Die finanzielle Lage der Sozialversicherungen ist in Deutschland angespannt, darüber gibt es keine Diskussion. Doch bei der Frage, wie Pflege-, Kranken- und Rentenversicherung gesichert werden könnten, wird kontrovers diskutiert. Expertengruppen sollen Reformvorschläge für die Bundesregierung erstellen, doch die Meinungen gehen teils weit auseinander. Nun hat eine Wirtschaftsweise von der Politik vor allem mehr Ehrlichkeit gefordert. Einschnitte seien im Sozialsystem längst unvermeidlich. Politiker von SPD und Grünen sehen das anders.
Bei Rente und Pflege müssen Leistungen gekürzt werden – laut Wirtschaftsweiser
Es sei unvermeidbar, „dass wir mitunter Leistungen werden kürzen müssen“, sagte Veronika Grimm den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Nürnberger Wirtschaftsprofessorin, die derzeit als Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung eine der Wirtschaftsweisen darstellt, appellierte in diesem Zuge an die Politik: „Wir brauchen in der Renten-, Pflege- und Krankenversicherung mehr Ehrlichkeit darüber, welche Leistungen wir uns wirklich leisten können und welche nicht.“
Als ein falsches Versprechen nennt sie die Haltelinie des Rentenniveaus bei 48 Prozent, die im Koalitionsvertrag von Union und SPD festgehalten und mittlerweile vom Bundeskabinett unter Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) beschlossen wurde. „Auf Dauer wird das nicht finanzierbar sein“, glaubt Grimm. In der Pflegeversicherung sei die Lage ähnlich prekär. „Wer in der Lage ist, Teile der Pflegeleistungen selbst zu finanzieren, der muss das auch tun“, sagte Grimm. Eine Vollversicherung in der Pflege, die unter anderem von einigen Kommunen gefordert wird, sieht sie nicht als praktikable Lösung. So sei das Pflegesystem nicht dauerhaft finanzierbar, ist sich Grimm sicher.
SPD und Grüne kritisieren Grimms Einschätzung zu Rente und Pflege
Kritik an Grimms Vorstoß kommt von SPD und Grünen. SPD-Politiker Dirk Wiese, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion, nannte diesen im Gespräch mit dem Tagesspiegel eine „neoliberale Herangehensweise“. Er wolle die Äußerungen der Wirtschaftsweisen zwar als Debattenbeitrag zur Kenntnis nehmen, sieht sie aber als „zu einfach gedacht“ an und glaubt nicht daran, dass sie eine große Zustimmung finden könnten.
Andreas Audretsch, Fraktionsvize der Grünen, glaubt, dass andere Stellschrauben entscheidend sind, um die Sozialsysteme zu stabilisieren. Ein Ansatz könnte demnach sein, mehr Arbeitskräfte zu haben. „Wenn Frauen so viel arbeiten könnten, wie sie wollen, hätten wir 850.000 Vollzeitarbeitskräfte mehr“, sagte Audretsch den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Auch Geflüchteten sollte der Arbeitsmarkt zugänglicher gemacht werden. Zu Grimms Aussagen wurde Audretsch deutlich: „Wer bei Gesundheit und Pflege nach Leistungskürzungen ruft, soll konkret werden. Wer soll nicht mehr versorgt werden? Wer soll nicht mehr gepflegt werden?“
Auch interessant: Die Höchstrente liegt über 3000, aber unter 4000 Euro. Zum Ende des Jahres 2025 wird es zudem zu einer Änderung bei der Auszahlung der Rente kommen.
Sozialsystem: Kommissionen sollen Reformvorschläge für Rente und Pflege ausarbeiten
Laut Sepp Müller (CDU) wird im Bundestag nach der Sommerpause eine Kommission eingesetzt, die eine Reform zur „Sicherung unseres Sozialstaates“ ausarbeiten soll. Das berichtete der Fraktionsvize seiner Partei dem Tagesspiegel. Die Kommission wird wohl unter Zeitdruck stehen, denn die Weichen für die Reform sollen noch im Jahr 2025 gestellt werden. Eine entscheidende Vorgabe: „Wichtig ist uns, dass die Beiträge zur Sozialversicherung nicht weiter ansteigen“, sagte Müller. Ansonsten würde es zu einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit kommen.
Auch für die Pflegeversicherung und die Rentenversicherung sollen Arbeitsgruppen konkrete Reformvorschläge ausarbeiten. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe arbeitet unter der Leitung von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) bereits an Vorschlägen für die Pflegeversicherung. Eine Rentenkommission soll Anfang 2026 die Arbeit aufnehmen und 2027 Reformvorschläge präsentieren. Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) hat allerdings Zweifel daran, dass Empfehlungen der Rentenkommission noch vor der nächsten Bundestagswahl umgesetzt werden könnten. „Welche Pflöcke wir in dieser Regierung noch einschlagen können, werden wir sehen. Alles andere ist dann Sache der nächsten Regierung“, sagte Bas der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung.
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