Nun spielt Miller seit sechs Jahren beim KSC. In den ersten Jahren war seine Entwicklung stetig nach oben gegangen. Er war einer der wenigen konstanten Leistungsträger und genoss für seine oftmals spielentscheidenden Leistungen bei den Zuschauern viel Respekt und Zuneigung. Auch seine nie verhehlten Ambitionen, perspektivisch für den KSC zu gut zu sein und in absehbarer Zeit bei einem Spitzenverein spielen zu wollen, vermochten die Zustimmung zu ihm nicht zu mindern.
Doch seit einigen Monaten wankt nun diese Zuneigung. So ist der Allgäuer zwar weiterhin noch immer dazu fähig, sogenannte "Unhaltbare" abzuwehren und ab und an "Spiele zu gewinnen", doch mehrten sich auch die lässlichen Fehler und Unzulänglichkeiten, die "Spiele verloren" oder Punkte gekostet haben.
Auffällig war besonders, dass er, ähnlich einem Sebastian Freis, bislang daran gescheitert ist, seine seit jeher bekannten Schwächen – Strafraumbeherrschung und Konzentration – nicht nur nicht in den Griff zu bekommen, sondern diese sogar noch zunahmen.
Häme und Wut
Nicht wenige fanden die Auftritte von Ersatzmann Jean-Francois Kornetzky aus dem vergangenen Herbst so überzeugend, dass sogar ein dauerhafter Torwartwechsel realistisch und wünschenswert schien. Am vergangenen Dienstag, während des Spiels gegen Hannover, eskalierte nun die Situation, nachdem Miller, gedanklich offenbar schon beim Einleiten der nächsten Offensivaktion, einen an sich harmlosen Schuss durch die Hände gleiten und somit anschließend das Spiel kippen ließ.
Ungeachtet der Tatsache, dass man einen guten Miller in den restlichen Spielminuten noch brauchte, ergossen sich über den Modellathleten eine Häme und Wut, wie man es in Karlsruhe zuletzt im November 1990 erlebte, als Alexander Famulla von einem wütenden Publikum vom Platz gepfiffen wurde und noch in der Halbzeit Oliver Kahn dessen Platz übernahm - und nie wieder hergab. Auch ein Famulla hatte sich in den vier Jahren zuvor unbestrittene Verdienste erworben. In seiner Effizienz ähnelte er Miller, ohne jedoch jemals komplett zu werden. Nach der ebenfalls glücklosen Zwischenstation FC Homburg endete er in der Oberliga Baden Württemberg. Völlig vergessen war, dass es ohne einen wie ihn niemals zu den KSC-Erfolgen der 90er Jahre gekommen wäre.
Die Rechnung kommt tagesaktuell
Fußball ist für seine Protagonisten ein undankbares Geschäft. Jeder der Aktiven weiß es, glaubt aber in guten Zeiten felsenfest daran, dass ihn selbst aufgrund seiner aktuellen Popularität und Leistungsfähigkeit nie erwischen wird. Noch nicht einmal auf eine besondere Milde oder Geduld können die Profis hoffen, wenn sie dem großen Zirkus sportlich nicht mehr gewachsen sind. Abgerechnet wird nahezu tagesaktuell. Nicht nur auf dem Platz, sondern auch auf der Trainerbank und im Management. Schwächephasen werden zeitweise zugestanden, aber nur selten geduldet. Immer besser, höher, weiter muss es gehen, ungeachtet früherer Erfolge und Verdienste. Die Beckers oder Dohmens urteilen im Einzelfall auch nicht anders.
Der einzige Unterschied ist, dass Männer wie gestern Dick, heute Carnell oder morgen Aduobe von diesen nicht auch noch ausgepfiffen, beschimpft oder ausgelacht werden. Dabei – mag die Vorgehensweise einer nicht erteilten Vertragsverlängerung zwar stilvoller und weniger vulgär sein. Doch in seiner Konsequenz ist sie nichts anderes als der gesenkte Daumen der Zuschauer auf den Tribünen. Diesem Prinzip kann sich beim KSC von oben bis unten niemand entziehen. Selbst Entscheider wie Becker, Dohmen oder das Präsidium nicht. Denn der eigentliche Souverän im Fußball sind nicht sie oder die Spieler. Sondern der Erfolg. Nicht gestern, sondern heute und künftig.
Der Autor ist Herausgeber und Chefredakteur von "Auf, Ihr Helden! Magazin für Fußballzeitgeschichten" (www.heldenmagazin.de). Dreisigackers KSC-Kolumne "Nachspielzeit" erscheint wöchentlich bei ka-news.de.