Rien ne va plus. Nichts geht mehr, weil mehr nicht geht. Um halb elf entschließen sich die "Fest"-Macher um Rolf Fluhrer, die Tore am Haupteingang zu schließen. Die kritische Masse war längst erreicht, "die Sicherheit der Besucher jedoch nicht gefährdet", wie beteuert wird. Doch schon lange Zeit vorher deutet sich an: Dieser "Fest"-Samstag wird ein denkwürdiger werden. Der Grund dafür sind Seeed, das musikalische Ding der Stunde. Ihnen erging es 2003 ebenso wie vielen, vielen anderen Künstlern - von New Model Army (ka-news berichtete) bis Faithless (ka-news berichtete) - die auf der "Fest"-Musikbühne den einmaligen Ausblick auf einen mit Menschen bepflanzten Hügel erleben durften: Sie vergaßen ihn nimmermehr.
Diese Erinnerungen haben seit gestern eine neue, eine vielleicht nicht für möglich geglaubte Qualität. Der Hügel bebt? Der Hügel lebt! Fast scheint er aus der Entfernung wie ein undefinierbares, pulsierendes Etwas vom anderen Stern. Der "Bass, bässer, am bässten" aus Berlin schafft diese Stimmung, diese Atmosphäre, ein Gefühl der Verbundenheit; irgendetwas sehr schwer zu greifendes wabert da mitsamt dem Dampfhammer-Seeed-Sound durch die "Klotze". Aber es ist da, spürbar, dieses innere Brodeln, das nur ganz wenige Künstler freisetzen. Zum "Aufstehn" muss da freilich niemand mehr animiert werden. "Shake Baby Shake"! Denn der Seeed-Sound ist Ganzkörpermusik. Doch nicht nur in Sachen Bühnenperformance ist das Top Of The Pops.
Hügel und Restgelände nehmen Energie wie Emotionen auf und reflektieren sie, einem Sommersonnenstrahl gleich, der auf einen Spiegel fällt: Er kann gar nicht anders.
Angefixt ist die Masse schon seit Stunden. Vom vibrierenden Bass aus Bristol nämlich. Der hat zwar ein "e" weniger, aber vergleicht man Erwartung und Ergebnis, dann sind Kosheen vielleicht die "Fest"-Überraschung bis dato. Ihr Anspruch: Drum 'n' Bass in eine andere, offenere Richtung zu lenken, mit Gesang zu verfeinern, mit souligen Elementen und zuvorderst dem Willen, ihre Musik auch live auf einer Bühne spielen zu können. Und ihr Zugaben-Hit "Catch" sagt alles - ein Konzept, das auch gestern Abend hervorragend aufging. Maßgeblichen Anteil daran hat Blickfang Sian Evans, sweete walisische Frontfrau in Optik wie Stimme.
Kosheen kommen natürlich nicht von ungefähr aus der angesprochenen englischen Universitäts- und Kulturstadt. Schließlich war und ist dort das Epizentrum der britischen Elektronikszene auszumachen, die allerdings verstanden hat, was künstlerisch und kommerziell Erfolgreiches passieren kann, wenn sich Beats und Pop-Appeal gewinnbringend verbinden. Cola küsst Orange und Kosheen schmiegen sich ans "Fest"-Publikum und sind so ideales Vorspiel für die kapitalen Platzhirsche aus Berlin.
Kettcar, Kosheen, die "Fest"-Familie wächst langsam und beständig. Apropos Familie: Von zarten Banden hin zu festen Beziehungen. Bis zu ihrem nächsten "Fest"-Gig werden hoffentlich auch Seeed mitbekommen haben, dass sie ihr Karlsruher Publikum besser nicht mit "Badenser" ansprechen sollten. Mal abgesehen von solch zu vernachlässigenden Schönheitsfehlern: Erwartet hübsches Ding (ka-news berichtete), dieser Samstag superlativ! Aber zu voll? Mag sein und trotzdem: Voll "schoenes" "Das Fest"! Patrick Wurster und Tobias Frei