, so dass der Schuh festklebt (Foto: pr)

    Straßenschäden in diesem Ausmaß müssen dennoch nicht sein - mit dem fachgerechten Einsatz der heutigen Techniken ginge das auch besser, halten die Vertreter von Biker Union und ADAC dagegen. Außerdem vertritt Jungkurth die Meinung, dass die Motorradfahrer "viel Fahren üben, die Geschwindigkeit anpassen, die passende Kleidung beim Motorradfahren tragen und sich bei der Fahrt konzentrieren. Die Verantwortung für sein Handeln trägt der Motorradfahrer. Die Straße ist kein Nürburgring". Kretschmer räumt ein: "Wir verstehen die finanzielle Not der örtlichen Behörden." Ihnen seien oft die Hände gebunden, da sie die Bewilligung der Gelder nicht beeinflussen können. Es wäre jedoch schon viel gewonnen, wenn Bitumen künftig fachgerecht und nur wenn unbedingt notwendig angewendet würde. Vor allem müsse der großflächige Einsatz dieses Verfahrens vermieden werden.

    Verkehrspolitik hat Straßeninfrastruktur leichtfertig vernachlässigt

    Andere, sichere Verfahren sind auf dem Markt, und gemessen an der Haltbarkeit sind diese nicht teuerer als Bitumen. Unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit sollte hier ein Umdenken erfolgen. Wie Michael Musche, der Projektleiter der Biker Union, berichtet, veranstaltet diese seit Jahren so genannte "Bitumen-Rallyes", organisierte Suchfahrten zur Lokalisierung gefährlicher Straßenschäden. In einer eigens dafür entwickelten Datenbank werden die Straßenschäden dokumentiert. Sie sind jetzt für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Die Meldebögen werden an die Straßenbauämter weitergeleitet, damit Abhilfe geschaffen werden kann. "Kooperation, nicht Konfrontation" ist der Biker Union dabei wichtig.

    Streckenabeschnitte, in denen im Kurvenbereich wahre Landkarten aus Bitumen aufgebracht wurden, sind auf den Straßen der Region keine Seltenheit. Motorradfahrer erleben im günstigsten Fall "nur" einen kleinen Spurversatz oder rutschen ins Gelände, im schlimmsten Fall landet der gestürzte Zweiradfahrer jedoch im Gegenverkehr oder in scharfkantigen Leitplanken. Solche Unfälle gibt es künftig zu vermeiden - darin waren sich die Gesprächspartner im ADAC-Haus am Ende einig. Die Verkehrspolitik hat in den letzten Jahren die Straßeninfrastruktur leichtfertig vernachlässigt. Der ADAC und die Biker Union appellieren an die Verantwortlichen, die notwendigen Mittel für den Verkehrsetat bereitzustellen. In der Bundesrepublik sind etwas 3,7 Millionen Krafträder zugelassen, etwa vier Prozent der Bevölkerung sind auf zwei Rädern mobil sind.

    Rund 40 Prozent der Motorradfahrer sind Mitglied im ADAC. Spätestens im Frühjahr 2007 wolle man stichprobenartig die heutigen Gefahrenstellen unter die Lupe nehmen - in der Hoffnung, dass es nichts mehr zu beanstanden gibt. Die kritischen Streckenabschnitte können im Internet eingesehen werden. Wer weitere Stellen lokalisiert, kann auf der Internetseite einen Meldebogen ausfüllen und absenden oder diese in der Verkehrsabteilung des ADAC Nordbaden unter Telefon 0721/8104423 melden.

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