Ein Stich in den Finger, mehrfach täglich Insulin spritzen, immer auf den Blutzuckerspiegel achten – reicht das für einen Grad der Behinderung? Wer an Diabetes leidet, lebt mit einer chronischen Erkrankung, die den Alltag in vielen kleinen Momenten prägt. Doch wie schwer muss der Alltag tatsächlich beeinträchtigt sein, damit der Staat das auch offiziell anerkennt? Und wie unterscheiden sich Typ-1- und Typ-2-Diabetes bei der Vergabe des GdB?
GdB: Wann gilt Diabetes als Behinderung?
Viele Betroffene stellen sich die Frage, ob die Diagnose Diabetes – insbesondere Typ 1 oder Typ 2 – automatisch zu einem anerkannten Grad der Behinderung führt. Die klare Antwort lautet: Nein. Diabetes ist zwar eine chronische Erkrankung, doch ob sie rechtlich als Behinderung oder sogar Schwerbehinderung eingestuft wird, hängt immer vom Einzelfall ab. Entscheidend sind dabei nicht der Diabetestyp oder die Diagnose an sich, sondern der konkrete Therapieaufwand und die Auswirkungen auf das tägliche Leben.
Laut Sozialgesetzbuch (§ 2 SGB IX) gilt eine Krankheit dann als Behinderung, wenn sie die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben dauerhaft einschränkt – also etwa die Fähigkeit zu arbeiten, sich frei zu bewegen oder soziale Aktivitäten wahrzunehmen. Die Feststellung des sogenannten Grads der Behinderung (GdB) erfolgt durch das zuständige Versorgungsamt. Grundlage für die Entscheidung ist die Versorgungsmedizin-Verordnung, in der unter anderem die Kriterien für Diabetes genau geregelt sind. Dies geht aus der Info-Broschüre der Deutschen Diabetes Hilfe zu dem Thema hervor.
Menschen mit gut eingestelltem Diabetes, deren Therapie keine Unterzuckerung auslöst und die im Alltag nicht eingeschränkt sind, erhalten demnach keinen GdB. Wird hingegen eine Therapie durchgeführt, bei der eine Unterzuckerung möglich ist und erste leichte Einschränkungen im Alltag auftreten, kann ein GdB von 20 anerkannt werden. Müssen Betroffene mindestens einmal täglich den Blutzucker kontrollieren und erleben sie weitere Belastungen im täglichen Leben, ist auch ein GdB von 30 bis 40 möglich, heißt es in der Broschüre.
Erst wenn die Therapie besonders aufwendig ist – konkret: mindestens vier Insulininjektionen pro Tag, deren Dosis je nach Ernährung, Bewegung und Blutzuckerwert selbstständig angepasst wird – und gleichzeitig gravierende Einschränkungen im Alltag dokumentiert werden können, wird ein GdB von 50 oder mehr anerkannt. Das bedeutet: erst ab diesem Punkt gelten Menschen mit Diabetes offiziell als schwerbehindert und erhalten Anspruch auf entsprechende Nachteilsausgleiche wie zusätzlichen Urlaub, Steuerfreibeträge oder Kündigungsschutz.
Entscheidend ist dabei, dass der Alltag spürbar beeinträchtigt ist – etwa durch Schlafstörungen, psychische Belastungen, Schwierigkeiten im Beruf oder die Angst vor plötzlichen Unterzuckerungen. Der Therapieaufwand allein reicht nicht aus. Das hat zuletzt auch das Bundessozialgericht bestätigt: Selbst wer viermal täglich Insulin spritzt, erfüllt die Voraussetzungen für eine Schwerbehinderung nur, wenn auch eine erhebliche Teilhabebeeinträchtigung vorliegt. Das Urteil hatte der Verein Diabetiker Niedersachsen e.V. noch einmal aufgearbeitet.
Grad der Behinderung bei Typ-2-Diabetes: Ist er höher als bei Typ 1?
Was bedeutet das jetzt für die Unterscheidung zwischen Typ-1- und Typ-2-Diabetes? In der Praxis ist der Grad der Behinderung bei Typ-2-Diabetes meist niedriger als bei Typ 1. Der Grund liegt im unterschiedlichen Therapieaufwand, der wie zuvor bereits erwähnt einen erheblichen Einfluss auf den Grad der Behinderung hat.
Menschen mit Typ-1-Diabetes benötigen in der Regel von Beginn an eine intensive Insulintherapie mit mehreren täglichen Injektionen, oft kombiniert mit kontinuierlichen Blutzuckermessungen. Diese Anforderungen erfüllen eher die Voraussetzungen für einen GdB von 50 und damit eine Schwerbehinderung, sofern zusätzlich gravierende Einschnitte in der Lebensführung vorliegen, schreibt diabinfo.de.
Bei Typ-2-Diabetes hingegen beginnt die Behandlung meist mit Tabletten und Lebensstiländerung. Eine Umstellung auf eine aufwendige Insulintherapie mit mindestens vier Injektionen täglich erfolgt seltener – und in vielen Fällen gar nicht. Ohne diese Art der Therapie und ohne zusätzliche Beeinträchtigungen im Alltag wird bei Typ-2-Diabetes daher oft nur ein GdB zwischen 20 und 40 anerkannt. Dies bestätigt auch anwalt.org in einem Fachbeitrag des Sozialrechtlers Mohamed El-Zaatari.
Erst wenn die Stoffwechsellage nur schwer einstellbar ist, die Insulingabe entsprechend intensiv erfolgt und der Alltag massiv beeinträchtigt ist, kann auch bei Typ-2-Diabetes ein GdB von 50 oder mehr vergeben werden.
Fazit: Ein höherer Grad der Behinderung wird häufiger bei Typ-1-Diabetes vergeben, da die Anforderungen an die Insulintherapie und die Selbstverantwortung im Alltag meist höher sind. Typ-2-Diabetiker können einen gleich hohen GdB erhalten, müssen dafür jedoch nachweisen, dass ihre Therapie ebenso aufwendig ist und sie vergleichbare Einschränkungen im Alltag erleben.
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