Wo Wohngeld auf Bürokratie trifft, ist der nächste Antrag nicht weit. Denn das für gewöhnlich recht unschuldig wirkende Formular löst in der öffentlichen Verwaltung bis zur eigentlichen Auszahlung einen ganzen Prozess an Abläufen aus – und das benötigt allen voran Zeit. Dass es im Sinne der Modernität schneller, schlanker und effizienter ginge, zeigt jetzt eine Analyse des Fraunhofer-Instituts zusammen mit der Bayerischen Agentur für Digitales und der Universität Bayreuth. Am Beispiel Wohngeld haben die Autoren durchgespielt, was es bedeuten würde, wenn ein neues, digitales Postsystem eingeführt und ein weiterer Schritt der Regierung hin zum sogenannten Push-Government gegangen wird. Die große Erkenntnis ist nicht neu – und doch dürfte das Ergebnis überraschen.
Digitalisierung: Was könnte ein neues Postsystem verbessern?
Die Idee des Push-Government bedeutet aus Regierungssicht, nicht mehr auf Anträge zu warten, sondern proaktiv zu handeln, wie es aus dem Staatsministerium heißt, und Leistungen und Informationen „direkt, individuell und automatisiert“ an die Bürgerinnen und Bürger zu bringen. Als digitaler Staat soll nicht mehr reagiert, sondern agiert werden. „Wir wollen einen modernen Staat mit einer innovativen Verwaltung erschaffen, die zeitgemäß mit den Menschen kommuniziert“, erklärt Bayerns Digitalminister Fabian Mehring. So solle es in naher Zukunft mitunter möglich sein, bei wichtigen Meilensteinen im Leben, wie Geburt oder Umzug, automatisch digital versorgt zu sein, statt Zeit auf Ämtern oder mit Anträgen zu verbringen.
Dass ein solches Vorhaben nicht nur auf theoretischer Ebene klappt, sondern gerade in der Praxis seine vollen Vorzüge ausspielen könnte, haben nun Forscher und Mitarbeiter des Fraunhofer-Instituts zusammen mit der Bayerischen Agentur für Digitales - byte - und der Universität Bayreuth untersucht.
Am Beispiel des Wohngeldes haben sie in einer Analyse aufgezeigt, welche Auswirkungen es hätte, gäbe es tatsächlich ein neues Postsystem, das digital funktioniert. Steht dieses doch sinnbildlich für bestehende Abläufe: Der Antragsteller muss seine Unterlagen für das Wohngeld zusammensuchen und vorbereiten, um mit der Behörde in Kontakt zu treten und sein Anliegen in die Tat umsetzen zu lassen. Die Bearbeitungsdauer des Antrags variiert zwar von Bundesland zu Bundesland und von Fall zu Fall, doch in der Regel vergehen in Bayern mehrere Wochen.
Was bringt ein neues, digitales Postsystem?
Die Autoren des Whitepapers halten fest: „Ein zentrales digitales Postsystem ermöglicht einen sicheren, einfachen und durchgängigen Kommunikationskanal, der nicht nur Verwaltungsprozesse effizienter macht, sondern auch Vertrauen in den Staat stärkt.“ Wie es mit einem gelingenden digitalen Postsystem gehen kann, würden Digitalpionier-Länder wie Dänemark, Estland und Australien zeigen. Wie es wiederum nicht gehen kann, würde die De-Mail zeigen, die als „warnendes Beispiel“, da in der Breite ungenutzt, stets präsent war für die Autoren.
Die Studie befasst sich mit sieben Kernpunkten, über denen dennoch eine ganz andere Erkenntnis thront. So sei ein zentrales digitales Postsystem der „Schlüssel zu einer vernetzten, digitalen öffentlichen Verwaltung“. Es sei vielschichtig und man könne sich von internationalen Beispielen etwas abschauen. Es werde sich am Nutzer orientiert und so für mehr Akzeptanz und Nutzung gesorgt, zugleich stärke es das Vertrauen „in die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung“. Diese wiederum gewinnt Kapazitäten, was sich zugunsten der Mitarbeitenden auswirkt. „Ein zentrales digitales Postsystem ist mehr als reine Digitalisierung – es ist das Rückgrat der menschzentrierten digitalen Transformation in der öffentlichen Verwaltung“, heißt es im Papier weiter.
Doch ebenso geht aus der Analyse hervor: Deutschland hat in dieser Hinsicht noch einen langen Weg vor sich – und das nicht, weil es technische Hürden gibt, sondern vielmehr, weil der Mensch hierzulande der Sache etwas im Weg steht. „Immer noch entscheidet sich ein großer Teil der Bürgerinnen und Bürger bewusst gegen die Nutzung digitaler Verwaltungsservices, wenn sie angeboten werden – nicht, weil sie technikfern sind, sondern weil die digitalen Wege oft komplizierter scheinen als die analogen, der Aufwand groß und der Mehrwert unklar ist. Diese sogenannte digitale Nutzungslücke ist nicht nur ein technisches, sondern vor allem auch ein menschliches Problem“, schreiben byte-Geschäftsführer Tino Kühnel und Anna Maria Oberländer, Juniorprofessorin für Wirtschaftsinformatik und Digitale Transformation an der Universität Bayreuth in der Einleitung der Studie.
Übrigens: „Möglichst unbürokratisch“ geht es schon jetzt beim Wohngeld zu – zumindest, was die Klimakomponente angeht.
Wohngeld: Wer profitiert vom digitalen Postsystem?
Schon heute ist es möglich, seinen Wohngeldantrag online zu stellen. Die weitere Bearbeitung allerdings umfasst weitere, oft analoge Schritte. Wie ein konkreter Nutzen eines neuen Postsystems aussehen könnte, haben die Autoren am bayerischen Wohngeldprozess nachgezeichnet.
Wenn durchgängig digital kommuniziert werde, spare das personelle wie ökologische Ressourcen und bringe Bürgern und Behörden gleichermaßen Vorteile. Die Behörde müsse ein Viertel weniger Zeit für den gesamten Ablauf pro Fall einplanen, der Antragsteller alles in allem zwei Wochen weniger warten. Zudem könne sich ein Bearbeitungsstau so schneller auflösen. Durch ein digitales Postsystem könnten rund 100 Vollzeitäquivalente auf Behördenseite eingespart und „für weitere Prozessverbesserungen oder andere wertstiftende Tätigkeiten wie beispielsweise Beratungsleistungen für Antragstellende genutzt werden“. Bürger würden vom effizienten Prozess zeitlich profitieren und die Möglichkeit zusätzlicher Serviceleistungen erhalten.
Klar sei, dass ein zentrales digitales Postsystem mehr als nur Technik sei. Vielmehr handle es sich um ein „verbindendes Element in einer modernen, zugänglichen und verlässlichen Staatsverwaltung“. Auch die Bayerische Agentur für Digitales betont, dass die „Verwaltung der Zukunft“ durch einen Dialog gekennzeichnet sein müsse, mit „Kollaborationen und mutigen Pilotprojekten, die schnell nutzerorientiert Mehrwert schaffen“. Zum Push-Government ist es noch ein Stück, durch ein neues Postsystem wäre man diesem aber zumindest schon einen wichtigen Schritt näher.
Übrigens: Grundsätzlich ist der Anspruch auf das Wohngeld nicht pfändbar, doch es gibt Ausnahmen.
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