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Schweiz lässt sich von Diktator vorführen

Genf/Tripolis

Schweiz lässt sich von Diktator vorführen

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    Libyens Despot Muammar Gaddafi, sein flegelhafter Sohn, ein tapsiger Schweizer Bundespräsident und zwei Geiseln, die fern der Heimat in Libyen schmoren: Diese Akteure bestreiten die Hauptrollen in einem Drama, das auf einen neuen bizarren Höhepunkt zusteuert: Gaddafi will angeblich Helvetien von der Landkarte tilgen lassen. „Libyen hat den Antrag gestellt, dass bei der Uno-Vollversammlung, die am 15. September beginnt, auch das Traktandum diskutiert werden soll, dass das schweizerische Staatsterritorium aufgeteilt und an die Nachbarländer verteilt wird“, berichtete eine Abgeordnete des Schweizer Parlaments. Eine Anfrage dieser Zeitung bei der Uno über den libyschen Vorstoß blieb unbeantwortet. Ein solcher Plan wäre ohnehin zum Scheitern verurteilt.

    Dennoch: Der Showdown hat die Schweizer Regierung in eine Krise gestürzt, die in der Geschichte des neutralen Kleinstaates einmalig sein dürfte. Mit Drohungen und Demütigungen führt der Tyrann aus Tripolis den braven Berner Bundesrat vor. „Wenn uns die Libyen-Affäre etwas gelehrt hat, dann, wie schlecht die Schweizer Diplomatie und Politik auf die Herausforderungen der globalisierten Welt gerüstet ist“, analysiert der Genfer Arabien-Experte Hasni Abidi.

    Der Politthriller begann 2008 im Genfer Hotel President Wilson. Hannibal Gaddafi, Sohn des Diktators, und seine Frau logierten mit Dienstboten in der Luxus-Herberge. Im Wilson sollen die Gaddafis ihre Angestellten geschlagen und wie Knechte gehalten haben. Schließlich griff die Genfer Polizei mit 20 Beamten ein. Festnahme. Eine Untersuchungsrichterin warf dem Paar einfache Körperverletzung, Drohung und Nötigung vor. Gegen Kaution kamen die Gaddafis frei. Im heimischen Libyen kochte Vater Muammar vor Wut. Er kappte die Öllieferungen in die Schweiz, schränkte die Finanzbeziehungen ein. Und er ließ zwei Schweizer Geschäftsleute festsetzen. Der konstruierte Vorwurf: Die Eidgenossen hätten gegen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen verstoßen. Seitdem müht sich das Außenministerium um eine Freilassung der Landsleute – vergeblich.

    Unlängst machte sich dann der Bundespräsident und Finanzminister Hans-Rudolf Merz auf nach Libyen. Er entschuldigte sich schriftlich für die „ungerechtfertigte und unnötige“ Verhaftung des Gaddafi-Sprosses. Im Gegenzug für seinen Kniefall erwartete Merz, dass die Libyer die Schweizer bis Ende August freilassen. Bern schickte den Regierungs-Jet nach Tripolis; doch der Pilot musste ohne die beiden Unglücklichen wieder abheben. Bis gestern gab es kein Zeichen einer Heimkehr, statt dessen eine Forderung nach Lösegeld.

    In Bern sorgte die Aktion des Bundespräsidenten für Empörung und Rücktrittsforderungen. Darf der Bundespräsident sich für Entscheidungen der unabhängigen Justiz entschuldigen und ihr so in den Rücken fallen? Merz hatte seinen Canossa-Gang auch nicht mit den sechs anderen Ministern im Regierungskollegium abgesprochen – ein klarer Bruch der Konsensregel. „Nun ist seine Aktion Debakel zum Debakel geworden“, ätzt die christlich-demokratische Abgeordnete Kathy Riklin. Die Sozialdemokraten fürchten, die Schweiz sei „erpressbar“ geworden.

    Selbst die eigene Partei des Bundespräsidenten, die FDP, geht auf deutliche Distanz. Jetzt musste Merz die Aktion Geiselbefreiung wieder an das Außenministerium abgeben. Dessen Chefin, Micheline Calmy-Rey, betonte immerhin: „Ich stehe voll an der Seite des Bundespräsidenten.“

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