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Karlsruhe: "Sweeney Todd"-Musical in Ettlingen: Düster-Romantik und Fleischpasteten mit Kardinal

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"Sweeney Todd"-Musical in Ettlingen: Düster-Romantik und Fleischpasteten mit Kardinal

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    "Sweeney Todd - Der Teufelsbarbier aus der Fleet Street" - 2013 in Ettlingen
    "Sweeney Todd - Der Teufelsbarbier aus der Fleet Street" - 2013 in Ettlingen Foto: (ps)

    Ein Chor beginnt, die Mär von Sweeney Todd - dem Teufel und Barbier aus der Fleet Street - zu erzählen. Benjamin Barkers Fehler war die Liebe - das Familienglück hätte vor 15 Jahren perfekt sein können, wäre da nicht der korrupte Richter Turpin ins Spiel gekommen, der Barker aus Eifersucht aus London verbannte und sich in der Folge an dessen Frau verging.

    Weg vom "Mamma Mia"-Kitsch: Musical kann auch anders sein

    Barkers Tochter Johanna landete schließlich in der brutalen Obhut Turpins - ihre Mutter Lucy im Irrenhaus. Das duftet nach Rache: Mit dem Seemann Anthony kehrt der erfolgreiche Barbier von einst, nun unter dem Namen Sweeney Todd, zurück in die englische Hauptstadt und lechzt nach Vergeltung. In der Fleet Street, wo sein Friseurladen noch immer leer steht, wird er von Mrs. Lovett erkannt, die unter ihm ein schlecht laufendes Fleischpastetengeschäft betreibt. Die mitteilungs- sowie liebesbedürftige Bäckerin behauptet, dass sich Todds Frau aufgrund ihres schändlichen Schicksals vergiftete und Turpin seine inzwischen erwachsen gewordene Tochter adoptiert habe.

    Wie es der Zufall will, spürt Matrose Anthony die zauberhafte Johanna in ihrem Vogelkäfig auf und verliebt sich. Um sie aus den Klauen Turpins zu befreien, schmiedet er gemeinsam mit Todd einen Plan - wobei Letzterer vor allem seinen eigenen Nutzen sieht, um sich den Richter mit scharfer Klinge selbst vorzuknöpfen. Johanna ist hierbei paradoxerweise lediglich Mittel zum Zweck und Lockvogel - die blutige Abrechnung geht vor Familien-Reunion. Von einem Happy End kann bei dieser komischen Tragödie keine Rede sein - dafür aber von Überraschungs-Effekten, ulkigen Songs mit eingängigen, verdeutschten Texten und den ein oder anderen menschlichen Leckerbissen.

    Weg vom "Mamma Mia"-und-"Cats"-Klischee: Musical kann auch anders sein, das wollte Stephen Sondheim offenbar im Rebellions-und Punkjahr 1979 beweisen. 2007 löste der gleichnamige Kinofilm von Kultregisseur Tim Burton einen regelrechten Hype aus - der Erfolg war nicht zuletzt Johnny Depp (Sweeney Todd) und Stamm-Kollegin Helena Bonham Carter (Mrs. Lovett) zu verdanken. Umso schwerer also für die Produzenten der Ettlinger Interpretation live nachzulegen - wer den Film jedoch mag, wird das Musical, das im Rahmen der Ettlinger Schlossfestspiele aufgeführt wird, lieben. Das Bühnenbild ist simpel und erinnert stilistisch an die Bretter des Londoner Globe Theatre, die Kostüme viktorianisch mit Rockabilly-Elementen, die Songtexte - und diese sind übersetzt oft ein Dorn im Ohr des Musical-Fans - moderne deutsche Poesie, ohne dass die Prise britischer Humor verloren geht. Da wird vom Kardinal, Admiral und General gesungen - alle in Todds zunehmender Mordlust potenzielle Schlachtopfer und damit Zutaten für Mrs. Lovetts neues Pasteten-Geheim-Rezept: "Oberbürgermeister!" - "Er wird immer dreister".

    Fazit: "Wer den Film mag, wird das Ettlinger Musical lieben"

    In der Hauptrolle gibt sich Fernand Delosch überzeugend als blutrünstiger Barbier, dessen hasserfüllte Miene das Publikum knapp zwei Stunden fesselt. Authentisch sind die Aufmerksamkeits-Magneten Gudrun Schade, getreu mit roten Locken als Pastetenbäckerin, Nikolaj Alexander Brucker als Anthony und Jon Geoffrey Goldsworthy in der Rolle des Richter Turpin. Dann sind da noch einige Gags und Überraschungs-Momente, die die düstere Stimmung des Bühnengeschehens auflockern und für Lacher im Publikum sorgen: Beispielsweise träumt die in Todd verliebte Mrs. Lovett im zweiten Akt von Liebesferien an der See mit gestreiften Marine-Paar-Outfits, in denen jedoch auch die berufliche Fleischeslust nicht zu kurz kommen darf - Stinkstiefel Todd lässt die Schwärmerei kalt.

    Auf Lob folgt Kritik, auch wenn diese bei der Ettlinger Inszenierung durchaus klein ausfällt: Zwar tragen die regelmäßigen Auftritte sämtlicher Bürger aus der Fleet Street, verbunden mit immer den gleichen Liedzeilen, zur Tragik der Geschichte bei, jedoch erinnert die Choreographie leider an simple Folklore-Tänze und penibel einstudierte V-Schritte ohne Überraschungseffekt - ebenso wie bei jeder anderen Tanzeinlage im Theaterbereich. Schade ist auch, dass Zuschauer, die nicht mit dem Kinofilm oder der Geschichte an sich vertraut sind, an manchen Stellen Probleme haben, der Handlung zu folgen: An manchen Stellen wird an der Aufklärung von Zusammenhängen gespart - an anderen fehlen Überraschungsmomente, da offenbar davon ausgegangen wird, dass das Publikum beispielsweise von Anfang an weiß, dass, entgegen der Aussage von Mrs. Lovett, Lucy noch lebt und nun als Bettlerin vor der Bäckerei herumstreunt. Eine Adaption an den Film, wie das Ettlinger Musical in jedem Fall eine ist, kann gut sein, aber eben auch schwierig. Das Fazit: Die badische Inszenierung funktioniert gut, reißt das Publikum mit und verleiht nicht nur Horrorfans und Romantikern Gänsehaut. Ein Besuch ist vor allem für die jenigen empfehlenswert, die den Film nicht nur wegen Johnny Depp lieben und einen etwas düsteren Humor pflegen.

    Sweeney Todd - Der Teufelsbarbier aus der Fleet Street" - Premiere am 27. Juni im Schlosshof Ettlingen.

    • Musikalische Leitung: Jürgen Voigt
    • Regie: Udo Schürmer
    • Ausstattung: Steven Koop
    • Choreographie: André Sultan-Sade
    • Sweeney Todd: Fernand Delosch
    • Mrs. Lovett: Gudrun Schade
    • Anthony Hope: Nikolaj Alexander Brucker
    • Richter Turpin: Jon Geoffrey Goldsworthy
    • Johanna: Madeleine Haipt
    • Büttel Bamford: Thomas Schirano
    • Die Bettlerin/Lucy: Sabine Schwarzlose
    • Pirelli: Sascha Nikolic
    • Tobi: Denis M. Rudisch
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