Deborah Dillmann

Einen ganzen Tag lang ging in Deutschland fast gar nichts. Die Gewerkschaften Verdi und EVG haben am 27. März 2023 den Verkehrssektor quasi lahmgelegt - mit einzelnen Ausnahmen, wie dem Berliner Flughafen. Bestreikt wurden der Nah- und Fernverkehr, Flughäfen, Wasserstraßen sowie Häfen und die Autobahngesellschaft. Inzwischen rollt, fliegt und schifft der Verkehr wieder überall, nur vereinzelt war es am Dienstag noch zu Verspätungen und Ausfällen aufgrund des großen bundesweiten Warnstreiks am Montag gekommen. 

Reisende mussten sich insbesondere bei der Deutschen Bahn und an Flughäfen noch etwas gedulden. Ein Sprecher der Bahn sagte der Zeit zufolge am frühen Dienstagmorgen, dass es noch einige Stunden dauern könne, bis ICE- und IC-Züge sowie das Personal wieder dort seien, wo sie gebraucht würden. Auch im Regional- und S-Bahn-Verkehr war es noch zu geringen Einschränkungen gekommen. Und an Flughäfen mussten sich Passagiere auf einige Verzögerungen in den Betriebsabläufen einstellen. Der Frankfurter Flughafen teilte etwa mit, dass Reisende mehr Zeit als üblich einplanen sollten. 

Im Laufe des Tages hatte sich der 24-Stunden-Streik in keinem Bereich mehr ausgewirkt. Doch die Tarifverhandlungen beider Gewerkschaften laufen noch. Die Gespräche von Verdi mit Bund und Kommunen sind am 29. März 2023 wieder gescheitert. Sind weitere Streiks möglich und wann ist damit zu rechnen?

Warnstreiks über Ostern: EVG gibt Entwarnung - Schienenverkehr wird nicht bestreikt

EVG-Vorsitzender Martin Burkert zeigt sich in einem Interview mit der Tagesschau zufrieden mit dem großen Warnstreik. 35.000 Beschäftigte hätten bei den Eisenbahnen und im Busbereich ihre Arbeit niedergelegt. Das habe Wirkung gezeigt. Auch die stellvertretende Vorsitzende Cosima Ingenschay glaubt einer EVG-Mitteilung zufolge, dass "die Arbeitgeber dieses deutliche Signal verstanden haben und jetzt endlich Angebote vorlegen, über die man verhandeln kann". 

Die aktuelle Verhandlungsrunde der EVG hat am 29. März 2023 begonnen. Streiksüber Ostern hatte Burkert ausgeschlossen. Im Interview mit der Tagesschau sagt er, man habe ein "historisches Momentum" genutzt: Die EVG hatte ihre Verhandlungsrunde gerade beendet, für Verdi hat die nächste Runde begonnen. Aber: Die Gewerkschaften würden mit solchen Streikmaßnahmen sehr verantwortungsvoll umgehen, denn wie man am 27. März gesehen habe, sei Mobilität systemrelevant. Die EVG habe daher entschieden, über Ostern nicht zu streiken. Das teilte auch EVG-Tarifvorstand Kristian Loroch mit: "Da wir nicht die Reisenden bestreiken wollen, sondern die Arbeitgeber, können wir mitteilen, dass wir über Ostern nicht verhandeln werden und damit auch nicht streiken."

Ganz so eindeutig hatte sich Verdi nicht geäußert. Laut der Zeit hatten Verantwortliche aber durchklingen lassen, dass bis zu den Feiertagen und auch über Ostern keine Aktionen geplant seien. Eine Bezirkssprecherin hatte in Berlin gesagt, dass sie sich Streiks nur vorstellen könne, "wenn das mit den Verhandlungen überhaupt nicht funktioniert". Ostern ist jetzt vorbei, die Ferien beendet. Stehen weitere Streiks bevor?

Verdi: Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst gescheitert

Sowohl Verdi als auch die EVG wollen ihren Forderungen in den Tarifverhandlungen mit den Arbeitgebern mit Aktionen, wie dem gemeinsamen bundesweiten Streik, Nachdruck verleihen. Beide fordern für die Beschäftigten deutlich mehr Gehalt, unter anderem, um die Auswirkungen der Inflation abzufedern.

Verdi hatte zuletzt noch Verhandlungen zum öffentlichen Dienst geführt. Die Runde war auf drei Tage angesetzt gewesen, von 27. bis 29. März 2023. Die nunmehr dritte Verhandlungsrunde mit Bund und Kommunen ist gescheitert. Die Gewerkschaft hatte 10,5 Prozent mehr Lohn für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und mindestens 500 Euro mehr Gehalt pro Monat gefordert. Der neue Tarifvertrag sollte laut Verdi eine Laufzeit von zwölf Monaten haben. 

Aufgrund der verhärteten Fronten hatte der Chef des Beamtenbundes, Ulrich Silberbach, gegenüber der Zeit bereits vorab ein Scheitern der Gespräche ins Spiel gebracht. Sollten die Arbeitgeber ihr Angebot nicht deutlich nachbessern, würden Verdi und der Beamtenbund in die Schlichtung gehen. Führe auch das zu keinem Ergebnis, würde es "mal wieder sehr dunkel in Deutschland". Dann wäre laut Silberbach auch ein flächendeckender, unbefristeter Streik möglich.

Was ist passiert? Wie Verdi am Donnerstag, 30. März 2023, mitteilte, ist die Tarifrunde für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen "nach langwierigen und zähen Verhandlungen gescheitert". Verdi-Vorsitzender Frank Werneke sagte, die „Vorschläge der öffentlichen Arbeitgeber hätten nicht sichergestellt, dass die Kaufkraft insbesondere für die unteren und mittleren Einkommensgruppen erhalten bleibt. Die Bundestarifkommission von ver.di hat deshalb das Scheitern der Verhandlungen erklärt“. Laut Verdi habe sich der Interessenkonflikt nicht auflösen lassen. Aus diesem Grund habe die Gewerkschaft Forderungen nach einer weiteren Verhandlungsrunde eine Absage erteilt. „Es gibt nichts, was wir nicht in den zurückliegenden drei Tagen hätten besprechen können“, sagte Werneke.

Die Schlichtungskommission wurde einberufen. Weil während der Schlichtung eine Friedenspflicht besteht konnte über Ostern nicht gestreikt werden und auch jetzt sind weitere Streiks im öffentlichen Dienst noch ausgeschlossen.

EVG verhandelt noch, aber: Bundesweiter Streik am 21. April

Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG verhandelt für rund 230.000 Beschäftigte mit der Deutschen Bahn und rund 50 weiteren Eisenbahnunternehmen. Die erste Verhandlungsrunde hat die EVG am 23. März 2023 beendet. Die zweite Runde ist nach Angaben der Gewerkschaft am Mittwoch, 29. März 2023, mit der SInON (Schieneninfrastruktur Ostniedersachsen) gestartet. Am 30. März waren Gespräche mit der OHE - Osthannoversche Eisenbahnen AG - geplant. Jetzt stehen Verhandlungen mit der Transdev und allen anderen Unternehmen an. Die Gespräche mit der Deutschen Bahn sind für 24. und 25. April 2023 geplant.

Allerdings kündigte die EVG am Mittwoch (19. April) erneut einen bundesweiten Streik an. Dieser Streik soll allerdings nicht den gesamten Tag andauern.

Die Vorstellungen der Gewerkschaft und der Arbeitgeber liegen auch bei diesen Gesprächen weit auseinander. Die EVG fordert zwölf Prozent mehr Lohn für die Beschäftigten, aber mindestens 650 Euro mehr Gehalt pro Monat. Die Deutsche Bahn hatte die Forderungen zuvor als unrealistisch kritisiert. Nach Angaben des Konzerns habe die Bahn in der letzten Runde folgendes Angebot vorgelegt: eine steuer- und abgabenfreie Einmalzahlung in Höhe von 2500 Euro sowie eine lineare Erhöhung des Gehalts. "Insgesamt gäbe es in den ersten 12 Monaten ein Plus von 11 Prozent", schreibt der Konzern.

Jetzt hat die Deutsche Bahn allerdings vorgeschlagen, sich an der Schlichtungsempfehlung für den öffentlichen Dienst zu orientieren. Laut dem Zdf sei die Bahn bereit, eine Lösung mit der EVG zu vereinbaren, die bahnspezifisch ist und sich am Volumen des öffentlichen Dienstes orientiert. DB-Personalvorstand Martin Seiler hatte gesagt, dass es nun absolute Priorität habe, "auch bei der Deutschen Bahn zügig zu einer Lösung zu kommen, im Sinne unserer Mitarbeiter und unserer Fahrgäste".

Diesen Vorstoß von Arbeitgeber-Seite hat die EVG umgehend abgelehnt. "Wir haben der DB AG schon mehrfach erklärt, dass wir nicht für den Öffentlichen Dienst verhandeln, sondern in erster Linie für die Beschäftigten bei Bus und Bahn", betonte EVG-Verhandlungsführer Kristian Loroch einer Mitteilung der Gewerkschaft zufolge. "Insofern ist die jetzt vorliegende Schlichtungsempfehlung für uns völlig irrelevant und keine Grundlage für unsere Verhandlungen."

Laut EVG-Tarifvorstand Cosima Ingenschay seien die Arbeitgeber "gut beraten, auf die Forderungen der EVG einzugehen" - zu denen Ingenschay zufolge ausdrücklich kein Inflationsausgleich gehört. Nur so könne eine weitere Eskalation vermieden werden. "Die Wut der Beschäftigten ist angesichts der anhaltenden Verweigerungshaltung der Gegenseite groß. Ein weiterer bundesweiter Streik ist insofern jederzeit möglich", so der Vorstand.

Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst: Kommt es zu weiteren Streiks?

Wie es nach der Schlichtung in der Verdi-Tarifrunde weitergeht, ist noch ungewiss. Die Schlichtungskommission hat am Samstag, 15. April 2023, ihren Schiedsspruch für den öffentlichen Dienst vorgelegt. Laut dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) schlägt die Kommission einen Sockelbetrag von 200 Euro und eine anschließende Erhöhung um 5,5 Prozent vor. Steigt das Gehalt dabei nicht um 340 Euro, werde dieser Betrag festgesetzt. Auch einen Inflationsausgleich in Höhe von 3000 Euro hat die Kommission vorgeschlagen. Studierende, Auszubildende sowie Praktikantinnen und Praktikanten sollen zunächst einen Inflationsausgleich in Höhe von 620 Euro und ab Juli 2023 monatlich 110 Euro erhalten.

Über den Schlichterspruch beraten nun Gewerkschaften und Arbeitgeber einzeln. Am Samstag, 22. April 2023, kommen beide Parteien in Potsdam erneut zu Verhandlungen zusammen. Sollte der Tarifstreit dann nicht gelöst werden, könnte es zu unbefristeten Streiks kommen. Mit einem Scheitern würden die Gewerkschaften außerdem nicht mehr der Friedenspflicht unterliegen.

Nach Informationen des Tagesspiegel bereitet sich Verdi schon auf einen umfassenden Streik in allen öffentlichen Sektoren vor. Intern soll es bereits einen Streikplan geben, der vorsieht, dass die Beschäftigten ab Mai ihre Arbeit für sechs Wochen niederlegen. Besonders betroffen sollen laut Tagesspiegel Krankenhäuser sowie Abfall- und Verkehrsbetriebe sein.

Einer Verdi-Abfrage zufolge soll es unter den Mitgliedern in öffentlichen Betrieben und großen Behörden eine "nie dagewesene Streikbereitschaft" geben - auch in der kritischen Infrastruktur, wie der Tagesspiegel berichtet.

Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst: Neuer Streik angekündigt

Nun hat unter anderem die Deutsche Presse Agentur berichtet, dass es bei der Deutschen Bahn und anderen Bahnunternehmen in Deutschland am 21. April 2023 zu neuen Streiks kommen soll. Die Beschäftigten sollen in der Nacht auf Freitag direkt zu Betriebsbeginn ab 3 Uhr ihre Arbeit niederlegen. Diesmal soll der Streik aber nur bis 11 Uhr andauern. Allerdings wird erwartet, dass die Streiks auch noch Stunden später Auswirkungen auf den Bahnverkehr haben werden. In einer Pressekonferenz am Mittwoch um 8.30 Uhr will die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) mehr Details nennen und auch die Deutsche Bahn möchte sich am Mittwoch äußern. Noch ist unklar, ob der Fernverkehr komplett eingestellt wird.

 

In diesem Artikel informieren wir Sie laufend über die neuen Entwicklungen.