Rick Perry ist ein Gouverneur, den man im Bundesstaat Texas als würdigen Nachfolger seines Amtsvorgängers George W. Bush bezeichnen könnte. Perry gilt seit seinem Amtsantritt im Jahr 2000 als volksnah wie Bush, gibt sich als eisenharter Konservativer. Und er hat mit dem späteren US-Präsidenten noch etwas anderes gemeinsam: Er präsidierte im Staat der Ölfelder und Cowboyhüte mittlerweile über mehr als 200 Hinrichtungen. Für den Republikaner Perry sind Exekutionstermine längst Routine.
Am 17. Februar 2004 spuckt im Büro Perrys um 16.52 Uhr das Faxgerät fünf Seiten aus. Der Inhalt ist ein aus heutiger Sicht höchst brisantes Gutachten, es kann über Leben oder Tod entscheiden. Der Text stammt aus der Feder des US-Brandexperten Gerald Hurst, der ernsthafte Zweifel an der Schuld eines Mannes äußert. Dieser sitzt in der Haftanstalt Huntsville und soll in genau 88 Minuten durch die Giftspritze getötet werden. Der 37-jährige Cameron Willingham war für ein Verbrechen verurteilt worden, das er stets bestritten hatte. Doch die vermeintliche Grausamkeit der Tat ließ die Geschworenen 1992 in nur einer Stunde zu einem Urteil kommen. Denn Willingham soll ein Jahr zuvor ein Feuer gelegt haben, bei dem seine drei Töchter ums Leben kamen. Die Beteuerungen des Vaters, der Brand müsse durch einen Kurzschluss entstanden sein, fanden keinen Glauben. Als mögliches Motiv gaben die Staatsanwälte damals an: Der Vater habe die Töchter töten wollen, um Zeit für Biertrinken und Kartenspiele zu haben.
Ob Gouverneur Perry jemals die drei Tage zuvor angekündigte Expertise ansah, darüber schweigt sich sein Büro bis heute aus. Den Hinrichtungsaufschub, den die Anwälte forderten, genehmigte er jedenfalls nicht. Und so schnallten die Henker den Verurteilten auf der Pritsche fest und legten die Infusionen für den Giftcocktail. Die letzten verzweifelten Worte des um 18.20 Uhr für tot erklärten Vaters könnten nun mit dazu beitragen, dass Justizgeschichte geschrieben wird: „Ich bin ein unschuldiger Mann. Verurteilt vor zwölf Jahren für etwas, das ich nicht getan habe.“ Denn heute gibt es weitere überwältigende Indizien, die eigentlich zu einer wegweisenden Entwicklung führen müssten: Dass erstmals seit der Wiedereinführung der Todesstrafe im Jahr 1976 ein Hingerichteter offiziell von einem Staat für unschuldig erklärt wird. Und dies würde der Debatte um die Abschaffung dieser Sanktionsform eine ganz neue Dimension geben.
Denn nach dem Experten Hurst kommen nun auch andere Forensik-Spezialisten zu dem Schluss: Frühere Brandstiftungs-Theorien der Ankläger sind durch moderne Untersuchungsmethoden widerlegt. Ihre Berichte liegen der „Texas Forensic Science Commission“ vor, die vom Bundesstaats-Parlament zu einem einzigen Zweck geschaffen wurde: Neue Feststellungen zur Schuld oder Unschuld in umstrittenen Verfahren zu bringen. Auch der renommierte US-Brandexperte Craig Beyler wurde von der Kommission um seine Meinung gebeten. Sein Fazit: Es muss ein Unfall gewesen sein, ausgelöst durch einen Kurzschluss.