Haben Sie es gelesen? Mit großem Brimborium hat am vergangenen Samstag Berlins Stadtoberhaupt Klaus Wowereit die U 55 eröffnet, 320 Millionen Euro teuer – bei 14 Jahren Bauzeit. Spaß in vollen Zügen: "Zehntausende feierten die Eröffnung der neuen U-Bahnstrecke, obwohl sie alles andere als sehnsüchtig erwartet worden war", schrieb am Wochenende eine große Berliner Tageszeitung.
Schildbürgerstreich mit zweifelhaftem Nutzen
Man stelle sich vor, es ist das Jahr 2015, und auch in Karlsruhe steht eine Eröffnung an: die Fertigstellung des U-Strab-Teils der so genannten Kombilösung, deren Baubeginn im kommenden Januar sein soll. Erst vor wenigen Tagen wurde bekanntlich schon der erste Spatenstich für den so genannten "Info-Pavillon" am Ettlinger Tor gesetzt.
Auf keinen Fall kann man behaupten, dass die Berliner die neue U-Bahnlinie sehnsüchtig erwartet hätten. Ihr verkehrlicher Nutzen werde zunächst gering sein. Die BVG rechne mit 6.400 Fahrgästen am Tag, heißt es. Erst wenn die Strecke frühestens 2017 mit der U 5 am Alexanderplatz verbunden sein wird, könnten es nach den Prognosen auf dem gesamten Abschnitt vom Hauptbahnhof zum Alex täglich 150.000 Fahrgäste geben. Das klingt schon fast nach einem Schildbürgerstreich. Den rein verkehrlichen Nutzen zweifeln nach wie vor auch manche nörgelnden Dauerkritiker der U-Strab in Karlsruhe an.
Berlin kam Karlsruhe zuvor
"Tief im Hardtwald", sang einst das Karlsruher Urgestein, der Kabarettist Gunzi Heil. "Dein Fußball geht baden, doch das passt in die Region", heißt es in seiner vor Jahren aufgelegten Liebeserklärung an Karlsruhe, "Die Gelbfüßler", uraufgeführt auf der Tribüne von "Das Fest" im Jahr 2002. Zur Melodie von Grönemeyers "Bochum" rückt er dann die Maßstäbe zurecht: Karlsruhe sei keine Hauptstadt, nur der Wertkauf sei groß gewesen. Und: "Du bekommst eine U-Bahn, die allerkleinste der Welt, die auch nur dreimal hält und am Mühlburger Tor kommt sie schon wieder vor." Gunzi Heil, das Karlsruher Gewächs, hält trotzdem an seiner Stadt fest und gröhlt: "Karlsruhe, ich komm aus dir..., Karlsruhe, ich häng an dir."
Zirka 3,5 Kilometer lang sind die Strecken, die für die U-Strab zwischen Durlacher- und Mühlburger Tor sowie Marktplatz und Ettlinger Straße unter- und oberirdisch als Baustelle angegangen werden. 1,2 Kilometer Fußgängerzone sollen damit, ein durchaus ehrenwertes Ziel, als reine Fußgängerzone schon in wenigen Jahren von Schienen befreit sein. Doch mit der "kleinsten U-Bahn der Welt" wird es nun in Karlsruhe vorerst nichts werden: Berlin, die eigentliche Hauptstadt, ist der beschaulichen Fächerstadt zuvor gekommen.
"Ja, Mr. Obama, wir Badener haben das Automobil erfunden"
Da bleibt nur eins: Karlsruhe ("viel vor, viel dahinter"), muss sich anderer Jubiläen bedienen, mit denen es sich dem Guinnessbuch der Rekorde andienen kann: 2011 jährt sich der Todestag von Karl Freiherr von Drais, dem Erfinder des Laufrads, zum 150. Mal, und 2019 ist die 125. Wiederkehr des Geburtstags von Carl Friedrich Benz, dem "Kind" aus Mühlburg und Erfinder des Automobils – auch wenn die Werkstätte dazu in einem Mannheimer Hinterhof stand.
"Yes we can", meinten im Frühjahr Verantwortliche des Ladenburger Benz-Museums: "Ja, Mr. Obama, wir Badener haben das Automobil erfunden." Schon im kommenden Jahr bieten sich also zahlreiche Möglichkeiten, nicht zuletzt das überdimensionale Schild an der Südtangente ("viel vor, viel dahinter"), das derzeit mit dem Slogan "25 Jahre E-Mail" überklebt ist, für wichtige Ziele des Stadtmarketing neu zu beleben.
Die aktuelle Chance, die 588 Millionen Euro Kombilösung weiterhin zur "kleinsten U-Bahn" zu erklären, ist ja nun seit dem Wochenende leider perdu, fort, futsch, autsch, weg, Schluss. Das muss auch Kabarettist Gunzi Heil mit Verdruss zur Kenntnis nehmen!