Der Bundestag hat zwei neue Richterinnen für das Bundesverfassungsgericht gewählt. Wir werfen einen Blick auf das Leben von Erna Scheffler, die erste und bis zum Ende ihrer Amtszeit die einzige Richterin am Bundesverfassungsgericht.
Scheffler zählt zu den wichtigsten Vorkämpferinnen für die rechtliche Gleichberechtigung von Männern und Frauen in der Bundesrepublik und setzte sich aktiv dafür ein, dass diese verwirklicht wird. Dank ihr hat die Gleichstellung auch Eingang in das deutsche Familien- und Sozialrecht gefunden.
Als Frau und „Halbjüdin“ ausgeschlossen
Die 1893 in Breslau geborene Erna Friedenthal wächst zwar in einer protestantischen Familie auf, jedoch war ihr Vater Jude, der zum protestantischen Glauben übergetreten ist. Aus diesem Grund wird Erna in der NS-Zeit als „Halbjüdin“ eingestuft und aus dem Richterdienst ausgeschlossen. Dies, nachdem sie bereits als Frau vor dem Ersten Weltkrieg nicht zum juristischen Staatsexamen zugelassen war.
Ernas Vater stirbt 1904. Laut dem neuen Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900, nach dem Frauen keine Gleichberechtigung im Familienrecht hatten, darf ihre Mutter sich nicht um den Nachlass ihres Mannes kümmern und Ernas Onkel wird Testamentsvollstrecker. Da entscheidet sich Erna, Rechtswissenschaften zu studieren, um in solchen Situationen ein gewisses Maß an Kontrolle zu behalten.
Mit 17 macht Erna das Abitur an einem Knabengymnasium. Sie studiert Jura in Breslau, München und Berlin, muss aber anschließend als Hilfskraft in einer Rechtsanwaltspraxis arbeiten, da sie die Staatsexamina nicht ablegen darf. 1916 heiratet sie den Juristen Fritz Haßlacher und kriegt 1917 ihre Tochter Lore. Erst 1921 sind Frauen zu den juristischen Staatsexamina zugelassen – Erna legt diese 1922 und 1925 ab und eröffnet eine Anwaltspraxis in Berlin. In dieser Zeit wird ihre Ehe geschieden und sie erzieht ihre Tochter allein.
Eine der ersten Richterinnen
Erna arbeitet als Rechtsanwältin am Amtsgericht und am Landgericht in Berlin und kurz vor der NS-Zeit übernimmt sie als eine der ersten Frauen eine Stelle als Richterin in Berlin. Jedoch wird sie im April 1933 als „Halbjüdin“ zwangsweise beurlaubt und im November wird ihr Berufsverbot erteilt. Aus dem gleichen Grund wird auch ihre Ehe mit dem Kammergerichtsrat Georg Scheffler 1934 untersagt, jedoch leben die beiden praktisch zusammen. In dieser Zeit arbeitet sie als Buchhalterin.

Direkt nach dem Krieg heiraten Erna und Georg und sie wird Landesgerichtsrätin und später Landesgerichtsdirektorin beim Landgericht Berlin. Georg wird Ende der 1940er Jahre Richter in Düsseldorf und da nicht beide Ehepartner in der Zivilgerichtsbarkeit tätig sein dürfen, übernimmt Erna 1948 eine Stelle als Verwaltungsgerichtsrätin und später als Verwaltungsgerichtsdirektorin in Düsseldorf.
Vorträge als Meilensteine in der Karriere
Erna Scheffler hält einige Vorträge, die als wichtige Meilensteine in ihrer Karriere angesehen werden. 1950 in Frankfurt referiert sie auf dem Deutschen Juristentag. Sie erklärt, dass Gegebenheiten aus dem Steuer-, Familien-, Beamten- und Staatsangehörigkeitsrecht mit Artikel 3 des Grundgesetzes – die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz – nicht vereinbar sind und somit verfassungswidrig.
Die Richterin will beispielsweise die gemeinsame Veranlagung von Ehepaaren im Steuerrecht abschaffen und das gemeinsame gleichberechtigte Elternrecht als auch den Güterstand der Gütertrennung mit hälftiger Beteiligung am Zugewinn.

Bei einem Vortrag 1954 in Heidelberg auf Einladung unter anderem des Heidelberger Akademikerinnenbundes wird sie als eine kultivierte, sympathische und weibliche Persönlichkeit beschrieben. Hier spricht sie über die wichtigsten Gebiete der Rechtsprechung, die mit der Familie zu tun haben, wie Staatsangehörigkeitsfragen, Erbrecht, Privatrecht, Erziehungsrecht und Strafrecht.
Es geht Erna nicht nur um die gleichen staatsbürgerlichen Rechte für Mann und Frau, sondern auch um die Gleichstellung im zivilen und gesellschaftlichen Leben – im Arbeits-, Eherecht und Familienrecht. Sie setzt sich auch für Teilzeitarbeit für Beamtinnen ein, um das Work-Life-Balance zu verbessern.
Eine Kämpferin für die Gleichberechtigung
Am 7. September 1951 wird Erna Scheffler zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe berufen. Sie ist hier acht Jahre lang die einzige Frau im Senat mit 12 Mitgliedern. 1959 wird sie wieder gewählt und ist bis 1963 die einzige Richterin in dem ersten Senat mit 10 Mitgliedern. Das Ehepaar zieht nach Wolfartsweier um und Georg wird 1952 Richter am Bundesgerichtshof.
In den 1950er Jahren gilt immer noch das Bürgerliche Gesetzbuch von 1900. Somit haben Frauen noch keine Gleichberechtigung in Familien- und Steuerrecht.
Obwohl das Grundgesetz in Artikel 117 festgelegt hatte, dass alle Gesetze bis 1953 so überarbeitet werden müssen, damit sie Artikel 3 Paragraph 2 des Grundgesetzes (Männer und Frauen sind gleichberechtigt) entsprechen, beschließt der Bundestag erst 1957 ein neues Gesetz, dass immer noch die entscheidende Stimme des Vaters in Fragen der Kindererziehung beinhaltet. Darauf legen vier Mütter Verfassungsbeschwerde ein. Es ist Erna Scheffler, die schließlich verkündet, dass dieser Artikel verfassungswidrig ist.
Pensionierung und Tod
Nach ihrer Pensionierung 1963 bleibt Erna weiterhin 1. Vorsitzende des Deutschen Akademikerinnenbundes und Gründungspräsidentin des Soroptimist International Club Karlsruhe. Sie ist auch als Sachverständige vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages tätig. Ihr Mann Georg stirbt 1975 und Erna verbringt die Hälfte ihrer Zeit bei ihrer Tochter in London. Dort hatte Lore studiert, da sie als „Vierteljüdin“ im Dritten Reich nicht studieren durfte. Sie bleibt England und heiratet einen deutschen Arzt.
Erna Scheffler stirbt 1983 in London und ist in Wolfartsweier beigesetzt. Auf ihrem Ehrengrab steht ihre Büste und nach ihr ist eine Straße in Wolfartsweier benannt. Alle zwei Jahre vergibt der Soroptimist International Club Karlsruhe den Erna-Scheffler-Preis, der Frauen in den Natur- und Ingenieurwissenschaften unterstützt.
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