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Der ka-news-Kinotipp: Auf der anderen Seite

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Der ka-news-Kinotipp: Auf der anderen Seite

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    Bei den Filmfestspielen in Cannes hat sein neues Werk den Preis für das beste Drehbuch abgeräumt. "Auf der anderen Seite" ist Fatih Akins zweiter Film der Trilogie "Liebe, Tod und Teufel", welche mit besagtem "Gegen die Wand" begann. Gedreht wurde in Deutschland und der Türkei. Der melancholische Film verknüpft scheinbar zufällig die Lebensgeschichten von sechs Menschen aus verschiedenen Kultur- und Lebenswelten, deren Wege sich kreuzen, ohne sich zu berühren. Erst der zweifache Tod führt sie am Ende zusammen. "Auf der anderen Seite" ist, pathetisch gesprochen, ein großer Film. Deshalb, weil er große Themen des Lebens ganz ohne Pathos behandelt: Es geht um Tod, Schuld und Vergebung.

    Der Kinotipp von Matthias Walz

    Man darf an dieser Stelle die tragischen Abgänge zweier Charaktere verraten, denn der Film, in drei Erzählblöcke unterteilt und mit den vorausdeutenden Titeln "Yeters Tod" und "Lottes Tod" überschrieben, bereitet den Zuschauer selbst vorab auf die - für große Melodramen unausweichlichen - traurigen Ereignisse vor.

    Ali macht der Prostituierten Yeter ein unmoralisches Angebot,... (Foto: pr)

    Ali (Tuncel Kurtiz) lernt in einem Hamburger Bordell die Prostituierte Yeter (Nursel Köse) kennen. Der ältere Türke findet Gefallen an der Landsfrau und kauft sie. Für regelmäßige Entlohnung soll Yeter bei ihm leben und nur mit ihm schlafen. Yeter geht auf den Deal ein. Die Türkin, die sich prostituiert, um ihrer in Istambul lebenden Tochter Ayten (Nurgül Ye_ilçay) das Studium zu finanzieren, will ohnehin aussteigen. Doch es wird nicht der erhoffte Schritt in die Freiheit. Ali betrachtet sie als seinen Besitz, trinkt zudem ab und an einen Raki zuviel. Und so kommt es, wie es kommen muss: Während eines Streits wird Yeter vom betrunkenen Ali geschlagen; sie stürzt unglücklich und stirbt.

    ...dass sie nicht ausschlagen kann. Nach ihrem Tod will Alis Sohn Nejat... (Foto: pr)

    "Jemand der mordet, kann nicht mein Vater sein." Alis Sohn Nejat (Baki Davrak), der als Germanistik-Professor an der Hamburger Universität arbeitet, bricht mit seinem Vater. Um die Tat des Vaters gutzumachen, reist er nach Istanbul, um Ayten zu suchen und für ihr Studium aufzukommen. Dazu bleibt er in der Türkei und übernimmt den Laden eines deutschen Buchhändlers, der zurück in die Heimat möchte. Was er nicht weiß: Ayten ist politische Aktivistin und unter falschem Namen auf der Flucht vor der türkischen Polizei illegal nach Deutschland eingereist, um ihre Mutter zu suchen.

    ...Yeters Tochter Ayten das Studium finanzieren. Doch die ist längst in Deutschland... (Foto: pr)

    Dort freundet sich die abgebrannte Ayten mit der deutschen Studentin Lotte (Patrycia Ziolkowska) an. Die beiden verlieben sich ineinander. Lotte bietet Ayten an, bei ihr zu wohnen, wovon ihre konservative Mutter Susanne (Hanna Schygulla) wenig begeistert ist. Als Ayten festgenommen und ihr Antrag auf politisches Asyl abgelehnt wird, muss sie zurück in die Türkei und wird dort inhaftiert. Lotte reist nach Istambul, um ihr zu helfen. Wie es der Zufall will, findet sie eine Unterkunft bei Nejat. Da passiert der zweite tragische Zwischenfall: Lotte wird von einem Straßenjungen erschossen. Ihr Tod führt Susanne in die Türkei, wo sie Ayten unterstützt.

    ...und verliebt sich in Lotte. Doch das Glück ist nur von kurzer Dauer (Foto: pr)

    "Auf der anderen Seite" ist bislang einer der besten Filme des Jahres. Wer dabei dem Drehbuch nicht nachsieht, dass es dem Zufall ab und an "auf die Sprünge hilft" (ob sich Lotte und Nejat in der Zehn-Millionen-Metropole am Bosporus in der Realität treffen würden?), dem ist angesichts dieser reifen und intimen, schmerzlichen und humorvollen Abhandlung über den Tod nicht zu helfen.

    Der Titel von Fatih Akins Film ist in mehrer Hinsicht programmatisch: "Auf der anderen Seite" handelt vor allem vom Tod zweier Menschen und dem Umgang der anderen damit. Er berichtet aber auch von der räumlichen und kulturellen Distanz zwischen Deutschland und der Türkei. Vor allem aber ist es ein Film, der zwar Problemfelder wie den EU-Beitritt der Türkei, die Vorgehensweise der türkischen Polizei gegen politische Aktivisten oder die deutsche Asylgesetzgebung streift, das Augenmerk aber auf den Perspektivwechsel seiner Figuren legt.

    Im Laufe des Films befreien sich die Charaktere von der eigenen (zum Teil verbohrten) Sichtweise. Sie wechseln quasi auf die andere Seite der Betrachtungsmöglichkeit und betrachten die Ereignisse mit einer, für die Vergebung unablässigen, Distanz. Denn: Es gibt eben immer zwei Seiten einer Medallie. Und so vergibt Susanne am Ende Ayten und Nejat findet zu seinem Vater zurück.

    Ayten wird in die Türkei abgeschoben und als Lotte versucht ihr zu helfen... (Foto: pr)

    Konsequenterweise ist "Auf der anderen Seite" ein Kunstfilm, der auch aus der Distanz erzählt. Wenn die großartige Fassbinder-Muse Hanna Schygulla alleine in einem Hotelzimmer weint, ihre Trauer herausschreit und sich dabei auf dem Fußboden herumwälzt, zieht sich die Kamera in die oberste, hinterste Ecke des Raums zurück. Wenn Nejat in dem Garten seines Vaters stumm neben der weinenden Yeter sitzt, welche "die Stimme ihrer Tochter schon so lange nicht mehr gehört" hat oder er in der Hotelsuite Susanne sein "herzliches Beileid" kundtut, wahrt die Kamera die gebotene Entfernung, verfolgt das Geschehen in der Halbtotalen.

    ...verunglückt sie. Ihre Mutter Susanne trauert und reist in die Türkei... (Foto: pr)

    So wie die Darsteller mit minimalistischen Emotionen viel erzählen, ohne dass es ausgeprochen werden müsste, so wird filmisch in aller Ruhe und mit Präzision beobachtet: mit langen Kamera-Einstellungen und recht langsamen Schnittfolgen. Von Tod und Trauer, Schuld und Vergebung oder den sich entwickelden Perspektivwechseln der Figuren wird mit einem gemächlichen Rhythmus erzählt. Die lähmende Trauer der Protagonisten ist quasi köperlich im Kinosaal zu spüren.

    ...dabei kreuzen sich ihre Wege mit denen Alis, ohne sich zu berühren (Foto: pr)

    Und trotzdem ist das zu Tränen rührende Drama nicht nur düster. Heitere Momente gibt es auch, etwa, wenn Lotte ihrer Mutter im Vorrübergehen verkündet "das ist Ayten, sie bleibt jetzt ein paar Tage bei uns" und dabei die Kamera auf dem verdutzten Gesicht Susannes verharrt. Oder wenn der deutsche Buchhändler zu Nejat philosophierend konstatiert: "Ein türkischer Germanistik-Professor, der in der Türkei eine deutsche Buchhandlung übernimmt - das passt". Heiter stimmt aber vor allem das Ende des Films, das zeigt: Es gibt eine Hoffnung auf ein fröhliches Leben nach dem Tod eines geliebten Menschen. Wer einem großen Film seine Aufmerksamkeit schenken will - der Mittelteil der "Liebe, Tod und Teufel"-Triologie läuft in der Karlsruher Schauburg.

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