In seinem ersten Film seit "Oscar"-Triumph "Bowling For Columbine" (ka-news berichtete) überrascht Moore mit einer Collage aus selbst gedrehtem Filmmaterial, Archivaufnahmen und bislang nicht gezeigten Bildern - von der Präsidentschaftswahl im Jahr 2000 über die Anschläge vom 11. September und dem Waffengang in Afghanistan bis hin zum Krieg im Irak.
Bei den Filmfestspielen von Cannes wurde "Fahrenheit 9/11" mit der "Goldenen Palme" als bester Film ausgezeichnet, in den USA indes ist der meist diskutierte Streifen des Jahres nicht nur Tagesgespräch sondern auch ein echter Blockbuster: Als erste Dokumentation überhaupt belegte Michael Moores Werk Platz eins der Kinocharts. Immerhin wollten am Startwochenende drei Millionen Amerikaner sehen, warum ihr Staatsoberhaupt denn nun wirklich im Irak einmarschiert ist.
Nur ein Dummschwätzer mit beachtlichem Handicap?
Es sollte die Arglosen verstören, wenn Moore auf die geschäftlichen Verbindungen zwischen den Familien Bush und Bin Laden hinweist oder die Kumpaneien zwischen Bush Senior und den Herrschern über jenen Stoff aufdeckt, der alle und alles schmiert. Und Moore ist ein Meister in dem, was er tut. Geschickt legt er dem Präsidenten, als dieser von den beiden Flugzeugeinschlägen im World Trade Center erfährt, Denkblasen in den Kopf und diffamiert ihn nachhaltig als handlungsunfähigen Trottel. Wären die Umstände nicht so bitterlich realer, ein durchaus amüsantes Schauspiel!
Die Anti-Bush-Front reibt sich verschmitzt-vergnügt die Hände
Moore schlägt dem Kongressabgeordneten John Tanner vor, seine Kinder in den Irak zu schicken (Foto: pr) |
Der mächtigste Mann der Welt - nur ein gefährlicher, geldgeiler und obendrein unfähiger Dummschwätzer mit beachtlichem Handicap? So stellt Moore den US-Präsidenten über 123 Minuten dar und in der Tat: Angesichts etlicher Szenen fragt man sich, wie um alles in der Welt ein Mann seiner Position derart unüberlegte Aussagen tätigen kann, wenn obendrein ganz offensichtlich die Kamera läuft.
Die Anti-Bush-Front reibt sich ob des Gezeigten verschmitzt und vergnügt die Hände; Moore-Gegner indes halten dem Dokumentarfilmer vor, er sei im höchsten Grade polemisch. Die offengelegten Stümpfe von Kriegsveteranen tun ihr Übriges und spätestens, wenn Lila und Howard Lipscomb, die Eltern von Sgt. Michael Pedersen, der bei einem Hubschrauberabsturz im Irak sein Leben ließ, vor die Kamera treten, packt Moore auch den letzten Zuschauer: mit Emotionen.
Einen Manipulator durch Manipulation bloßstellen?
Michael Moore im Gespräch mit Lila Lipscomb, die ihren Sohn im Irak-Krieg verloren hat (Foto: pr) |
Die Frage stellt sich, ob die Wahl seiner Mittel legitim ist. "Brillante Enthüllungs-Doku!" jubilieren die einen. "Schnöde Anti-Bush-Propaganda!" schimpfen die anderen. So oder so - Michael Moore jongliert derart virtuos mit den Fakten, arrangiert sie für seine Sache, dass man eigentlich nicht umhin kann, den Darstellungen Glauben zu schenken. Aber einen Manipulator durch Manipulation bloßstellen?
Aug um Aug und Zahn um Zahn, das war einmal. Das weiß auch Michael Moore. Ein Mann seines Kalibers bedient sich subtilerer Zweckdiener als der Lüge. Aber die Wahrheit ist nunmal ein dehnbares Gut und ist es nicht nur legitim von Moore die nackten Fakten mit Spekulationen und satirischen Elementen anzureichern, um seine Message mit der nötigen Portion Unterhaltung zu transportieren?
Es ist eben ein stückweit Polemik im Dienst der guten Sache. Und der Zweck heiligt bekanntlich vielerlei Mittel. Wenn's um einen Führungswechsel im Weißen Haus geht erst recht. In Karlsruhe ist "Fahrenheit 9/11" in der Schauburg sowie im Filmpalast am ZKM angelaufen.