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Karlsruhe: An der GDL-Front: " Wir fahren seit Jahren nur noch auf Überstunden"

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An der GDL-Front: " Wir fahren seit Jahren nur noch auf Überstunden"

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    Die GDL hat zu einem neuen 60-stündigen Warnstreik bei den privaten Wettbewerbern der Deutschen Bahn aufgerufen. (Archivbild).
    Die GDL hat zu einem neuen 60-stündigen Warnstreik bei den privaten Wettbewerbern der Deutschen Bahn aufgerufen. (Archivbild).

    Olaf Benz ist 2. stellvertretender Vorsitzender der GDL-Ortsgruppe Karlsruhe. Und er arbeitet seit 18 Jahren für die AVG als so genannter Triebwagenfahrer. ka-news hat sich mit dem gebürtigen Hamburger getroffen, um zu erfahren, wie die Arbeitsbedingungen bei der AVG aus Sicht der Lokführer beurteilt werden und was sich die GDL von dem hart geführten Arbeitskampf erhofft

    Wie würden Sie die Arbeitsbedingungen bei der AVG beschreiben?
    Die Arbeitsbedingungen sind recht kompliziert geworden. Früher zum Beispiel hatte der Zehn-Minuten-Takt um 18 oder 20 Uhr geendet. Jetzt fahren wir bis 21 Uhr. Am Wochenende gibt es wesentlich mehr Dienste.

    Gibt es deshalb jetzt auch mehr Personal?
    Das Personal ist zwar kontinuierlich aufgestockt worden, aber nur im Rahmen der Erweiterung. Das heißt, wenn neue Fahrzeuge angeschafft werden, dann braucht man auch neue Fahrer. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Situation bei der AVG ähnlich ist wie bei den VBK - es fehlt akut an Personal. Die AVG hat für sehr teures Geld sogar Leih-Lokführer angeheuert. Diese werden bei dem Verleiher, ihrem Arbeitgeber, nach einem GDL-Tarif bezahlt, während wir mit Arbeitskampfmaßnahmen versuchen müssen, einen Tarifvertrag mit der GDL zu erreichen.

    Leih-Lokführer?
    Das sind Leiharbeitnehmer. Es gibt Firmen in Deutschland, bei denen man sich Lokomotivführer leihen kann.

    Normalerweise denkt man ja, dass Leiharbeitnehmer billiger sind als Festangestellte.
    Nein, das ist in diesem Fall sogar wesentlich teurer. Die bekommen den GDL-Tarif, den wir gerne haben wollen.

    Aber nur auf Zeit.
    Ja, allerdings ist der Zeitrahmen recht groß. Das geht nicht nur über Monate, sondern über Jahre.

    Wie kommt der akute Mangel zustande?
    Das liegt daran, dass wir gemeinsam mit der DB angefangen haben. Und die DB gibt jetzt sehr viel Arbeit zurück. Zum Beispiel haben sich die DB-Lokführer fast vollständig von der S5 zurückgezogen. Die Bruchsaler DB-Kollegen, die sehr viel auf der S3/S31-Linie fahren und auf der S9, werden zum Jahresende auch aufhören. Alle diese Lokführer fehlen und müssen durch die AVG ersetzt werden. Der Hintergrund ist der, dass die DB selbst nicht über ausreichend Lokführer verfügt. „Frei werdende“ Lokführer werden dann beispielsweise eingesetzt, um die Rhein-Neckar-S-Bahn zu fahren.

    Wieso werden die Stellen dann mit Leiharbeitnehmern und nicht fest besetzt?
    Die Anforderungen an einen Lokführer sind sehr hoch. Geeignete Kandidaten stehen daher nicht immer zur Verfügung. Und wenn jemand zum Lokführer qualifiziert ist, dann bekommt er bei der DB ein wesentlich besseres Gehalt. Deshalb kommt er natürlich nicht zur AVG. Hinzu kommt auch, dass die AVG nur ein begrenztes Ausbildungskontingent hat.

    Wieso wird dann nicht verstärkt ausgebildet?
    Das müssen Sie die Geschäftsleitung fragen. Ein wesentliches Hemmnis ist, dass alle Lokführer bei uns zusätzlich die Straßenbahnausbildung haben müssen. Die ist recht kompliziert und braucht Zeit. Das ist eine Kapazitätsfrage, denn diese Ausbildung erfolgt nur durch die VBK (Verkehrsbetriebe Karlsruhe). Die Kolleginnen und Kollegen müssen in dem Betrieb ausgebildet werden, in dem sie fahren. Ich könnte zum Beispiel als Straßenbahnfahrer nicht in Berlin tätig werden mit der hiesigen Straßenbahnausbildung. Dafür müsste ich vor Ort noch einmal ausgebildet werden.

    Kann man sagen: Die AVG stellt Leihlokführer ein, weil sie keine Bewerber für eine Festanstellung zu dem Preis findet, den sie zu bezahlen bereit ist?
    (Zögert) So könnte man das sehen. Das ist innerbetrieblich ein ganz heißes Eisen. Es ist aber tatsächlich so, wenn jemand nicht an Karlsruhe gebunden ist, kann er sich bei jedem anderen Eisenbahnbetrieb bewerben. Und Anfänger bekommen zum Beispiel bei der DB wesentlich bessere Konditionen als bei der AVG.

    Dann ist doch die AVG einfach unattraktiver als andere Unternehmen der Branche?
    So könnte man das sagen.

    Würden Sie von Lohndumping sprechen?
    Das ist zu weit gegriffen. Aber es ist nach viel Widerstand eingeräumt worden, dass wir innerbetrieblich Gehaltsunterschiede bei den Lokführern von ungefähr 20 Prozent haben. Die Gehaltsunterschiede hängen ausschließlich mit dem Einstellungsdatum zusammen. Es geht beispielsweise darum, dass wir "Altgedienten" eine betriebliche Altersvorsorge haben. Das haben die "Neuen" nicht mehr.

    Und worüber wir noch nicht gesprochen haben: Es werden ja auch hohe gesundheitliche Anforderungen gestellt. Sie müssen einen Eignungstest bestehen, in dem Reaktionsfähigkeit, Konzentrationsfähigkeit und so weiter geprüft werden. Dann muss man regelmäßige ärztliche Untersuchungen absolvieren, in denen geprüft wird, ob man die Voraussetzungen noch erfüllt. Das führt dazu, dass viele Lokführer in ihrem Beruf nicht das Rentenalter erreichen. Das ist auch ein Punkt beim jetzigen Arbeitskampf - was passiert mit denen, für die der Arzt eine Weiterbeschäftigung im Fahrdienst ablehnt?

    Kommt das oft vor?
    Gute zehn Prozent der Lokführer können im Laufe ihres Berufslebens nicht mehr bis zum Erreichen des Rentenalters im Fahrdienst beschäftigt werden. Und für die Älteren wird es immer belastender.

    Wie geht Ihr Arbeitgeber mit der Streiksituation um?
    Ich habe den Eindruck, man versucht das auszusitzen. Es war am Anfang so, dass einige Übereifrige der unteren Führungsebene gedacht haben, sie müssten Druck ausüben. Aber das ist inzwischen verpufft.

    Erhalten Sie Rückmeldungen der Fahrgäste, die sich auf Ihren Streik beziehen? Wie fällt diese aus?
    Da haben wir viele Reaktionen bekommen. Man kann tendenziell sagen, dass Verständnis geäußert wird - insbesondere, wenn die Leute erfahren, worum es uns geht und dass es völlig falsche Vorstellungen darüber gibt, was wir da vorne als Lokführer eigentlich verdienen. Diese Gehälter hätten wir gerne (lacht).

    Glauben Sie, dass Sie mit dem Streik eine Chance haben, Ihre Ziele durchzusetzen?
    Ja. Aber ich denke, es wird auf einen Kompromiss herauslaufen. Wir werden einige Dinge nicht sofort umsetzen können. Das geht teilweise auch gar nicht. Man muss schrittweise angleichen und das lassen die Forderungen der GDL ja ausdrücklich zu. Wir wollen keine Firma in den Ruin treiben, schließlich geht es ja um unsere Arbeitsplätze. 

    Was wäre Ihre Wunschvorstellung darüber, was sich bei der AVG verändern müsste?
    Das geht los bei der Bezahlung und bei den Dienstplänen. Wir haben Dienste, die insgesamt über zehn Stunden dauern, bei denen aber nur acht Stunden bezahlt werden. Wenn jemand von seiner Einsatzstelle zum Dienst woanders hinfährt, dann nennt man das "Gastfahrt". Wenn diese am Anfang oder am Ende des Dienstes liegt, wird sie nur zu 50 Prozent bezahlt. In der Mitte des Dienstes wird sie zu 80 Prozent bezahlt. Inzwischen haben wir aber Gastfahrten nach Menzingen und Freudenstadt mit der Folge, dass man teilweise zwei Stunden rumsitzt. Wir wollen, dass die Gastfahrten voll angerechnet werden, abzüglich der gesetzlichen Pause. So eine Regelung bringt mehr Druck, dass die Dienstpläne effizienter werden. 

    Dann sind da die Arbeitszeiten selbst: Wir hatten mit der Einführung des Nightliners einen Betrieb von morgens um vier Uhr bis nachts um zwei Uhr. Jetzt ist das nicht mehr so. Wir fahren mit S1 und S5 praktisch rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. Davor war es so, dass der letzte Dienst um 18 Uhr angefangen hat und bis zwei Uhr nachts ging.

    Und dann ist da doch noch das Angleichen des Tarifs mit dem der DB, den Sie fordern.
    Das ist ein Ziel. Der Bundesrahmenlokomotivführer-Tarifvertrag (BuRa-LfTV) der GDL ist ein Tarifvertrag, in dem sich die grundlegenden Regelungen für Lokomotivführer bundeseinheitlich wiederfinden sollen.

    Darüber hinaus sollen jeweils Haustarifverträge geschlossen werden, in denen sich die speziellen Regelungen wiederfinden, die für das jeweilige Eisenbahnverkehrsunternehmen gelten sollen. Das ist in dem GDL-Paket ausdrücklich so vorgesehen. Denn man kann die Gehalts- und der Sozialstruktur der DB  mit über 20.000 Lokführern nicht mit derjenigen der AVG mit etwa 300 Lokführern vergleichen. Da muss es Raum für unternehmensspezifische Sonderregelungen geben. Der BuRa-LfTV lässt auch Unterschiede im Gehalt zu. Er enthält gewisse Mindestregelungen. Es muss nicht exakt bezahlt werden wie bei der DB. Da sind Spielräume drin.

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    Das Interview führte Daniel Cornicius

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