Man sieht es Horst Evers nicht an. Der mittelgroße, leicht untersetze Mann ("mein Körper und ich, wir sitzen gerne") mit dem schütteren Haar, dem obligatorischem roten Hemd sieht nicht aus, als könnte er einen vollen Saal zweieinhalb Stunden lang unterhalten. Auch die Bühne macht nicht viel her: Ein Stuhl, ein Tisch, ein Mikrofon und ein Notenständer, der eher aussieht, als hätte ihn jemand hier vergessen und nicht, als hätte er etwas mit dem Auftritt von Horst Evers zu tun.
Woher kommen wir, wohin gehen wir - muss ich da mit?
Der legt gleich los. Das heißt, erstmal legt er ab - eine abgegriffene Kladde samt loser Blättersammlung landet auf dem Notenständer. Von hier wandert sie zusammen mit Evers zwar immer mal wieder zum Tisch und dann zurück zum Notenständer. Das war es aber auch. Mehr Requisite oder gar Bewegung braucht Evers, der nach eigenen Angaben seit 1993 "vom Schreiben und Vorlesen" lebt, nicht, um sein aktuelles Programm „Großer Bahnhof“ zu präsentieren.
Das dreht sich weniger um Züge und Bahnhöfe (obwohl die durchaus auch eine Rolle spielen), sondern vielmehr um den großen Bahnhof im sprichwörtlichen Sinne, nämlich den Empfang, den man jemandem bereitet. Vor allem aber geht es - so beschreibt es Evers selbst - um die ganz großen Fragen: "Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Is das weit? Muss ich da mit? Vor allem aber auch: Holt mich wohl jemand ab?"
Mit einer Mischung aus frei vorgetragenen Anekdoten und Überleitungen, die von der Länge her durchaus mit den von den Blättern abgelesenen Geschichten konkurrieren können, wortakrobatiert sich Evers durch den Abend. Angefangen mit einem Verweis auf die laufende KSC-Relegation (als Wahl-Berliner weiß Evers natürlich, dass das Rückspiel viel wichtiger ist als das Hinspiel) über die Erotik von gebratenem Spiegelei auf der bloßen Haut bis hin zu tierischen Namensvettern und deren schlimme Folgen auf Sorgerechtsstreitigkeiten. Es gibt Tipps, wie man aus einem Streit mit der Freundin als Sieger hervorgeht ("Verwirren!"), und warum es hilfreich sein kann, wenn man seinem Nachbarn die Zugangsdaten für die Online-Steuerung der eigenen High-Tech-Kaffeemaschine mitteilt ("Ich sehe da einen großen Markt").
Immer einen Tick weiter
Nein, Horst Evers zu verstehen ist nicht leicht, wenn man ihn nicht selbst gesehen oder wenigstens gehört hat (dem geneigten Leser sei der Besuch der einen oder anderen Internet-Videoplattform empfohlen). Der geborene Diepholzer, der sich selbst am liebsten als "Geschichtenerzähler" begreift, schafft es, Alltägliches einerseits immer wieder gerade so weit zu überspitzen, dass es eigentlich noch wahr sein könnte. Gleichzeitig treibt er seine Geschichten dann aber doch immer genau den Tick weiter, mit dem der Zuhörer nicht gerechnet oder zumindest nicht zu rechnen gewagt hatte (obwohl er genau das insgeheim aber doch gehofft hatte). Genau deshalb ist der Zuhörer am Ende dann doch froh, dass Evers eben nicht nur ein Lesezeichen herausgebracht hat, sondern notgedrungen auch noch die eine oder andere Geschichte drum herum geschrieben hat.
www.horst-evers.de
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