Drei Experten kamen zu Wort: Frank Dittrich, stellvertretender Leiter des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg, Susanne Kuschmann, Richterin und Direktorin des Amtsgerichts Lüdenscheid und Verena Fiebig, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Kompetenzzentrum gegen Extremismus in Baden-Württemberg (konex).

Wer sind die Reichsbürger
Richterin Kutschmann hat in ihrem Gerichtssaal schon mehrfach Erfahrungen mit Personen gemacht, welche sich den Reichsbürgern zugehörig fühlen. Auch wenn es sich dabei wohl um eine sehr splittrige und zerstrittene Gruppierung handelt, gibt es einige Verhaltensmuster, welche alle eint. „Die Bundesregierung Deutschland wird nicht anerkannt“, sagt Kutschmann. Es handele sich bei unserem System um eine einzige Verschwörung. Dabei gilt es in zwei Stereotypen zu unterscheiden:
- Jene, welche sich auf eine historische Verfassung berufen und diese als eigentlich gültige betrachten.
- Jene, sogenannte Selbstverwalter, welche auf ihrem Grundstück ihr eigenes Recht ausrufen wollen.
Typisches Verhalten der Szene
Auffälligkeiten bei Gericht zeigen sich laut Kutschmann meist in diesen Punkten:
- Der Dienstausweis wird sehr häufig verlangt.
- Der Angeklagte möchte sich nicht hinsetzen, legt sich auf den Boden vor Gericht oder wendet sich nur mit dem Rücken zur Richterbank.
- Häufig kommen die Angeklagten nicht alleine – sie bringen Zuschauer mit. Diese versuchen, die Verhandlung zu filmen, um sie später im Internet mit hämischen Kommentaren zu verbreiten. Mittlerweile gilt es darum, ein strenges Handyverbot bei solchen Verhandlungen.
- Die klare Anweisung vom Gesetzgeber lautet bei solchen Fällen: „Einfach durchziehen, das Programm abspulen.“ Und sich nicht auf Diskussionen einlassen.
- Sehr häufig handelt es sich bei Reichsbürgern um sogenannte „Papiertiger“ - sie fluten die Postfächer. „Doch in der Regel bleiben die meisten nur auf dem Papier laut“, so die Einschätzung von Kutschmann.
- Die Radikalisierung erfolgt meist im Alter von Mitte 50.
Gewalt galt lange als untypisch
Sie selbst hatte gar die Situation, dass ein Reichsbürger ihre private Anschrift herausfinden konnte und täglich ihr Briefe in den Briefkasten einwarf. „Angst vor einer möglichen Bedrohungslage hatte ich nicht – ich wusste, was er persönlich durchmachte, körperlich hätte er mich nicht bedroht“, ist sich die Richterin sicher.
Was treibt Menschen in die Szene?
Verena Fiebig untersucht auf wissenschaftlicher Basis das Milieu extremer Gruppierungen. Ihr Fokus liegt insbesondere darin zu untersuchen, was Menschen in solche Milieus treibt und wie auch ein Ausstieg gelingen kann. Der sogenannte „Papierterrorismus“ werde als Strategie genutzt, um sich von der vermeintlichen Verschwörung loszusagen.

Besonders auffällig beim Einstig in das Milieu sei, dass sich die meisten in einer Problemlage befinden. „Steuerschulden, finanzielle Schieflagen oder auch private Schicksalsschläge gelten als Auslöser“, sagt Fiebig. Hier werden auch die Honigtöpfe aufgestellt. „Es werden Websites angeboten, die einem zeigen wollen, wie man finanzielle Forderungen, insbesondere Steueraufforderungen, umgeht.“ Der Kontakt werde anschließend sehr schnell aufgebaut.
Der Anschluss an die Szene bereichert das Selbstbewusstsein. Sie gibt der Person scheinbare Kontrolle zurück und sie lässt sie stark fühlen. Häufig wird zudem als Radikalisierungsgrund ein übersteigertes Gerechtigkeitsempfinden gegenüber dem Staat beobachtet. Allem in allem bietet die Szene einen Ausweg, die Person kann sich vermeintlich von ihren Pflichten entziehen.
Radikalisierungsschub seit der Corona-Zeit
Gewalttätiges Verhalten sei dabei bisher die Ausnahme gewesen. Seit Corona habe sich die Szene wohl immer mehr radikalisiert und auch besser vernetzen und organisieren können. Bis hin zu Kundgebungen, wie sie am Samstag, 26. Juli, in Karlsruhe stattfinden wird. Das hat zudem zu einer größeren Wahrnehmung in der Gesellschaft geführt.
Der Weg hin zu Waffengewalt wird als ein Art „Panikmodus“ betrachtet: Sie wissen sich nicht mehr anders zu helfen, wie durch Gewalt, bis zu Waffengewalt. Immer mit der Intention: Der Staat will mir Unrecht antun. Hier sind die Personen permanent im Alarmmodus. In diesem Stadium zeigt sich eine hohe Affinität zum Preppertum, die Vorbereitungen auf einen Angriff laufen konstant.
Reichsbürger sind Verfassungsfeinde
Frank Dittrich beobachtet die Gruppe seit Jahren in seinem Amt beim Bundesverfassungsschutz. Für ihn steht fest: „Wir haben es hier mit einem Höchstmaß an Verfassungsfeindlichkeit zu tun.“ Schließlich wolle sich hier der Verfassung komplett entzogen werden. Er differenziert jedoch: „Wir sprechen erst von Verfassungsfeinden, wenn ein politisches Ziel verfolgt wird – solange dies nicht der Fall ist, ist es auch nicht verfassungsfeindlich, anderer Meinung zu sein.“

Der lange Weg der Deradikalisierung
Susanne Fiebig hat dennoch auch schon Deradikalisierung beobachten können. „Das ist immer ein sehr schwieriges Unterfangen“, sagt sie. Es gebe hier kein Schema F, da die Beweggründe hin zum Radikalen sehr an die eigene Biografie und eigenen Glaubenssätze geknüpft sei. Dennoch hilft es meist den Leuten, ihnen aus ihrer immer noch bestehenden und vermutlich gar angewachsenen Notlage zu helfen – dazu gehört unter anderem der Zugang zu Schuldberatern zu schaffen.
Doch genau hier liegt laut Fiebig das Problem: „Die Radikalisierung geht mit einem enormen Vertrauensverlust einher, nicht nur in die Demokratie, auch in die Mitmenschen. Darum ist ein Zugang zu finden, sehr schwer.“ Wir konzentrieren uns darum in erster Linie auf die Umfeldberatung. Kinder und Angehörige sollen sich melden, wenn ihnen solche Muster bekannt vorkommen.
Hinzu kommt, dass die Szene der Person sehr viel Positives und auch Selbstwert zukommen lässt, welches mit der Deradikalisierung genommen wird. Hier muss eingestanden werden, dass man falschlag. Das gehe immer mit sehr viel Scham einher, zusagen, man hat sich geirrt.
Trotz allem: Es gibt Hoffnung
Dennoch sei laut Fiebig immer eine Chance da, nie Hopfen und Malz komplett verloren. „Sobald ein Zugang da ist, kann man was bewirken.“
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