Knapp über 1.000 Besucher lauschten den beiden Grünen-Politikern - es ist einer der wenigen Auftritte, die Joschka Fischer noch für seine Partei absolviert. Seit seinem Rückzug aus der aktiven Politik 2005, ist Fischer als Unternehmensberater und in verschiedenen Positionen in der Wirtschaft tätig. Am Donnerstagabend trat er einmal mehr in einer politischen Rolle auf.

"Sponti" und "Philosoph"

Die Stimmung im Saal ist gelöst, ein Wort zur Drogen-Affäre um Grünen-Politiker Volker Beck fällt nicht. Stattdessen gibt es einen Rückblick in die Anfangsjahre der Partei - die Grünen gründeten sich 1980 in der Schwarzwaldhalle Karlsruhe - und auf die gemeinsame Zusammenarbeit.  Der "Sponti" Fischer und der "Philosoph" Kretschmann kennen sich schon lange.

Kretschmann war vor fast 30 Jahren Fischers Mitarbeiter im hessischen Umweltministerium, als Ministerialrat für Grundsatzfragen war er zwei Jahre für den ersten grünen Minister überhaupt tätig. Wie kam Fischer auf die Idee, den heutigen Ministerpräsidenten zu engagieren? "Ich wollte die besten und klügsten Köpfe", so Fischer. Doch die Zusammenarbeit war nicht immer so harmonisch wie am Donnerstagabend. "Sie war nicht frei von Spannungen", beschreibt Kretschmann die anfängliche Beziehung der Polit-Promis.

Kurz zuvor wurden neue Umfrageergebnisse (infratest dimap) veröffentlicht: Die Grünen liegen mit 32 Prozent im Land vor der CDU (28 Prozent) - eine Entwicklung, die auf dem Podium nicht unkommentiert blieb: Fischer hat das "ganz ehrlich" nicht für möglich gehalten. Kretschman erwiderte auf die Frage des Moderators: "Ich glaube den Umfragen, solange sie so gut sind."

Gespenst Nationalismus, Gespenst AfD

Dann ging es thematisch weg von der Landespolitik, auf höhere Ebenen und mit Blick in die Zukunft: "Auf dem richtigen Weg für die Zukunft Europas" lautete der Titel der Abendveranstaltung und die Antworten des ehemaligen Bundesaußenministers auf Europafragen sind deutlich: Die EU ist "unverzichtbar" für Deutschland, so Fischer, "jede Form von Renationalisierung halte ich für Gift."

Die Entwicklung zu einem Nationalismus in Europa betrachtet Fischer kritisch - 2017 stehen die Präsidentschaftswahlen in Frankreich an. Könnte hier ein erster Rechtsruck in Europa stattfinden, mit Marine Le Pen von der rechtspopulistische Partei Front National an der Spitze? "Wenn es so kommt, in der Tat, dann wird es ein großes Problem", so Fischer, "aber ich sehe noch nicht, dass es so kommt". Die Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich finde nicht nur auf der Regierungsebene statt - das sei tief in der Bevölkerung verankert. Eine Feindschaft habe sich vor allem an den grenznahen Regionen zu einem Miteinander verwandelt.

Das Gespenst Nationalismus heißt in Deutschland AfD: Mit ihren Vorwürfen, die Landtagswahl werde nicht korrekt durchgeführt oder der Gleichschaltung der Presse agiert sie mit der "Sprache von demokratiefeindlichen Extremisten", "relativ schlau" und immer "ohne Verantwortung zu übernehmen", so Kretschmann. Es sei Nationalismus, der über Fremdenfeindlichkeit verstärkt und transportiert werde - eine psychologisch tief sitzende archaische Angst vor dem Fremden. Dabei sei es eine große Leistung der Zivilisation, genau diese Ängste zu überwinden.

Fischer: Angela Merkel hat aus meiner Sicht völlig Recht

Am Montag findet der nächste EU-Gipfel in der Flüchtlingsfrage statt. Ist eine Lösung der Flüchtlingsfrage diesmal in Sicht? "Es gibt gegenwärtig viele die Patentrezepte haben", so Fischer, "aber mit Patentrezepten ist es wie mit Schlangenöl im Wilden Westen - das gegen alle Weh-Wehchen funktioniert." Grenzen zu schließen sei der falsche Weg: "Das geht dann nach der Devise 'Die letzten beißen die Hunde'. Und der letzte wird Griechenland sein." Dann hätte man neben weiten Teilen des Balkans auch ein destabilisiertes Griechenland - "Angela Merkel hat aus meiner Sicht völlig Recht. Es gibt immer eine europäische Lösung."

 


In seinen Augen sei es ein Fehler gewesen, dass Merkel seit 2007 die deutsche Beziehung zur Türkei verschlechtert hat lassen. Diese gelte es wieder zu stärken. "Es wird keine einfache Lösung in der Flüchtlingsfrage geben", sagt Fischer und macht deutlich: Griechenland darf nicht fallen gelassen werden - gebeutelt von einer Finanz- und jetzt von einer Flüchtlingskrise befindet er sich kurz davor, ein "failed state" zu werden - eine "fatale Entwicklung, die es zu verhindern gilt."

Dublin-Verfahren ist auf "Illusion" gebaut

Die europäische Lösung werde Zeit brauchen, einen wirksamen europäischen Konsens hält Fischer vor den französischen Präsidentschaftswahlen für unwahrscheinlich. Eine Rückkehr zum Dubliner Übereinkommen ist für den ehemaligen Bundesaußenminister keine Option, das Dublin-Verfahren selbst "ist auf einer Illusion gebaut". Das Flüchtlingsproblem ist kein rein griechisches oder italienisches Problem - die europäischen Außengrenzen müssen gemeinsam geschützt und die Flüchtlinge künftig gerecht verteilt werden.

Dazu werde man nicht umhin kommen, die Solidarität einiger Länder "einzukaufen": "Wir werden uns materiell und finanziell mehr engagieren müssen, um Fluchtursachen zu bekämpfen", so Fischer. Ein Ende der Flüchtlingsbewegung sieht er nicht - es wird eine Herausforderung für die kommenden Jahre, wenn nicht Jahrzehnte sein. Aber eine zu bewältigende Herausforderung und eine "Riesenchance für Deutschland" - Flüchtlinge seien keine Last.

"Wenn Flüchtlinge zu uns kommen, ist das eine positive Ansage." Es sei nichts Negatives daran, wenn Menschen auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen nach Deutschland kommen, sagt Fischer. Am Ende werde es ein Zugewinn für Deutschland sein - "und am Ende sehe ich unsere europäischen Nachbarn fragen: Wie habt ihr das bloß wieder geschafft?"

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