Es ist der Vormittag des 29. August 1985. Die Sonne scheint hell an diesem Donnerstag. Rüdiger M.* ist das egal. Der 32-Jährige sitzt in seiner Wohnung in Waldbronn. Er ist verzweifelt. Wieder einmal ist sein Kühlschrank leer, in seinem Portemonnaie findet er noch acht Mark. Und wieder einmal haben die mutmaßlichen Schikanen seiner Nachbarn Überhand genommen.
M. braucht unbedingt Geld
Seit Monaten fühlt sich M. von ihnen terrorisiert. Er glaubt, er sei nierenkrank - und daran gibt er seinen Nachbarn die Schuld. Sie hätten sein Leitungswasser vergiftet, glaubt M. Immer häufiger fühlt er sich "Gasangriffen" ausgesetzt. Um sich davor zu schützen, installiert er mehrere Entlüftungsgeräte.
Auch seine Halbschwester, vermutet M., habe es auf ihn abgesehen: Sie mische ihm Schlaftabletten unter sein Essen, um an seinen Teil des Erbes zu kommen, das der Vater nach seinem Tod hinterließ. Der 32-Jährige lebt isoliert. Seine Leidenschaft ist das Sammeln von Waffen. Bereits 1981 nehmen ihm Polizisten bei einer Hausdurchsuchung einige Schusswaffen ab. Freunde oder Kontakt zu Frauen hat M. nicht.
Ihm reicht es. Seit Wochen tüftelt er an seinem Plan, sich Geld zu beschaffen. Wo und wie, weiß er nicht. Seine Überlegungen sind, wohl auch wegen seines starken Medikamenten- und Alkoholmissbrauchs, verschwommen. Fest steht für ihn nur, dass er Geld braucht. Damit will er sich ein Wohnmobil anschaffen, um endlich dem Martyrium im Kreise seiner Nachbarn zu entkommen.
Am 29. August meint M., eine Möglichkeit für die Umsetzung seines Plans gefunden zu haben. Er entschließt sich zu einem Überfall auf eine Bank. Sein Ziel ist eines der Geldinstitute in den Karlsruher Höhenstadtteilen Grünwettersbach, Palmbach oder Stupferich, weil er dort günstige Fluchtmöglichkeiten vermutet. Kurz vor 17 Uhr fährt er mit dem Moped los. Seinen Revolver samt Munition verstaut er unter der Jacke. Die Öffnungszeiten der Banken überprüft er nicht.
Das wird ihm zum Verhängnis, als er in Palmbach ankommt. Die dortige Bankfiliale hat geschlossen. Kurzerhand entschließt er sich, nach Grünwettersbach zu fahren. Auf dem Parkplatz einer Tankstelle erkennt er ein Auto. Er möchte es in seine Gewalt bringen, weil er glaubt, nur mit einem Auto gute Fluchtchancen zu haben. Er eilt auf das Fahrzeug zu. Geistesgegenwärtig springt eine Frau, die auf dem Beifahrersitz wartet, aus dem Auto. M. ist bereit, sie mit Schüssen daran zu hindern. Doch er kann nicht, weil sein Revolver klemmt. Seine Wut wird größer.
Um sich die Schlüssel für den Wagen zu beschaffen, stürmt er bewaffnet in den Verkaufsraum der Tankstelle. Dort vermutet er den Fahrer. Doch es kommt anders. Die Verkäuferin legt Geld auf den Tresen, weil sie glaubt, es handele sich um einen Überfall. Ein Rentner beginnt auf M. einzureden. Er fordert den 32-Jährigen zur Aufgabe seines Plans auf. Ihm ist nun klar, dass seine ursprüngliche Idee gescheitert ist. Seine Wut eskaliert.
Aus kurzer Distanz schießt er auf den Rentner. Dreimal. Stürmisch rennt er aus dem Verkaufsraum. Als er einen Mann an einer Zapfsäule entdeckt, eröffnet er sofort das Feuer. Die Kugel trifft den Mann. M. dreht sich um, sieht eine junge Frau. Auch auf sie schießt er. Die Kugel trifft sie in den Bauch. Später werden Rettungskräfte nur noch den Tod des Rentners im Verkaufsraum feststellen können. Die beiden Verwundeten auf dem Tankhof überleben schwer verletzt.
M. versucht Geisel zu nehmen
M. steigt in ein Auto, verlässt den Tankplatz und fährt Richtung Wolfartsweier. Auf der Verbindungsstraße der beiden Karlsruher Stadtteile trifft er auf eine Fahrradfahrerin. Die Frau ist offenbar in Richtung Hohenwettersbach unterwegs. Sein Entschluss steht schnell fest. Er will auch sie töten. Der 32-Jährige fährt auf gleiche Höhe, steigt aus. Die Frau erkennt die Gefahr, radelt schneller. Aus einigen Metern schießt er ihr in den Rücken. Anschließend zielt er aus der nächster Nähe auf ihren Kopf. Sie verstirbt noch am Tatort.
Er steuert weiter in Richtung Hohenwettersbach, biegt schließlich in die Bergwaldsiedlung ein. Im Vorgarten eines der Häuser nimmt er eine Frau und ihren Sohn bei der Gartenarbeit wahr. M. fährt heran und feuert durch das geöffnete Fenster seines Wagens. Der Student wird von der Kugel im Rücken getroffen, stirbt noch am Ort des Geschehens. Seine Mutter erliegt wenige Stunden später ihren schweren Verletzungen in einem Krankenhaus.
Bei einer Zigarette überdenkt M. seine Situation. Er glaubt, nur mit einer Geisel eine echte Chance auf die Flucht zu haben. Bei seiner Weiterfahrt erkennt er eine Gruppe Senioren. Eine Frau aus ihrem Kreis möchte er zur Geisel nehmen, doch sie wehrt sich. Die Gruppe scheint die Waffe für unecht zu halten, ein Mann tritt näher an M. heran. Der verliert die Nerven, feuert auf den älteren Herrn. Zwei Senioren rennen davon, der 32-Jährige schießt ihnen in den Rücken. Eine Frau stirbt noch am Tatort, ein Mann überlebt knapp. Zwei weitere Personen werden verletzt. M. steigt in den Wagen, fährt weiter. Kurze Zeit später wird er von der Polizei überwältigt und festgenommen.
Rüdiger M. wird im Oktober 1986 vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Karlsruhe der Prozess gemacht. Der damals 32-Jährige hatte während seiner weniger als eine Stunde dauernden Fahrt durch Karlsruhes Höhenstadtteile fünf Menschen getötet und fünf verletzt. Bei der späteren Rekonstruktion hilft er, legt ein umfassendes Geständnis ab.
Als Motiv gibt er Hass, Wut und Verzweiflung an. Aufgrund seiner schon lange währenden, schweren psychischen Erkrankung wird er für schuldunfähig erklärt. Es wird festgestellt, dass von ihm weiterhin eine "hohe Gefährlichkeit" ausgehe. Es wird angeordnet, ihn in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen. Nach Informationen von ka-news wird er noch heute, 30 Jahre nach seiner Tat, in einem solchen behandelt.
*Name von der Redaktion geändert.