Der heutige Artikel zum Karlsruher Großmarkt ist der fünfte und abschließende einer fünfteiligen Serie über das "Abenteuer Großmarkt" (ka-news berichtete). Immer montags berichtete ka-news über das Leben auf dem Großmarkt, über Typen und Originale, über Bananen und Papayas, über Marktarbeiter und Händler, über die schönen und die rauen Seiten des Großmarkt-Alltags.
"Rollende Kühlschränke" unter Temperaturkontrolle
Der Fruchtimporteur Görger & Zorn auf dem Karlsruher Großmarkt am Weinweg kann mit Fug und Recht als "Karlsruhes größter Kühlschrank" bezeichnet werden: Eine riesige Halle und vier Anbauten mit einer Gesamtfläche von 7.500 Quadratmetern beherbergen Lagerräume unterschiedlicher Temperaturbereiche. Mit einer Bandbreite zwischen zwei und zehn Grad sind die Kühlhäuser für sämtliche Obst- und Gemüsesorten dieser Welt ausgelegt, für den Kopfsalat aus der Pfalz genauso wie für Exoten aus Süd- und Mittelamerika. Ein bisschen wärmer wollen es nur Bananen, die nicht unter 13 Grad gelagert werden. Die Durchschnittstemperatur im zentralen Bereich - dort, wo die Ware angeliefert und wieder in LKW verladen wird - beträgt etwa acht Grad, im Sommer wie im Winter, tagsüber ebenso wie nachts.
Der Wechsel der Jahreszeiten wird hier im sich ändernden Sortiment spürbar, nicht in einem Auf und Ab der Temperaturen. Kein Wunder also, dass sich die Kleidung der Arbeiter selbst im Hochsommer eher winterlich ausnimmt. Die Kühlkette muss aber nicht nur zwischen Wareneingang und Warenausgang permanent aufrechterhalten werden, sondern bereits auf dem Transport. Sämtliche LKW-Auflieger - ob firmeneigene oder von Fremdspeditionen - verfügen über leistungsstarke Kühlaggregate. Neben den altbekannten Fahrtenschreibern, die Polizei und Behörden Aufschluss über Ruhe- und Pausenzeiten der Brummi-Fahrer geben, sind die "rollenden Kühlschränke" mit einer zusätzlichen Art von "Schreiber" ausgestattet: Dieser erstellt über den gesamten Transportverlauf ein Protokoll, auf dem die Einkäufer von Görger & Zorn ablesen können, welchen Temperaturen die Ware im Inneren des Aufliegers ausgesetzt war.
Explosionsartiges Wachstum schafft Probleme
Kühlung verschlingt Energie und somit Geld: Es gab und gibt immer wieder "schwarze Schafe" unter den Lieferanten und Spediteuren, die versuchen, ihre Kosten zu drücken, indem sie die Kühlung während des Transports zwischenzeitlich ausschalten. Die Zeiten, in denen solche Praktiken unentdeckt blieben, sind vorbei: Zeigt der "Schreiber", dass kritische Werte während der Fahrt überschritten wurden, dann ist für die Ware Endstation, noch bevor sie den LKW überhaupt verlassen hat. Den ganzen Tag und die ganze Nacht hindurch ist die Luft vor den Rampen erfüllt vom Brummen der LKW-Motoren und dem Surren der Kühlaggregate. Görger & Zorn, das größte Unternehmen auf dem Großmarkt, ist einer der führenden Fruchtimporteure Deutschlands. Zwischen 1.600 und 2.400 Paletten Obst und Gemüse werden hier täglich umgeschlagen; zwischen 20 und 60 LKW im Wareneingang, und rund 40 LKW im Warenausgang abgefertigt.
Kältemaschine an einem LKW-Auflieger: Ohne geht heute nichts mehr (Foto: ka-news) |
Hinzu kommen unzählige kleinere Anlieferungen von Erzeugern der Region, sowie eine Vielzahl von Wochenmarktbeschickern, kleineren Einzelhändlern und Gastronomiekunden, die sich hier jeden Morgen mit frischem Obst und Gemüse eindecken. Gearbeitet wird an sieben Tagen die Woche, rund um die Uhr, im zeitversetzten Vier-Schicht-Betrieb. Die inzwischen 120 Mitarbeiter erwirtschaften einen Jahresumsatz von rund 100 Millionen Euro. Anfang der 90er Jahre waren es gerade mal 30 Millionen - DM wohlgemerkt. Das rasante, fast explosionsartige Wachstum in den zurückliegenden fünf Jahren konnte nicht ohne Schwierigkeiten bleiben. Eine Versechsfachung des Umsatzes bedeutete nicht einfach ein bloßes Mehr von Allem. Vielmehr waren tiefgreifende strukturelle Veränderungen notwendig: "Die über viele Jahre gewachsenen Strukturen trugen das nicht mehr mit", berichtet der kaufmännische Leiter von Görger & Zorn, Torsten Wilkens.
Standortwahl: Großmarkt oder doch die "grüne Wiese"?
"Anfang der 90er Jahre wurde das Unternehmen noch von einem Mann geführt, der die alleinige Entscheidungskompetenz hatte." Bernd Görger, Mitbegründer von Görger & Zorn und auch heute noch Chef des Unternehmens, erkannte frühzeitig die sich stellende Herausforderung und brachte die unerlässlichen organisatorischen Neuerungen auf den Weg: Die Entscheidungsverantwortung wurde auf die einzelnen Abteilungen übertragen; es entstand ein Mittelbau von Führungskräften, die nahezu ausschließlich aus dem eigenen Mitarbeiterstamm rekrutiert wurden. Aber nicht nur personell und organisatorisch mussten neue Wege beschritten werden, auch räumliche und logistische Anpassungen waren zu meistern: Die Lagerfläche verdreifachte sich, die Verkehrswegeführung auf dem Großmarkt musste ausgebaut, die Flussrichtungen der Warenströme neu ausgerichtet werden.
Die ursprünglich großzügigen Außenflächen der Firma - Platz für leere Paletten und Kisten sowie rund 60 Mitarbeiter-Parkplätze - fielen der Expansion zum Opfer. Erst die gute Zusammenarbeit mit dem städtischen Marktamt habe dieses Wachstum ermöglicht, erzählt Wilkens. "Die Expansion von Görger & Zorn hat uns viele schlaflose Nächte bereitet", sagt Marktamtsleiter Armin Baumbusch über die Schwierigkeiten, die es zu bewältigen galt. Dass sich das Marktamt dabei ordentlich ins Zeug legte, leuchtet ein: "Der Großmarkt ist im Grundsatz nicht unersetzlich", gibt Wilkens zu Bedenken. Für einen Großbetrieb wie Görger & Zorn ist es durchaus nicht undenkbar, dem Großmarkt den Rücken zu kehren und einen Standort auf der "grünen Wiese" zu wählen - wo keine bestehenden Strukturen oder die beschränkte Fläche zu Kompromissen zwingen. Dass man blieb, lag auch und vor allem daran, dass die Stadt die Innovationen mit- und ihren Teil dazu beitrug.
Wochenmarkthändler: als Kunden "unbezahlbar"
"Die Vorteile überwiegen", erläutert Wilkens das Festhalten am Standort Großmarkt. "Wir zahlen zwar eine hohe Grundmiete, aber dafür genießen wir den Vorteil, von vielen Pflichten befreit zu sein": Straßenbeleuchtung, Verkehrswegeerhaltung, Winterräumdienst, die Pflege der Außenanlage, die Bewachung des Grundstücks und nicht zuletzt die Entsorgung sind nur einige der vielen Dienstleistungen, welche das Marktamt den Großmarktfirmen zur Verfügung stellt. "Es sind so viele Details, die man irgendwann als selbstverständlich betrachtet", erzählt Wilkens, "mit denen sich ein Immobilienbesitzer aber tagtäglich rumschlagen muss." Hinzu kommt die PR- und Öffentlichkeitsarbeit, die das Marktamt für den Großmarkt betreibt.
Auf der Berliner Messe "Fruit Logistica" beispielsweise, einer internationalen Fruchthandel-Fachmesse, präsentierte sich das städtische Marktamt am Gemeinschaftsstand der Deutschen Großmärkte. "Diese Messepräsenz war für uns eine wertvolle Gesprächsplattform und Kontaktstelle", so Wilkens. Ein weiterer - unbezahlbarer - Vorteil des Standorts auf dem Großmarkt sind die typischen Großmarktkunden: Obwohl die Wochenmarktbeschicker nur etwa zehn Prozent des Umsatzes von Görger & Zorn ausmachen - rund 90 Prozent des Geschäfts entfallen auf die großen Einzelhandelsketten wie Wal-Mart und andere Zentrallager-Kunden -, stellen sie ein nicht mit Geld aufzuwiegendes Kapital des Unternehmens dar. "Ihre Bedeutung lässt sich an dem relativ geringen Umsatzanteil nicht festmachen", betont Wilkens: "Wir profitieren sehr davon, dass die Markthändler hautnah am Endkunden sind."
Keine Kompromisse bei der Qualität
Sie sind Auge und Ohr, sozusagen die Fühler des Großmarkthändlers. "Die Wochenmarkthändler geben uns - tagesaktuell und mit zum Teil deutlichen deutschen Worten - Rückmeldung darüber, was die Konsumenten wünschen", erläutert Wilkens. Aus den Gesprächen mit den Wochenmarkthändlern und deren Nachfrageverhalten beziehen die Verkäufer von Görger & Zorn wichtige Informationen über Verbraucherwünsche, Preise, Qualitäten und Sortimentsbreite. Wilkens: "Das erlaubt unseren Entscheidungsträgern, ihr Handeln blitzschnell anzupassen und noch am selben Tag auf sich abzeichnende Tendenzen zu reagieren" - Tendenzen, die der Einzelhandel mitunter erst mit einer Verzögerung von Wochen oder Monaten nachvollzieht.
Rund um die Uhr herrscht Betrieb an den Rampen der Lagerhallen (Foto: ka-news) |
Die Verderblichkeit der Ware erfordert ein aufwändiges und kostspieliges System der Qualitätskontrolle. Um die gehobenen Standards zu erfüllen, muss ein Großbetrieb wie Görger & Zorn ein von peniblen Vorgaben geprägtes Qualitätsmanagement betreiben: Jede eingehende "Partie" (Artikel-Position) muss einzeln geprüft werden. "Natürlich können wir bei einer Lieferung von 4.000 Steigen Erdbeeren nicht jede einzelne kontrollieren", beschreibt Wilkens das Vorgehen. Bei den auf dem Großmarkt üblichen Mengen geht es um Stichproben, (statistische) Wahrscheinlichkeiten und Durchschnittswerte. Unterschreiten die errechneten Durchschnittswerte beispielsweise das angegebene Gewicht, dann kann das schon ausreichen, um die ganze Ladung abzulehnen, oder - wenn etwa eine dringend erwartete Sendung betroffen ist - es wird versucht, einen angemessenen Preisabschlag auszuhandeln.
Verbraucher: Strenger als der Gesetzgeber
Geprüft wird unter anderem auf Gewicht, Größe, Farbe und Färbungen, Druckstellen, Verderb, Süße (Fruchtzuckergehalt), Schalenfestigkeit, Kaliber (Durchmesser). Da Qualität und deren Kontrolle einen dermaßen hohen Stellenwert hat, kann es nicht verwundern, dass immer wieder ganze Lieferungen oder Teile davon dorthin zurückgeschickt werden, wo sie herkommen: "Gesperrte Ware" ist dann an den gestapelten Steigen, Kisten und Kartons mit Melonen, Pfirsichen oder Trauben zu lesen, die nicht der vereinbarten Qualität entsprechen. Mitunter landet auch mal eine ganze LKW-Ladung mit von Schimmel überzogenen Erdbeeren auf dem Müll. "Schlimm sind solche Ausfälle bei Ware, die knapp ist und auf die man lange gewartet hat", erzählt Wilkens, etwa eine Lieferung Wassermelonen während einer Hitzeperiode, "das bringt wirtschaftliche Verluste, selbst wenn man die Ware nicht bezahlen muss."
Dabei handelt es sich bei "gesperrter Ware" nur selten um Verstöße gegen die deutsche Handelsklassenverordnung, die anhand detaillierter Kriterien "Qualität" zu definieren versucht. Die eigentlichen Maßstäbe setzt der Endverbraucher: "Der deutsche Konsument ist viel anspruchsvoller als die Handelsklassenverordnung", betont Wilkens. "Was der Gesetzgeber noch als hinnehmbar erachtet, nimmt der Endverbraucher noch lange nicht hin." Görger & Zorn ist mit Dutzenden von Unternehmen in einem so genannten "Untersuchungsring" zusammengeschlossen: Jeder Betrieb verpflichtet sich, regelmäßig eine bestimmte Anzahl von Proben in ein Labor zu geben. Die Resultate werden dann untereinander ausgetauscht. Die Zusammenarbeit lohnt sich: Die Untersuchung einer einzigen Probe kann mehrere hundert Euro kosten. "Auf diese Weise kann ein einzelnes Unternehmen auf Tausende von Untersuchungsergebnissen zurückgreifen", erläutert Wilkens die Vorteile der Kooperation.
Immer noch "eine Welt für sich"
"Hart, aber herzlich", gehe es zu, erzählt der kaufmännische Leiter, und meint mit "hart" die Arbeitsbedingungen, nicht den Umgangston: lange und zum Teil ungewöhnliche Arbeitszeiten, eine kräftezehrende Tätigkeit, und das ganze bei kühlschrankähnlichen Temperaturen. "Wenn es hart auf hart kommt, arbeiten die Kollegen im operativen Geschäft schon mal über 80 Stunden in der Woche", sagt Wilkens fast ehrfürchtig, der mit "60 Plus", also mindestens 60 Wochenstunden, über die 35-Stunden-Woche auch nur müde lächeln kann. "Unsere Leute arbeiten gerne mehr als 40 Stunden", fügt Wilkens an. "Überstunden und Sonntagsarbeit sind sehr attraktiv wegen der Zuschläge."
Palettenweise Obst bei acht Grad: Was hier steht, geht noch heute, spätestens morgen auf die Reise (Foto: ka-news) |
Auch hier offenbart sie sich wieder, die "kleine Welt für sich": der Großmarkt mit seinen "Verrücktheiten" und ganz eigenen Charakteren. Das bereits zitierte Wort des Karlsruher Urgesteins Horst Bauer - es hat auch heute noch Gültigkeit: "Wer den Großmarkt nicht kennt, hat eine Bildungslücke; wer ihn kennt, den lässt er nicht mehr los."